IS und Alltagsleben im Irak: Festgesetzt in Mossul
Die vom IS gehaltene Stadt zu verlassen ist fast unmöglich. Nur unter Auflagen dürfen Zivilisten sich bewegen. Ein normales Leben ist kaum möglich.
BAGDAD ap | Aus dem Herrschaftsgebiet der Terrormiliz Islamischer Staat zu entkommen, hat einen hohen Preis. Diese Erfahrung macht gerade auch ein frisch verheiratetes Paar in der irakischen Stadt Mossul. Die Eheleute wollen ein normales Leben führen und suchen deshalb nach einer Möglichkeit, Mossul heimlich zu verlassen. „Das Leben mit diesen Leuten ist unerträglich“, sagt der Mann, der anonym bleiben möchte.
Die Terrormiliz hat strenge Auflagen erlassen – aus Furcht, dass keine Zivilpersonen in der Stadt zurückbleiben oder dass sich fliehende Einwohner dem Kampf gegen den IS anschließen. Mehrere Einwohner berichteten der Nachrichtenagentur AP telefonisch, wer die Stadt verlassen wolle, müsse den Rechtsanspruch auf das Haus seiner Familie oder sein Auto abtreten, falls es mehr als umgerechnet 19.000 Euro wert ist. Dann erhalte der Antragsteller die Erlaubnis, zwei Wochen lang wegzubleiben. Kommt er nicht rechtzeitig zurück, wird sein Besitz einbehalten.
„Wir werden von schlimmen und skrupellosen Leuten regiert“, sagt der 29-jährige Ehemann. Der Großteil seiner Familie floh bereits im Juni, als IS-Kämpfer Mossul im Handstreich einnahmen. Er blieb zurück, um das Haus seiner Familie zu schützen. „Wollen sie wirklich, dass ich das Haus, das mein Vater über viele Jahre gebaut hat, einem Afghanen oder Tschetschenen oder einem irakischen Dorfbewohner gebe, damit ich für immer wegziehen kann? Die träumen wohl.“
Er und seine Frau hatten für Anfang des Jahres eine rauschende Hochzeitsfeier geplant, mit einem hupenden Autokorso und einem großen Fest im Gemeindehaus mit vielen Angehörigen und Freunden. „Statt dessen hatten wir eine winzige Hochzeitsparty mit nur drei Autos, bescheidener Dekoration und fast keiner Musik. Nur wenige Verwandte kamen“, sagt die 22-jährige Ehefrau. „Das war bitter.“
Ausreise in medizinischen Notfällen
Nach der Hochzeit will das Paar nun Mossul verlassen, sitzt aber wegen der seit Oktober verhängten Auflagen fest. Zunächst durften nur frühere Polizisten und Angehörige der Streitkräfte nicht mehr aus der Stadt raus. So sollte verhindert werden, dass sie sich dem Kampf gegen den IS anschließen. Dann wurden die Auflagen verschärft, und es durften nur noch medizinische Notfälle oder Ruheständler ausreisen, die ihre Rente außerhalb der Stadt abholen mussten.
Inzwischen müssen selbst medizinische Notfälle Sicherheiten hinterlegen, und der medizinische Grund wird von einem aus IS-treuen Ärzten bestehenden Ausschuss überprüft. Ein Bewohner berichtete der AP, Ärzte in Bagdad hätten den Termin für seine Operation verschoben. Einer seiner Begleiter habe daraufhin nach Mossul zurückkehren und seine zweiwöchige Abwesenheitserlaubnis verlängern lassen müssen. Andernfalls hätte er sein Haus verloren.
Die Ausreisebeschränkungen gelten nur für Antragsteller, die nach Süden in den von Regierungstruppen gehaltenen Teil des Iraks reisen wollen. Fahrten in die Türkei und zurück sind weiterhin möglich.
Die Bewohner von Mossul verfolgen mit großem Interesse die Offensive der irakischen Streitkräfte und verbündeter schiitischer Kämpfer gegen den IS in Tikrit, 200 Kilometer südöstlich von Mossul. Eine Rückeroberung Tikrits gilt als wichtige Vorbereitung für die Wiedereinnahme Mossuls. Die irakischen Truppen stießen am Mittwoch erstmals nach Tikrit vor, am Donnerstag kämpften sie in der Stadt an zwei Fronten. Das Stadtzentrum wollten sie innerhalb drei oder vier Tagen erreichen.
Niqab ist Pflicht
In der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul haben viele Einwohner das Gefühl, sie hätten keine Wahl, als unter der Herrschaft des Islamischen Staats auszuharren. „Ich kann hier mit meiner Familie nicht weggehen, denn ich habe keine andere Einkommensquelle“, sagt ein Vater von vier Kindern und Großhändler für Kosmetika.
Das frisch verheiratete Paar aus Mossul sitzt weiter in der Stadt fest und muss sich der strengen Auslegung des Islams der neuen Herrscher beugen. Die Frau muss sich von Kopf bis Fuß verhüllen und einen Ganzkörperschleier, einen Niqab, tragen. Wenn beide zusammen ausgehen, müssen sie an Kontrollposten ständig ihre Heiratsurkunde vorzeigen. „Ich habe es satt, ich möchte mit meinem Mann ein normales Leben führen und jederzeit mit ihm ausgehen können, ohne mich um unsere Sicherheit sorgen zu müssen und ohne dass mich der Niqab stört, wenn ich in einem Restaurant esse“, sagt die Frau.
Das Paar ist nicht bereit, den Anspruch auf das Elternhaus des Ehemanns aufzugeben. Die beiden fanden schließlich einen Taxifahrer, der Menschen aus der Stadt schmuggelt. Doch der Mann forderte dafür 20.000 Dollar (rund 19.000 Euro), und so viel konnte das Paar nicht aufbringen. Beide arbeiten im öffentlichen Dienst. Jetzt suchen sie nach einem Schmuggler, den sie sich leisten können. Mehr als 5.000 Dollar seien nicht drin, sagen sie.
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