IS-Gefangene in Syrien: Kurden wollen selbst richten
Syriens Kurden wollen ausländische IS-Kämpfer vor Gericht stellen. Staaten wie Deutschland weigern sich, ausgereiste Dschihadisten zurückzuholen.
Immer wieder hat die Selbstverwaltung gefordert, dass die Herkunftsländer die Personen zurückholen und selbst strafrechtlich verfolgen. Da in vielen Fällen aber Beweise fehlen dürften, um die mutmaßlichen Dschihadisten zu Freiheitsstrafen zu verurteilen, sind bislang fast ausschließlich Frauen und Kinder repatriiert worden.
„Um Gerechtigkeit zu erreichen und die Opfer zu würdigen, hat die Selbstverwaltung beschlossen, offene, faire und transparente Gerichtsverfahren gegen inhaftierte IS-Angehörige aus dem Ausland zu beginnen“, heißt es in einer Mitteilung, die die Selbstverwaltung Mitte des Monats veröffentlichte. Die Prozesse würden im Einklang mit „den internationalen und lokalen Terrorismusgesetzen“ durchgeführt.
Das Problem: Bei Nordostsyrien handelt es sich weder um einen Staat mit eigenem Justizwesen noch um eine offizielle Autonomieregion, sondern lediglich um eine de facto selbstständige Region in Syrien. Staaten wie Deutschland könnten Urteile der Selbstverwaltung gegen eigene Staatsbürger nicht anerkennen. Auch stellt sich die Frage, ob die Selbstverwaltung in der Lage ist, die voraussichtlich sehr aufwändigen Prozesse durchzuführen.
Kinder werden radikalisiert
Kurdisch dominierte Kräfte hatten Nordostyrien im Zuge des Syrienkriegs unter ihre Kontrolle gebracht und haben seitdem ein Gemeinwesen mit eigenen Streitkräften aufgebaut, das weitgehend unabhängig ist vom Assad-Regime in der Hauptstadt Damaskus. 2019 führten kurdisch dominierte Milizen mit maßgeblicher internationaler Unterstützung den Kampf gegen den IS und beendeten damit die Herrschaft der Dschihadisten.
Dabei gerieten viele IS-Kämpfer und deren Familien in Gefangenschaft. Insgesamt hält die kurdisch geführte Miliz der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) mehr als 10.000 mutmaßliche IS-Kämpfer in etwa zwei Dutzend Internierungslagern gefangen.
Unter ihnen sind etwa 2.000 Ausländer. Hinzu kommen nach kurdischen Angaben mehrere Tausend ausländische Frauen und Kinder. Die Zustände in den Lagern sind miserabel, es herrschen mafiaähnliche Strukturen. Zudem droht eine weitere Radikalisierung der vielen Kinder in den Lagern.
Rund 100 Deutsche in Gefangenschaft
Die Bundesregierung hat in sieben Rückholaktionen insgesamt 27 Frauen, 80 Kinder und einen Jugendlichen, der als Kind nach Syrien gebracht wurde, aus Nordostsyrien zurückgeholt – also keinen einzigen Mann.
Die nun angekündigten Prozesse kommentierte das Bundesinnenministerium auf taz-Anfrage: „Diese Ankündigung passt zu ähnlich gelagerten Mitteilungen aus den vergangenen Jahren. Es bleibt abzuwarten, wann und in welcher Form die Umsetzung der Prozesse erfolgt.“
Auf die Frage, wie viele Deutsche vor Gericht gestellt werden könnten, verwies das Innenministerium auf mangelnde Informationen. Offenbar geht es jedoch um eine – möglicherweise hohe – zweistellige Zahl: Aktuell würden sich noch etwas mehr als 400 Personen im Ausland befinden, die Richtung Syrien oder Irak ausreisten, um sich vermutlich dem IS anzuschließen. Davon säßen aber nur rund 100 in Haft oder Gewahrsam in Syrien, Irak oder der Türkei. Die restlichen 300 Personen seien auf freiem Fuß, könnten aber auch getötet worden sein.
Das Auswärtige Amt in Berlin teilte am Montag mit, es wisse von „einer niedrigen bis mittleren zweistelligen Anzahl“ deutscher Staatsangehöriger, die sich in kurdischem Gewahrsam befinden. Diese Angabe bezieht sich allein auf männliche Staatsbürger. Ob die Selbstverwaltung auch plant, Frauen vor Gericht zu stellen, war zunächst unklar.
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert um 16.26 Uhr.
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