IS konkurriert mit al-Qaida: Dschihad's next Top-Terrorist
Unter den Dschihadisten tobt ein Konkurrenzkampf. IS und al-Qaida brauchen „prestigeträchtige“ Terrorziele, um sich zu profilieren.
BERLIN taz | Auf einer Säule brennt die Statue eines römischen Soldaten. Im Hintergrund: das Kolosseum. Dann wird die schwarze Fahne der radikalen Islamisten gehisst. Der neueste Propaganda-Clip der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) kündigt die Eroberung Roms an und sieht wie eine Kreuzung aus Videospiel und Größenwahn aus. Die Bildsprache ist lächerlich und pathetisch. Doch mit dem Vormarsch der IS-Terrormilizen in Nordafrika und den jüngsten Anschlägen in Frankreich und Dänemark bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Die Bedrohung ist zu real geworden.
Unter den Islamisten ist ein erbitterter Konkurrenzkampf ausgebrochen, in dem Europa eine zentrale Rolle spielt. Wer führt den Dschihad in Zukunft an? Wer sind die wahren Erben des Al-Qaida-Gründers Osama Bin Laden? Der IS – ursprünglich eine Abspaltung des Netzwerks – macht al-Qaida die Vormachtstellung streitig. Er sieht sich als al-Qaida in cooler, besser und erfolgreicher. Die irgendwo im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet herumvagabundierende Qaida-Führung kämpft dagegen an, von einer noch brutaleren Abzweigung in den Schatten gestellt zu werden.
Beide brauchen „prestigeträchtige“ Terroranschläge, um sich zu behaupten, am besten solche mit einer Schockwelle wie am 11. September. Die Morde in der Redaktion von Charlie Hebdo haben einen solchen Schock ausgelöst. Der Punkt ging an al-Qaida, denn die beiden Attentäter wurden offenbar in Jemen ausgebildet. Der Al-Qaida-Zweig auf der Arabischen Halbinsel (Aqim) ist einer der aktivsten und gefährlichsten in der islamischen Welt.
Der IS reagiert auf Paris nicht nur mit der Propaganda-Video-Attacke auf Rom. Auch die Angriffe des IS in Ägypten und auf Ägypter sind hochsymbolisch. Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri ist Ägypter. Er hat sich jedoch für den internationalen Dschihad entschieden und die „Befreiung“ seines Heimatlandes hintangestellt. Und nun kommt der IS daher, dem es schon jetzt gelungen ist, die ägyptische Regierung in den Krieg hineinzuziehen. Der Punkt geht an den IS.
Bald auch in Deutschland?
Und es geht noch weiter: Festgesetzt haben sich die IS-Milizen jedoch nicht nur in Libyen. Auf der Sinai-Halbinsel hat eine Gruppe extremistischer Islamisten bereits im vergangenen Jahr dem IS die Treue geschworen. Der Sinai liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel.
In Europa kursiert die Befürchtung, dass sich Dschihadisten über die Flüchtlingsrouten nach Europa einschleusen könnten. Doch viele radikalisierte Islamisten leben bereits in Europa oder können aus Syrien oder Irak unbehelligt zurückkehren. Man kann davon ausgehen, dass die europäischen Geheimdienste nicht alle IS-Kämpfer kennen. Wer sich nicht gerade bei einer Enthauptung filmen lässt, könnte auch von einer Pauschalreise in die Türkei zurückkehren.
Dass die deutschen Nachrichtendienste auf die sprunghaft gestiegene Anschlagsgefahr schlecht vorbereitet seien, haben Terrorexperten seit dem Sommer 2014 immer wieder bemängelt. Große Anschläge in Deutschland hat es bisher nur aus zwei Gründen nicht gegeben: Entweder die Attentäter waren zu dämlich, den Sprengstoff zur Explosion zu bringen, wie die Kofferbomber 2006. Oder es lagen Informationen ausländischer Geheimdienste vor, so dass das Schlimmste verhindert werden konnte wie bei der Sauerlandgruppe 2007.
Für die Dschihadisten im Kampf um das Erbe Bin Ladens ist entscheidend, dass ihre Anschlagsziele den Westen erstarren lassen. Sie werden sich auch die Schwachstellen in Europa suchen. Erkennbar ist in Deutschland bisher nicht, dass versucht wird, Sicherheitslücken zu schließen und die Nachrichtendienste für die anstehenden Bedrohungen effektiv zu rüsten. Erkennbar ist nur, dass es nicht reicht, ein paar Pässe einzuziehen und zu hoffen, dass es der NSA auffällt, wenn sich etwas Verdächtiges zusammenbraut.
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