Hunger wegen Agrarspekulationen: Schon lange bekannt
Die Chefs von Allianz und Deutscher Bank sehen kein Problem. Interne Papiere der Konzerne aber warnen vor steigenden Lebensmittelpreisen.
BERLIN taz | Öffentlich beteuern Chefs der Deutschen Bank und des Versicherungskonzerns Allianz, dass die Spekulation mit Wertpapieren auf Basis von Nahrungsmitteln den globalen Hunger nicht vergrößere. Doch die Forschungsabteilungen der Firmen warnen bereits seit Jahren, dass der Handel mit Lieferverträgen für Agrarrohstoffe wie Mais, Soja oder Weizen die Preise für Lebensmittel steigere.
Viele der weltweit 870 Millionen Hungernden können sich nicht genug Essen kaufen, weil die Preise zu hoch sind. Es gebe aber „kaum stichhaltige empirische Belege“ für einen Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung von „Agrarfinanzprodukten“, sagte Deutsche-Ko-Chef Jürgen Fitschen im Januar. Allianz-Vorstandsmitglied Jay Ralph erklärte, die Agrarinvestitionen seines Unternehmens seien sogar nützlich im Kampf gegen den Hunger.
In einem als „ausschließlich zur internen Nutzung, vertraulich“ gekennzeichneten Dokument des Allianz-Konzerns, das die Verbraucherorganisation Foodwatch am Sonntag veröffentlicht hat, heißt es aber: Es sei „doch wahrscheinlich“, dass „spekulative Kapitalströme […] die Preisentwicklung zumindest verstärkt haben“. In einem weiteren Papier hielt die volkswirtschaftliche Abteilung der Allianz bereits 2008 fest: „Die Preisausschläge an den Agrarmärkten wurden durch spekulative Faktoren nicht ausgelöst, aber verstärkt.“
Ähnlich sehen es Forscher der Deutschen Bank: „Auch die Spekulation hat zu Preissteigerungen beigetragen“, schrieben sie im September 2009. Und im September 2010: „Solche Spekulationen können für Landwirte und Verbraucher gravierende Folgen haben und sind im Prinzip nicht akzeptabel.“
„Der eigentliche Skandal ist, dass Deutsche Bank und Allianz ganz genau wissen, welchen Schaden sie mit ihren Finanzprodukten anrichten – aber die Öffentlichkeit täuschen“, kritisierte Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode.
Allianz-Sprecher Nick Tewes sagte hingegen der taz, das Unternehmen habe keinen Zusammenhang zum Geldzu- und -abfluss der Agrarfonds der Konzerntochter Pimco feststellen können. Deutsche-Bank-Sprecher Klaus Winker wiederholte Fitschens Erklärung vom Januar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?