Demos gegen Rechtsextremismus: 150.000 protestieren bundesweit
Seit Freitag haben mehr als 150.000 Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Wir haben etwa 140 Demos ausgewertet.
BERLIN taz | Unter Schirmen und Kapuzen versammelten sich am Sonntag in Syke etwa 400 Menschen, um die Demokratie nicht im Regen stehen zu lassen. Wie an einigen Orten im Nordwesten Deutschlands regnete es in Strömen. Doch egal, ob Regen oder Sonne: wieder gingen die Menschen in ganz Deutschland zahlreich auf die Straße. Seit Freitag (16.02.) demonstrierten nach Informationen der taz mindestens 170.000 Menschen an 141 Orten gegen Rechtsextremismus.
Am Ende der einstündigen Veranstaltung im niedersächsischen Syke wurde laut der Kreiszeitung ein Gedicht vom Münchner Schauspieler Simon Pearce vorgetragen:
Bei Hitlers brennt noch Licht
Es ist nie ganz erloschen, nur eine kurze, ruhige Zeit war’s Fenster fest verschlossen. Nur ab und zu, ganz schüchtern fast, kaum hörbar, ein Gewisper … Man nahm’s kaum wahr und dachte sich: „Was soll’s? Da ist noch Licht an.“ Bei Hitlers brennt noch Licht – Jetzt treten sie ans Fenster. Jetzt sieht man sie, jetzt hört man sie … das sind keine Gespenster. Ganz stolz und lautstark steh’n sie da, entzünden und krakeelen. Und ihre Drohung ist ganz klar: „WIR GEHEN WIEDER WÄHLEN!“ Bei Hitlers brennt noch Licht. Vernunft, wo bist Du? Wo? Komm' raus und hilf … und schalt' es aus. … sonst brennt es lichterloh.
Simon Pearce
Etwa 3,4 Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus
Seit dem zweiten Januarwochende kommen immer mehr Menschen heraus und helfen, wie eine taz-Auswertung zeigt. Von den erfassten 1.162 Demonstrationen konnten wir für 1.093 Teilnehmendenzahlen ermitteln. Demnach versammelten sich bisher mindestens 3,4 Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie.
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Am Politischen Aschermittwoch letzte Woche wurden die Grünen derart bedroht, dass sie ihre Veranstaltung auf Anraten der Polizei absagen mussten. Jürgen Trittin, der in Biberach eine Rede halten wollte, spricht im Interview mit der taz von „einem rechten Mob“ und einem „organisierten Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Wegen der Ausschreitungen hielten etwa 350 Menschen in Biberach am Samstag eine Mahnwache ab. Sie demonstrierten gegen Demokratiefeindlichkeit.
In Münster fand am letzten Freitag die größte Demonstration für die Demokratie statt. Etwa 30.000 Menschen fanden sich vor dem historischen Rathaus und auf dem Domplatz ein.
Am Samstag stellten sich etwa 1.000 engagierte Demokraten und Demokratinnen in Worms der Kleinstpartei „die Rechte“ entgegen. Am Hauptbahnhof fand die Gegendemo statt und war zahlenmäßig um das Hundertfache überlegen. Die zehn Rechten von „die Rechte“ habe man zwischen den Buh-Rufen nicht gehört, schreibt die Wormser Zeitung. In Wolfsburg kamen am Sonntag zwischen 6.000 und 7.000 Menschen zusammen.
Die kleinste uns bekannte Demonstration war tatsächlich von den Kleinsten: Eine Kinder-und Jugenddemo im bayerischen Langquaid mit 50 Teilnehmenden am Freitag. Laut der Mittelbayerischen Zeitung sind sie dabei von AfD-Vertretern beobachtet worden.
Hanau ist überall
Ein weiterer Anlass an diesem Wochenende auf die Straße zu gehen war das Gedenken an die Opfer des rechtsextremen Terrors in Hanau. 2020 wurden dort neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet. Ein Demonstrationszug mit etwa 5.000 Teilnehmenden lief am Samstag an den Tatorten vorbei, erinnerte und mahnte. Auch am Montag sind deutschlandweit zahlreiche Kundgebungen und Mahnwachen zum vierten Jahrestag angekündigt. Die genauen Termine und Orte könnt ihr unserer Karte entnehmen. Sie sind mit #saytheirnames gekennzeichnet.
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Für die kommenden Wochen sind weitere Demonstrationen angemeldet. Die taz hat bisher über 50 Versammlungen gelistet.
Seit mehr als drei Wochen sammeln wir die Termine für die aktuellen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus – unter anderem über die Mail-Adresse demohinweise@taz.de. Inzwischen haben uns mehr als 650 Hinweise erreicht. Diese Liste bildet die Basis für unsere Analyse, die verarbeiteten Daten können aus unseren Grafiken heruntergeladen und frei verwendet werden. Wir freuen uns über Hinweise auf Fehler und veraltete Informationen und korrigieren diese gerne.
Leser*innenkommentare
2Cents more
Dass 3,4 Millionen Menschen für die Demokratie und den Rechtsstaat statt Willkür und Hetze, seit Wochen friedlich auf die Straße gehen, zeigt dieses Deutschland ist es Wert dafür einzustehen. Wir wollen es nicht diesen lauten Hetzern überlassen.
Die meisten sind kleine, leise Demonstrationen ohne großartige Berichterstattung in den Medien und zeigen vor Ort die Solidarität der mehrheitlichen Demokraten zu unserem Land.
Sie sollen den Wählern der AFD Denkanstöße geben, ob diese Partei überhaupt ihre Probleme lösen will, oder doch nicht eher nur an die Hebel der Macht, um dann ihre wirklichen Ziele zu verfolgen.
Diese Hetzer und Heuchler berauschen sich am Gedanken, sie kämen bald in Deutschland die Macht.
Sie lügen, wenn sie behaupten, sie sprächen für die schweigende Mehrheit.
Rechts- und linksextremistisches Gedankengut sind Teil dieser Bevölkerung, aber nur weil sie es laut, hetzend, lügend, polarisierend und medienwirksam hinausposaunen, verfügen sie nicht über eine Mehrheit.
Wer wissen will, welches ihre wahren Ziele sind, kann es lesen und hören und das erfolgt wohl auch, wenn ich Umfragen Glauben schenke.
rakader
Tolles Projekt. Toller Einsatz für die Demokratie. Einfach vielen Dank dafür!
Nachtsonne
In Deutschland sind etwas mehr als 60Mio. Personen wahlberechtigt. Davon haben sich am Wochenende 170.000 versammelt, macht aufgerundet 0,3%. "Demnach versammelten sich bisher mindestens 3,4 Millionen Menschen". Nur leider wohl nicht 3,4 Millionen unterschiedliche Menschen. Das ist doch recht überschaubar, um nicht zu sagen enttäuschend. Aber vielleicht bringt es den ein oder anderen AFD-Wähler zum Nachdenken. Wir werden sehen.