IS-Prozess in Hamburg: Beweise aus dem IS-Büro
Vor dem Hamburger Landgericht ist ein mutmaßlicher IS-Kämpfer angeklagt. Doch der 27-Jährige will nur Hilfsgüter gebracht haben.
![Zwei Männer in orangenen Overalls sitzen nebeneinander Zwei Männer in orangenen Overalls sitzen nebeneinander](https://taz.de/picture/3907741/14/N4HH_aufm_3sp-1.jpeg)
Nach einer Stunde beraumt die Richterin eine Pause an, die Schulklasse strömt ins Erdgeschoss und trifft dort auf weitere SchülerInnen, die in anderen Prozessen sehen sollten, wie die Justiz ihre Arbeit tut. „Ihr habt was verpasst“, ruft einer der Schüler aus dem IS-Prozess, aber er steht zu weit weg, als dass man verstehen könnte, was die anderen verpasst haben. Einen Eindruck davon, wie kleinteilig es ist, Schuld nachzuweisen? Einen Eindruck davon, dass die Umgänglichkeit eines Angeklagten nichts über sein Verhalten außerhalb des Gerichtssaals aussagt – und umgekehrt?
Lennart M., 27 Jahre alt, verbirgt sich in der Kapuze seines Sweatshirts, bis die Fotografen den Saal verlassen haben. Er trägt kurze, blonde Haare, einen kurzen Bart und spricht so gedehnt, dass nichts dagegen spräche, ihn als Protagonisten für norddeutsche Bierwerbung anzuheuern.
Tatsächlich geht es aber um die Frage, ob er sich im vollen Bewusstsein der Tätigkeiten des IS – „Mord, Totschlag und Kriegsverbrechen“, so sagt es der Staatsanwalt – der Terrormiliz angeschlossen hat. Die Anklage stützt sich unter anderem auf einen Registrierbogen, der mutmaßlich aus der IS-Bürokratie stammt. Die Richterin liest Lennart M. diverse Angaben daraus vor, Geburtsdatum, Name, Name der Mutter, Meldeadresse. Einiges ist identisch, einiges ähnlich mit den Daten von Lennart M. Wie er sich das erkläre? Der Bogen sei gefakt.
Eine sehr blauäugige Reise
Es hat vor dem Prozessauftakt im Landgericht ein Verständigungstreffen zwischen Richterin, Staatsanwalt und M.s Verteidiger gegeben. Angesichts des kurzen Aufenthalts in Syrien, der zudem einige Jahre zurückliegt, sei eine Bewährungsstrafe denkbar – dann aber müsse M. die Vorwürfe eingestehen. Das hat er abgelehnt – und er bleibt auch an diesem Montag dabei.
Lennart M. ist deutlich in seiner Weigerung, Namen von Freunden oder Helfern zu nennen, aber er schildert bereitwillig seine Version seiner Reise nach Syrien. Die wirkt in vielem so blauäugig, dass das Gericht immer mal wieder nachhakt. M. sagt, er habe 6.000 Euro von Freunden gesammelt, um angesichts der Situation in den syrischen Grenzgebieten zu helfen. Das Geld habe er persönlich bringen wollen, damit es tatsächlich ankäme, und weil Konten, von denen aus gespendet würde, eingefroren würden. „Ich hatte schon Probleme mit dem Verfassungsschutz.“
Er habe eine Kontaktperson am Flughafen in Gazi treffen wollen, die aber verpasst und dann mit zufälligen Bekanntschaften Hilfsgüter gekauft. Er sei mit den Bekannten für einen Tag illegal über die Grenze nach Syrien gereist, habe die Güter dort verteilt, sei dann zurück in die Türkei gefahren und nach einem Unfall zur medizinischen Versorgung zurück nach Deutschland geflogen.
Das Gericht wirkt mäßig überzeugt. Den Rest dieses ersten Prozesstages fragt es nach M.s Werdegang, seiner Konversion zum Islam, der abgebrochenen Schule, der abgebrochenen Uhrmacherlehre. Es wird nicht wirklich klar, was M. am Islam so angezogen hat – nur, dass ihn jedes Infragestellen dieses Glaubens empfindlich trifft. Einer Bekannten, die mutmaßte, er wolle nur muslimisch heiraten können, empfahl er, lieber ihr Kopftuch richtig zu tragen. Und seine Zeit an der Stadtteilschule schildert er als Spießrutenlauf, zu Unrecht als Salafist verdächtigt und von Lehrern verspottet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!