Hype um das Videospiel „Fortnite“: Eine dadaistische Spielwiese
Auf den Schulhöfen dieser Welt wird nur über eins gesprochen: das Videospiel „Fortnite“. Was fasziniert Millionen von Spielern daran?
Es ist dieses befriedigend satte Grün, das sich über Hügel zieht und in einem Irrgarten aus Häusern und Gängen endet. Es ist ebenso dieses Quietschen, das aus der Ferne kommt, der kurze Schockmoment, ob es sich um Freund oder Freund handelt – ein Freund! –, der in einem Einkaufswagen angerollt kommt, kurz innehält und dann den grünen Hügel hinunterscheppert.
Für Videospiele interessiere ich mich schon lange. Spiele sie, schreibe über sie. Das Spiel „Fortnite“ jedoch – das ist auch für mich, ja, Neuland. Gleichzeitig aber ist „Fortnite“ auch das aktuell erfolgreichste Spiel überhaupt. „Fortnite“ ist ein globales Phänomen, das von Kindern und Jugendlichen genauso verstanden wird wie von Erwachsenen. Ein Phänomen, das schon Popkultur geworden ist. Also habe auch ich es nun für einige Stunden gespielt.
„Fortnite“ ist ein Vertreter des sogenannten „Battle Royale“-Genres. In diesen Spielen geht es grob ausgedrückt darum, als letzter Spieler auf einem ausladenden Spielfeld zu überleben. Zu diesem Überleben gehört, andere Spieler zu besiegen – indem man sie mit einer der zahlreich auf dem Spielfeld auffindbaren Waffen trifft.
Ja, „Fortnite“ ist ein sogenannter Shooter – da man in diesem Spiel schießt. Insgesamt finden sich pro Runde 100 Spieler auf dem Spielfeld wieder. Während eines Matches wird das Spielfeld aber immer kleiner. Ein Sturm tobt an den Rändern und zieht sich immer weiter zusammen.
Die Spieler müssen diesen meiden und so immer weiter in die Mitte des Feldes vordringen – es ist also im wahrsten Sinne vorprogrammiert, dass die Spieler sich nicht aus dem Weg gehen können. Je nach gewähltem Modus kämpft man alleine, in einer Gruppe aus fünf Menschen, die dann auch möglichst taktisch zusammenarbeiten müssen. Oder aber es kämpfen 50 gegen 50.
Wer besser baut, siegt
Der letzte Modus war es, der mich in meinem ersten Match reizte. Die Überlegung: Wenn ich mit 50 Menschen zusammen kämpfe, falle ich sicher nicht so auf – bekomme womöglich sogar Hilfe. Die Runde startet damit, dass ein Bus über dem Spielfeld fliegt. In diesem Bus befinde ich mich mit den 99 anderen Spielern. Auf Knopfdruck verlassen sie alle den Bus, springen ins Freie und fliegen in wahnwitziger Geschwindigkeit auf den Boden zu.
Bis sie alle schlussendlich einen Fallschirm ziehen und sicher landen. Mich verschlägt es, völlig ortsunkundig, auf das eingefallene Dach eines allein auf weiter Flur stehenden Hauses. Hier finde ich zum Glück direkt eine Waffe. Und ich finde einige andere Spieler*innen, die alle in eine Richtung laufen – denen schließe ich mich an. Kurz darauf sehe ich direkt das, was „Fortnite“ so besonders macht.
Ich sehe, wie Spielfiguren vor Bäumen, Steinbrocken und Bauten stehen und mit einer Spitzhacke auf sie einschlagen. Sie bauen Rohstoffe ab, um gleich darauf die wahnwitzigsten Bauten zu kreieren.
In „Fortnite“ gewinnen nämlich nicht die Spieler, die am besten virtuell schießen können, sondern diejenigen, die am besten bauen können. Stege etwa, um einen höheren Punkt zu erreichen und damit im Vorteil zu sein. Türme, um die Umgebung zu scannen. Oder Schutzwälle, um sich und das Team vor gegnerischem Beschuss zu schützen. Diese Bauten entstehen teilweise im Flug, bauen sich im schnellen Lauf direkt vor den Spielern auf, um sie über einen tiefen Abgrund zu bringen.
