piwik no script img

Humanitäre Not im Gazastreifen38.000 Mahlzeiten aus der Luft

Nach dem Hilfskonvoi-Vorfall weist Israel die Verantwortung dafür zurück. Die Not in Gaza bleibt groß – abgeworfene Hilfen dürften wenig ändern.

Hilfsgüter kommen geflogen: Szene aus dem Norden Gazas am 2. März 2024 Foto: Omar Qattaa/Anadolu Agency/picture alliance

Jerusalem taz | Rania Abu Anza will sich nicht von ihren Kindern trennen. Aufnahmen der Nachrichtenagentur Reuters zeigen die Mutter der wenige Monate alten Zwillinge Wesam und Naeem bei deren Beerdigung am Sonntag in Rafah im Süden des Gazastreifens. Die Frau ist in einen dunkelblauen Hidschab gehüllt und beugt sich über ihr in ein weißes Leichentuch geschlungenes Mädchen. „Wir haben geschlafen, wir haben nicht geschossen und nicht gekämpft. Was ist ihre Schuld?“, zitiert Reuters Abu Anza. „Lasst sie bei mir.“

Insgesamt fünf Kinder sind laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium bei einem israelischen Angriff auf ein Haus in Rafah getötet worden. Die israelische Armee teilte mit, am Samstag „Terror-Infrastruktur“ des Palästinensischen Islamischen Dschihads in Rafah angegriffen zu haben. Zudem seien in der Nacht auf Sonntag binnen weniger Minuten rund 50 „terroristische Ziele“ in Chan Junis getroffen worden.

Während der Krieg im Gazastreifen ungemindert weitergeht, wies Israels Armeesprecher Daniel Hagari am Sonntag die Verantwortung für den Tod von mehr als 100 Menschen nahe einem humanitären Hilfskonvoi am vergangenen Donnerstag weitgehend zurück. Laut einer ersten Untersuchung sei ein Großteil der Opfer bei einer Massenpanik „totgetrampelt“ oder überfahren worden. Soldaten hätten Warnschüsse in die Luft abgegeben und zur Selbstverteidigung auf mehrere Menschen geschossen, die sich ihnen genähert und eine „unmittelbare Gefahr“ dargestellt hätten.

Vor dem Krieg kamen täglich 500 Lastwagen an

Das widerspricht den Angaben der Gesundheitsbehörden im Gazastreifen, denen zufolge israelische Soldaten das Feuer auf den Hilfskonvoi eröffnet haben. Das französische Außenministerium bezeichnete die Schüsse der Soldaten auf Zivilisten auf der Suche nach Nahrungsmitteln als „nicht zu rechtfertigen“. Auch der UN-Sicherheitsrat hob in einer Erklärung am Wochenende hervor, dass UN-Vertreter Schusswunden bei Verletzten gesehen hätten. Zudem zeigten sich die Ratsmitglieder „zutiefst besorgt“ über die Hungerkrise in dem Küstenstreifen.

Die USA begannen am Samstag mit dem Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft. Diese dürften die humanitäre Notlage jedoch kaum entschärfen: Nicht nur sei es laut dem ehemaligen Direktor des US-Hilfswerks USAID in den palästinensischen Gebieten, Dave Harden, unwahrscheinlich, dass sie die Schwächsten und Bedürftigsten erreichen. Auch die Menge ist nicht annähernd ausreichend. 38.000 Mahlzeiten wurden am Samstag laut den USA aus drei Flugzeugen abgeworfen. Zum Vergleich: Vor dem Krieg kamen täglich 500 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern im Gazastreifen an.

Die abgeworfenen US-Hilfen dürften die große Hungersnot in Gaza kaum lösen Foto: U.S. Air Force via reuters

Stattdessen schränkt Israel die Hilfslieferungen laut einer Recherche des US-Senders CNN durch intransparente Kontrollen zusätzlich ein. Selbst Datteln und Schlafsäcke seien mitunter zurückgewiesen worden. Zudem weigert sich die israelische Regierung noch immer, weitere Grenzübergänge in den Küstenstreifen zu öffnen.

Weitere Verhandlungen zwischen der Hamas und der israelischen Regierung durch Vermittler in Kairo über eine Kampfpause brachten bis Sonntagnachmittag kein Ergebnis. Das israelische Verhandlungsteam sagte laut Medienberichten seine Teilnahme ab, nachdem die Hamas nicht wie von Israel verlangt eine Liste der noch lebenden Geiseln vorgelegt hatte. Überhaupt ist unklar, wie eine Einigung zwischen beiden Seiten aussehen soll: Die Hamas fordert das sofortige Ende des Kriegs in Gaza, die israelische Seite lehnt das so lange ab, bis die palästinensische Terrororganisation vollständig zerstört ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Nur mal ein Update: Sowohl die New York Times als auch BBC verify haben darauf hingewiesen, das das Video das Israel zu dem Hilfskonvoi- Vorfall rausgegeben hat, geschnitten wurde und mehrere Teile zusammengefügt wurden und gerade ein wichtiger Moment fehlt bevor die Menschen plötzlich wegrennen. Zudem gab es kein Audio zu dem Video. Israel wurde um das vollständige Video gebeten hat die Herausgabe aber bisher verweigert. Beide Newsorganisationen haben auch ein Video von Al Jazeera verifiziert das vor Ort gemacht wurde, indem Schüsse zu hören sind und man Tracer rounds in der Luft sieht, die zur Markierung von Zielen für Soldaten dienen.



