Hunde in der Coronazeit: Die Einsamkeit der Hunde
Sechsmal am Tag Gassigehen – was ist bloß mit den Menschen los? Und warum ist die Stadt so leer? Das Leben der Hunde in der Pandemiezeit.
Die Vereinsamung der Hunde in der Stadt, der Haushunde, die tagsüber oft allein sind, weil ihre Besitzer in irgendeiner Firma arbeiten, scheint mit dem verordneten Shutdown und der Heimarbeit wenigstens vorübergehend gestoppt zu sein. Es mehren sich sogar die Fälle, da es Hunden zu viel wird, dass laufend Nachbarn oder Kinder ankommen, die mit ihnen rausgehen wollen, weil sie so auch mal an die „frische Luft“ dürfen. Einige Leute annoncieren bereits im Internet, dass sie im Falle, dass ein Hundebesitzer in Quarantäne ist, gerne seinen Hund ausführen würden – „ehrenamtlich“. Viele gehen jetzt gleich ins Tierheim und adoptieren einen Hund.
In der taz gibt es einige Bürohunde, denen die Arbeit ihrer Besitzer im Homeoffice keine große Veränderung gebracht hat, insofern sie hier wie dort bei ihm sind. In der taz halten sie sich in der Nähe seines Schreibtischs auf und im häuslichen Homeoffice ebenfalls – und hier wie dort geht man ab und zu mit ihnen auf einen Spaziergang nach draußen.
Es gibt Anzeichen dafür, bei einem Boxer-Weibchen etwa, dass sie sogar lieber in der taz sind, weil sie dort nicht nur neben dem Schreibtisch liegen (müssen). Immer wieder kommt ein taz-Mitarbeiter vorbei, der eine Runde oder mehrere mit ihnen spielt – und sie zum Beispiel um sämtliche Schreibtische herumjagt, im vermeintlichen Versuch, ihnen ihren Gummiknochen abzujagen.
Der „glückliche Hund“ wird gepostet
Ein anderer Bürohund aus der taz hat es noch besser: Nach einem Sturz mit dem Motorroller muss sich dessen Besitzerin nun auskurieren. Um das Gehen wieder zu üben, fährt sie jeden Tag aufs Land mit ihm, wo die beiden durch Felder und Wälder streifen. Anschließend postet sie stets ein Foto von ihrem „glücklichen Hund“ auf Facebook. Zwei Rentnerinnen im nahen Besselpark meinen, dass der Shutdown für ihren kleinen weißen Vierbeiner keine Bedeutung hat: Sie seien sowieso immer zu Hause mit ihr, Olga, und wenn sie einkaufen oder Besorgungen machen müssten, dann nähmen sie sie jedes Mal mit.
An dieser Stelle warf die Besitzerin eines Hütehundes ein: Sie lebe auf dem Land, und er könne rein und raus, auch in die Felder und nahen Wälder, er streune aber nicht allzu weit außerhalb des Grundstücks, seinem Revier. Bei den Hunden, bei denen man das „Gassigehen“ mit den eigenen Einkäufen verbindet, war sie sich sicher, dass sie – jedes Mal vor den Läden wartend – extrem leiden würden, denn sie könnten sich so – an einer Leine festgebunden – nicht richtig verteidigen, wenn ein Hund oder ein Mensch ihnen zu nahe käme oder sie angreifen würde.
Außerdem sei das Ladeninnere für sie doch äußerst vielversprechend, bleibe ihnen aber unverständlicherweise verwehrt. „Wie viele Hunde jaulen vor den Supermärkten oder allein in einer Wohnung – und freuen sich tierisch, wenn ihr Herrchen oder Frauen wiederkommt und sie erlöst?“
Der Mensch ist ein schwacher Ersatz
Mit der Hundeforscherin Elizabeth Marshall Thomas ist sich die Hundehalterin einig, dass die Menschen für Hunde nur ein hundeähnlicher, schwacher Ersatz sind. Mit den Worten der feministischen Biologin und Hundebesitzerin Donna Haraway: „Die Wildheit bleibt doch unsere ganze Hoffnung“. Dass Gassigehen an der Leine, auch wenn man noch so sehr auf die Schnüffelbedürfnisse seines Hundes Rücksicht nehme, sei nur ein äußerst schwacher Ersatz für dessen Bedürfnis nach Wildheit, nach Herumjagen.
Trotzdem mache es natürlich einen Unterschied, ob man zwei Mal am Tag oder wie jetzt während des Lockdowns mindestens sechs Mal am Tag mit seinem Hund rausgehe und zudem auch die übrige Zeit mit ihm verbringe, ihn streichle, kämme, verschiedene Leckereien anbiete und mit ihm rede.
Wenn man jedoch davon ausgehe, dass die Coronapandemie irgendwann zu Ende ist und damit auch die Zeit im Homeoffice, dann werde der Hund tagsüber ganz sicher noch mehr unter seiner Einsamkeit in einer Wohnung leiden als früher.
Ein in Berlin-Charlottenburg lebender Amerikaner, der einen Mischlingshund aus dem Tierheim besitzt und unter anderem von zu Hause aus arbeitet, versucht nebenbei herauszubekommen, wie Hunde ihre Beziehung zu einem Menschen kontrollieren und aufrechterhalten. Er erzählte, dass sein Hund Shape es z. B. mit seiner offensichtlichen Überzeugung, dass er ihn ausführen werde, schaffe, dass genau diese Absicht bei ihm ausgelöst werde.
Depression im Zoologischen Garten
Aber jetzt während der Shutdowns, da er viel mehr als sonst zu Hause arbeite und sich sowieso die meiste Zeit dort aufhalte, lasse Shape ihn unbeeinflusst – also ihn selbst auf den Gedanken kommen, mal wieder mit ihm auf einen Schaufensterbummel oder Grunewaldspaziergang nach draußen zu gehen.
Überhaupt habe er den Eindruck, dass sein Hund jetzt, da die Stadt in der Coronazeit wie ausgestorben wirke, viel weniger gerne nach draußen gehe als früher noch.
Er habe außerdem gehört, dass selbst die Tiere im Zoo darunter leiden, dass keine Besucher mehr kämen, ein Zoodirektor berichtete sogar, dass sie regelrecht depressiv geworden wären – und die Tierpfleger mit ihnen. Die Hunde seien da aber anders – äußerst anpassungsfähig: „Die drehen nicht so schnell durch im Shutdown.“
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