Humanitäre Lage in Jemen: Die Not wird immer größer

Fast vier Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe braucht der Jemen laut UNO allein im Jahr 2021. Nun beginnt eine internationale Geberkonferenz.

Ein Kind trinkt aus einem Becher

Versorgung gegen Unterernährung: Szene aus einem Krankenhaus in Jemens Hauptstadt Sanaa Foto: rtr

BERLIN TAZ Vor kurzem noch galt Marib als friedliche Oase mitten im Bürgerkriegsland Jemen. Hunderttausende fanden hier Zuflucht und ließen die Stadt von weniger als 40.000 auf rund 1,5 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen anwachsen.

Nun steht Marib im Zentrum des Kriegs. An mehreren Fronten gleichzeitig rücken die Huthi-Rebellen, die vor allem Jemens Hauptstadt Sanaa und das Umland kontrollieren, auf Marib vor und scheinen fest entschlossen, nun auch diese ölreiche Provinz zu erobern.

Mit mehr als 60 Toten war Freitag bisher der blutigste Tag der Kämpfe in Marib, am Samstag wurden erneut etwa 50 Soldaten und Rebellen getötet, so Jemens Regierung. Tausende Zivilisten seien auf der Flucht, berichten die Vereinten Nationen. Sollten die Kämpfe den Stadtbereich Marib erreichen, könnten Hunderttausende weitere Menschen in die Flucht getrieben werden.

„Die Schlachten sind wieder zurückgekehrt“, sagt die im Exil lebende Soziologin und Aktivistin Rim Mugahed, die weder den von Iran unterstützten Huthis noch den Regierungstruppen und ihren von Saudi-Arabien angeführten Verbündeten vertraut. „Auf politischer Ebene scheint es keinen Durchbruch gegeben zu haben.“

Immer wieder Cholera-Ausbrüche

Warnungen vor einer sich zuspitzenden Lage im Jemen verpuffen mittlerweile international weitgehend, sprechen die UN doch schon seit Jahren von der schlimmsten humanitären Krise der Welt. Im Jemen herrscht eine Hungerkrise, Fotos unterernährter Kinder zeigen, was man sonst aus dem arabischen Raum kaum kennt. Immer wieder kommt es zudem zu Cholera-Ausbrüchen.

Rund 21 von 30 Millionen Menschen in Jemen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen

Doch „die humanitäre Situation verschlechtert sich immer weiter“, sagt Mugahed. Aktuell herrsche auch Angst vor einer neuen Welle der Coronapandemie, auch wenn es verlässliche Infektionszahlen weder aufseiten der Regierung noch aufseiten der Huthis gebe. „Dass jetzt die Regenzeit kommt, erhöht den Ernst der Lage noch.“

Internationale Hilfsorganisationen sowie die UNO teilen Mugaheds Einschätzung. Auf einer für Montag geplanten internationalen Geberkonferenz fordern die UN 3,85 Milliarden US-Dollar an Hilfszusagen. Das ist noch mehr als vergangenes Jahr, als der Bedarf auf 3,4 Milliarden beziffert wurde. Rund 21 von 30 Millionen Menschen im Jemen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Und die Hilfe, die sie benötigen, wird immer umfassender.

„Viele Mütter und Väter erzählen mir, dass sie entscheiden müssen, ob sie lebenswichtige Medikamente oder Essen für ihre Kinder kaufen“, schreibt Aaron Brent, Care-Länderdirektor in Jemen, in einer Mitteilung. „Für diejenigen, die vor den andauernden Kämpfen wie in Marib fliehen müssen, ist die Situation noch dramatischer. Sie haben noch weniger zu essen. Oft haben sie noch nicht mal eine Toilette, um ihre Notdurft zu verrichten. Darunter leiden vor allem Frauen und Mädchen.“

Es braucht nicht nur Geld

Im vergangenen Jahr sind insgesamt nur rund 1,9 Milliarden US-Dollar Hilfe für Jemen zusammengekommen – zu wenig. „Die UN und die humanitären Organisationen hatten keine andere Wahl, als lebensrettende Programme zurückzufahren“, sagt David Miliband von der Hilfsorganisation International Rescue Committee.

Unter anderem die Vereinigten Arabischen Emirate hatten ihre Hilfe 2020 massiv reduziert. Das Land ist als Teil der saudisch geführten Militärkoalition gegen die von Iran unterstützten Huthis eine der aktiven Kriegsparteien im Jemen, auch wenn es sich in der vergangenen Zeit teilweise zurückgezogen hat.

Andere Länder, die direkt oder indirekt am Jemenkrieg beteiligt sind, treten dagegen weiter als wichtige Geldgeber auf. Saudi-Arabien, das mit seinen Verbündeten Jemens Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi wieder landesweit einsetzen will und einen brutalen Krieg gegen die Huthis führt, leistete im vergangenen Jahr humanitäre Hilfe in Höhe von rund 500 Millionen US-Dollar.

„Vielleicht wäre es für diese Länder angemessener, zuerst den Waffenfluss zu stoppen“, sagt Rim Mugahed, „und darüber nachzudenken, wie viel Waffenfirmen durch diesen Krieg gewonnen haben.“ Alles, was die saudisch geführte Militärkoalition bislang erreicht habe, sei, dass das Land und seine Infrastruktur zerstört sind.

Es brauche nicht nur Geld, um die Menschen im Jemen vor dem Allerschlimmsten zu bewahren, sagt Mugahed. Das Land brauche am dringendsten den Willen zum Frieden, und zwar auf­seiten der externen Kriegsparteien noch vor den Einheimischen.

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