    Zudem hat die UN Angaben von Ärzten verschiedener Krankenhäuser durch ein Team überprüfen können und hat bestätigt das die Mehrheit der Verletzten wegen Schußwunden in Behandlung waren. Zum beispiel in einem der Krankenhäuser wiesen von 176 Verletzten 142 Schußwunden auf (80%). Euro-Med Human Rights Monitor konnte dies wohl durch Mitarbeiter vor Ort ebenso bestätigen.

  • Die israelis wiedersprechen sich ja auch selbst. Daniel hagari hat gesagt die meisten Opfer wurden totgetrampelt, überfahren, etc und Die IDF hat Warnschüsse abgegeben weil sich einige Personen den Panzern genähert hätten. In einer Paniksituation schaut man denk ich auch wenig auf seine Umgebung, da will man einfach nur weg.



    Lt Col Peter Lerner sagte bei Channel 4 das die Panzer vorsichtig versucht haben den Mob auseinander zu treiben und Warnschüsse abgegeben hat (wobei nicht nur ich, sondern auch Channel 4 das Wort Mob für hungernde verzweifelte Menschen als unangebracht empfinden). Mark Regev wiederum sagte am selben Tag im Interview mit Christian Amanpour (CNN) das Israel überhaupt gar nicht an dem Vorfall beteiligt war, nicht vor Ort war und in einem anderen Vorfall das feuer eröffnet hat, der nicht in Zusammenhang mit diesem steht. Zudem behauptet er das palästinensische bewaffnete Gruppe das Feuer eröffnet hatten. Das alles hat die BBC in einem Report herausgestellt. Ich denke es ist an der zeit für unabhängige Untersuchungen und auch an der Zeit ausländische Reporter in den Gazastreifen zu lassen, so wie es vor kurzem Vertreter mehrerer großer Newsorganisationen gefordert haben und eine Anfrage von über 50 Journalisten gestellt haben. Nur so kann eine unabhängige Berichterstattung und Aufklärung diverser Geschehnisse erfolgen. Ich erinner nur an den Fall von Hind Rajab und zwei Sanitätern des Roten Halbmonds.

  • American Food Show



    38.000 Mahlzeiten bei 2 Millionen hungernden Menschen kann ich nur als Showeffekt betrachten. Da dürfte eine Mahlzeit auf 1000$ gekommen sein.



    Trotzdem ist es allemal mehr als ihrer "Glaubensbrüder", also alle arabischen Staaten für die Palästinenser tun. Schon merkwürdig, wie sehr diese nichts tun.

    • @Rudi Hamm:

      Sie wissen schon das ein Großteil der Hilfe über die UN Organisation UNRWA und anderen Teilen der UN kommt an die mehrere Staaten Geld geben, desweiteren kommen Hilfslieferungen von diversen anderen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, dem Roten Halbmond/ Rotes Kreuz deren Geld auch von diversen Staaten oder privaten Geldgebern kommt. Jordanien hatte ebenso wie Frankreich schon Hilfsgüter aus der Luft abgeworfen mehrfach. Israel hat, wie auch in diesem Bericht erwähnt zahlreiche Konvois der UN und westlichen Länder abgelehnt mit recht intransparenten Begründungen. Wieso glauben sie das Israel Hilfslieferungen aus Saudi Arabien, Katar, etc akzeptieren würde? Diverse Berichte zeigen auch, das sich die Dinge die an der grenze abgelehnt werden ständig ändern. Der Rote Halbmond hat berichtet das Anästhesie Maschinen und Sauerstoff Zylinder für die Beatmung bereits abgelehnt wurden genauso wie Krücken, Solar Panele (gibt ja kaum noch Strom) und Tabletten zur Säuberung von Wasser, Skalpelle. Zelte wegen der Zeltstangen. Ständig ändern sich die Listen.



      Und Israel hat vom IHG die Anordnung erhalten mehr humanitäre Hilfe zu leisten, tatsächlich haben sich laut mehrfacher Berichte (UN, Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International,etc.) die Hilfslieferung seitdem fast halbiert.

    • 8G
      80580 (Profil gelöscht)
      @Rudi Hamm:

      Israel ist Besatzungsmacht, also ist es dessen Aufgabe die Menschen zu versorgen und nicht die irgendwelcher anderer Staaten oder Hilfsorganisationen.

      • @80580 (Profil gelöscht):

        Es nutzt den Menschen die dort hungern nicht wer sie versorgen "müsste", sondern nur wer es auch tut.

    • @Rudi Hamm:

      Letzteres wundert mich auch sehr. Wird doch immer wieder auf die Nächstenluebe verwiesen, im Koran.

      Ist wie in allen Religionen nur Schall und gedrucktes Wort.