Nicht ganz gratis
Auf mich wirkt das beinahe wie eine Choreografie. Eine moderne Kunstinstallation, die immer wieder neu entsteht und dann wieder abgerissen wird. Genauso aber lässt mich dieses Schauspiel erkennen, wie gut man in diesem Spiel werden kann. Und wie kreativ. Denn im Laufe meiner ersten Matches bleibe ich immer wieder stehen, um die anderen Spieler zu beobachten.
Wie sie auf Trampolinen in die Höhe springen, Holzsteg an Holzsteg reihen und sich damit zum Himmel emporschrauben. Oder eben wie sie Gegenstände wie einen Einkaufswagen nutzen, um über Hügel zu brettern. In diesen ersten Stunden meines Spielens ahne ich schon, was dieses Spiel so erfolgreich macht.
Ein paar Zahlen: Im Mai hat das Studio hinter „Fortnite“, Epic Games, 318 Millionen Dollar eingenommen – nur mit diesem Spiel. Kürzlich gab das Unternehmen bekannt, dass 125 Millionen Menschen weltweit „Fortnite“ spielen. Auf ganz unterschiedlichen Plattformen: PC, PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch oder iPhone. Die hohe Zahl der Spieler lässt sich auch dadurch erklären, dass das Spiel zunächst kostenlos ist. Es handelt sich um das „Free to Play“-Modell, das Spielern ein kostenloses Spielen ermöglicht, gleichzeitig aber mit kostenpflichtigen Zusatzangeboten lockt.
So bietet der „Battle Pass“ etwa die Möglichkeit, dass Spieler besondere Kostüme oder Emotes – also Bewegungen wie Siegesposen und Tänze – freispielen können. Dafür müssen sie dann aber 10 Euro zahlen. Durch diese niedrige Schwelle ist „Fortnite“ auch gerade für ein jüngeres Publikum sehr reizvoll.
Nach gut vier Stunden des Spielens kann ich erste kleine Erfolge verbuchen. Ich habe langsam raus, wie ich zumindest einfache Wälle und Stege bauen kann. Ich habe auch schon die ersten Spieler getroffen, bevor sie mich treffen konnten. Ein paar Mal habe ich es schon unter die besten 20 geschafft und merke direkt, dass dieses Spiel mich anspornt, besser zu werden.
Gewaltgrat: Ducktale-Comics
Und ich merke auch, woher dieser Hype um das Spiel kommt – es macht einfach Spaß. In seinem absoluten Wahnsinn, in seinen fast schon dadaistischen Momenten, in denen Spieler hüpfen, schießen, tanzen, bauen und Einkaufswagen fahren. Dazu kommt diese bunte Grafik, die auf Gewaltdarstellungen weitestgehend verzichtet: Ein Ducktales-Comic dürfte einen ähnlichen Gewaltgrat haben.
„Fortnite“ ist inzwischen schon mehr als ein Videospiel, es ist Popkultur. Rapper wie Drake streamen das Spiel im Internet und Hunderttausende schauen zu. Profisportler stellen die Tänze und Siegesposen aus dem Spiel nach, wie zuletzt etwa Fußballer Antoine Griezmann beim WM-Finale. Auf den Schulhöfen dieser Welt wird momentan über kein Thema ausgiebiger gesprochen. Es ist ein verbindendes Moment. Genauso lässt es aber auch viele Eltern fragend zurück, die nicht verstehen, womit ihre Kinder viele Stunden ihres Tages verbringen.
Auch ich bin nun wohl ein Teil dessen, wenn ich auch niemals einen Turm so schnell und so hoch bauen werde, dass es mir zum Vorteil gereicht. Aber mit einem Einkaufswagen über grüne Hügel zu rasen ist auch schön.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch