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Humanitäre Not in AfghanistanGeldmangel nach dem Erdbeben

Nach dem Erdbeben in Afghanistan mit bis zu 5.000 Verletzten fehlen laut Uno Milliarden Dollar für Hilfe. 3.000 Familien brauchen Notunterkünfte.

Afghanische Kinder in der vom Erdbeben schwer betroffenen Provinz Khost Foto: Ali Khara/reuters

Langsam wird die Lage klarer nach der Erdbebenkatastrophe im Südosten Afghanistans vom 22. Juni. Insgesamt seien fast 362.000 Menschen in den Provinzen Paktika und Chost davon betroffen. Nach Angaben verschiedener UN-Unterorganisationen vom Montag wurden über 1.000 Menschen getötet und weitere 3.000 verletzt. Das Taliban-Gesundheitsministerium spricht sogar von bis zu 5.000 Verletzten. Viele Dörfer im Bebengebiet, vor allem im besonders schwer betroffenen Distrikt Barmal, wurden noch gar nicht von Rettungsmannschaften und Nothilfe erreicht.

3.000 Familien benötigen Notunterkünfte, weil ihre Häuser zerstört oder stark beschädigt sind. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 20 Menschen in dem Gebiet sind das insgesamt 60.000 Obdachlose. Bei der vorherrschenden Lehmziegelbauweise sind Reparaturen bei schweren Beschädigungen fast unmöglich; es muss woanders neu gebaut werden. Gleichzeitig aber ist Land knapp.

Viele Menschen übernachten zudem aus Furcht vor den täglichen Nach­beben im Freien. Die UNO befürchtet auch, dass wegen des Mangels an sauberem Trinkwasser Cholera und Durchfallerkrankungen ausbrechen könnten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verteilt bereits vorbeugend Medikamente. In den chronisch unterausgestatteten lokalen Kliniken werden unterdessen immer mehr Verletzte eingeliefert, darunter viele mit schweren Schädigungen und Traumatisierungen. Die kleine Klinik im besonders schwer betroffenen Distrikt Gian war schnell überlastet. In Gian errichtete Unicef inzwischen vier geschützte Räume für traumatisierte Kinder. Aber auch die schleunigst entsandten Notärzteteams der WHO, der Ärzte ohne Grenzen oder der in Afghanistan sehr aktiven italienischen NRO Emergency dürften bei der hohen Opferzahl zumindest kurzfristig überfordert sein.

Große Finanzierungslücke

Laut dem UN-Chef für Humanitäres, Martin Griffiths, gab die Weltorganisation am Wochenende 10 Millionen US-Dollar für Soforthilfe in Afghanistan frei. Gleichzeitig wies sein Landesbeauftragter Ramiz Alakbarov darauf hin, dass jetzt der Fokus „auf Nachhaltigkeit und der Wiederherstellung von Nahrungs- und Landwirtschaftssystemen“ liegen müsse, also langfristigem Wiederaufbau. Die UNO hat aber bei ihrem humanitären Appell für 2022, der schon vor dem Erdbeben herausging, eine Finanzierungslücke von fast 3 Milliarden Dollar ausgemacht.

Von den benötigten über 4 Milliarden sei erst ein Drittel eingegangen, so Alakbarov vorigen Freitag vor dem Weltsicherheitsrat. Einige Geberländer hätten zugesagte Mittel noch nicht überwiesen. Das Geld sollen die bereits vor dem Erd­beben eingetretenen, verheerenden Folgen der stärksten Dürre seit 20 Jahren sowie den Wirtschaftskollaps nach dem Abzug der westlichen Truppen und der Taliban-Machtübernahme mildern. Auch die Gesundheitsinfrastruktur soll stabilisiert werden.

Griffiths kritisierte aber auch, dass Taliban-Behörden trotz gegenteiliger Zusagen aus Kabul „zunehmend“ versuchten, sich in die Auswahl der Hilfeempfänger einzumischen und die Hilfe in die eigene Klientel zu kanalisieren. Das ist nicht in allen Fällen an sich problematisch, denn die Taliban priorisieren – in dieser Reihenfolge – Kriegsversehrte, Witwen, Waisen und Drogenabhängige. Es gefährdet aber die Unabhängigkeit der Hilfswerke. Griffiths fügte an, dass die „meisten Fälle von Einmischung“ durch die Einbeziehung zentraler Taliban-Stellen in Kabul gelöst werden. „Aber für jedes gelöste Problem entsteht ein neues“, so Griffiths. Das verdeutlicht, dass die Talibanregierung nach wie vor keinen durchgehenden Zugriff auf das Verhalten ihrer Leute auf lokale Ebene hat oder keine internen Konflikte und Streitigkeiten riskieren will.

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