IS wirbt um Gefolgsleute: „Teil einer großen guten Sache sein“
Die Propaganda-Maschine des IS könnte sogar versierte PR-Firmen im Westen beeindrucken. Aber hinter dem Erfolg steckt mehr als nur eine gute Produktion.
Der Ton der Präsentation erinnert an westliche Radio-Nachrichten. Aber das hier ist Al-Bajan – der Sender des IS, der sich gezielt an Europäer wendet, um Gefolgsleute für ihre Reihen anzuwerben. So werden denn auch nur Nachrichten verbreitet, die aus der Sicht der Terrormiliz gut klingen. Es ist immer so, dass der Feind in Schande vor den IS-Kämpfern flieht oder getötet wird. Die Sendungen enden mit anschwellender Musik und dem Satz: „Wir danken unseren Hörern, dass sie eingeschaltet haben.“
Die islamistische Propaganda-Maschine hat sich seit 2012 enorm verbessert und bietet mittlerweile ausgefeilte Produktion im westlichen Stil. Damals posierte ein alternder Franzose, Gilles Le Guen, vor einer Dschihadisten-Fahne und stieß im Namen der Terrorgruppe Al-Kaida im Islamischen Maghreb Drohungen gegen Frankreich aus. Die Produktion war simpel, der Film körnig, und ausgestrahlt wurde er auf einer relativ obskuren regionalen Internetseite. Heute könnte die Art und Weise, wie die Rekrutierung weiterentwickelt wurde, auch die poliertesten Public-Relations-Firmen im Westen beeindrucken.
Al-Bajan erreicht durch Links, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden, täglich Tausende Hörer, und das Ergebnis ist aus westlicher Sicht erschreckend. Die Zahl von Europäern, die sich dem Kampf für den IS verschreiben, steigt, wird nach Einschätzung von Experten dieses Jahr auf insgesamt bis zu 10 000 wachsen.
Vielsprachige Blogs und Twitter
In einer typischen Rekrutierungswoche gibt es verschiedenste Sendungen in drei Sprachen. Ein an französische Sympathisanten gerichtetes Video zeigt junge Männer in der Ausbildung, sie springen durch brennende Reifen, schwingen sich auf Klettergerüsten über Flammen hinweg von Stange zu Stange. In einem anderen Streifen zur Anwerbung von Ärzten verspricht ein glatt rasierter blauäugiger Australier im Doktorkittel potenziellen Rekruten, dass sie Muslimen helfen würden, die unter einem Mangel an qualifizierter medizinischer Versorgung litten.
In vielsprachigen Blog-Einträgen rufen Dschihadisten dazu auf, sich ihnen anzuschließen. Hinzu kommt ein rasant wachsendes Ausmaß von Twitter-Mitteilungen, die Anhänger per Handy von ihren Wohnstuben aus verschicken.
Nach Le Guens Festnahme im April 2013 sagte Frankreichs Verteidigungsminister, die Regierung könne die Zahl jener, die wie dieser Mann an der Seite islamischer Extremisten kämpfen wollten, „an den Fingern einer Hand abzählen“. Heute gilt die Massenrekrutierung westlicher islamischer Radikaler als eine der größten Bedrohungen, mit denen es Europa und die USA zu tun haben.
Und es sind nicht nur hartgesottene potenzielle Kämpfer, auf die es der IS in seiner Multimedia-Werbekampagne abgesehen hat. Jeder, der sich irgendwie in den Kriegszonen im Irak und in Syrien engagieren will, ist willkommen. Jeder kann auch beim Rekrutieren helfen, egal von wo aus. Bei einer jüngsten Untersuchung stießen zwei Forscher der US-Denkfabrik Brookings Institution im Zeitraum von zwei Monaten auf mehr als 46 000 aktive Twitter-Konten zur Unterstützung des IS. Sobald ein Account geschlossen wird, tauchen mehrere neue auf.
Warnen westliche Regierungen eindringlich vor den Gefahren, die drohen, wenn man sich der Terrormiliz anschließt, hat das bisher wenig genützt. Diejenigen, die an der Seite des IS unglücklich waren und den Westen stützen könnten, machen ihre Erfahrungen nur selten publik – zu groß ist die Angst vor tödlicher Vergeltung.
Hochmoderne Technologie und persönliche Verbindungen
Die Angeworbenen sind meistens jung. In Frankreich, der bisher ergiebigsten Rekrutenquelle für den IS in Europa, liegt das Durchschnittsalter bei Mitte 20, bei Frauen ist es sogar noch niedriger. Was immer diese jungen Leute suchen, die Extremisten versprechen es ihnen: das Scharia-Gesetz, ein tieferer Sinn im Leben, Kampf gegen einen Diktator, Einsatz als Helfer, Umgang mit automatischen Waffen, Anwendung von Gewalt.
Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove führt den Werbeerfolg darauf zurück, dass der IS verstehe, wonach sich viele junge Menschen sehnten und fähig sei, sich hochmoderne Technologie und persönliche Verbindungen zunutze zu machen.
Westliche Rekruten tendieren dazu, sich zusammenzuschließen – wie etwa die rund 20 jungen Männer aus der französischen Kleinstadt Lunel, die in Gruppen von zwei oder drei abreisten und dann in Syrien wieder zusammenkamen oder die drei britischen Schülerinnen, die einer Freundin folgten.
„Der IS versteht es, herauszufinden, was für diese Leute wichtig ist, was sie motiviert, und dann bietet er an, dieses Bedürfnis zu stillen, anfangs durch die sozialen Medien, das Internet“, sagte Breedlove kürzlich. „Und dann, wenn sie die Leute an Bord gebracht haben, sprechen sie weiter diese Grundbedürfnisse an, nach Werten, nach einem Lebensziel – das Gefühl, Teil einer großen guten Sache zu sein.“
Den Regierungen ist es nicht gelungen, diesen maßgeschneiderten Ansätzen etwas entgegenzusetzen. Grund dafür sei, dass sich westliche Stellen mehr mit dem Kaliber der Rekruten beschäftigten als mit der verführerischen Art und Weise, wie sie eingefangen würden, meint Terrorismus-Experte John Horgan von der University of Massachusetts. „Es ist phänomenal aufregend für sie, diesem geheimen Club anzugehören. Und wenn das erstmal Wurzeln geschlagen hat, schlägt diese Begeisterung alles, was wir dem entgegensetzen können.“
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