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Humanitäre Hilfe in SyrienDas Spiel mit dem Hunger

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Es gehört zu den bitteren Lehren aus dem Syrienkrieg: Eine Nichtintervention kann noch mörderischer sein als militärisches Eingreifen.

Syrische Kinder waten in einem Geflüchtetenlager bei Idlib durch Schlamm Foto: Ghait Alsayes/ap

W ie hilft man Menschen in einem kaputten Land, wo es kaum noch etwas zu essen gibt, die Währung wertlos geworden ist und die einzige funktionierende Institution der staatliche Gewaltapparat ist?

Das UN-Welternährungsprogramm WFP ruft nach mehr Hilfsgeldern für Syrien, wo die Zahl der Not- und Hungerleidenden in jenem Teil der Bevölkerung, der nicht schon getötet oder geflohen ist, immer weiter anschwillt. Aber das WFP arbeitet in Syrien unter der Fuchtel des Regimes: Es entscheidet nicht selbst, wen es beliefern darf, und muss einen Großteil seiner Arbeit sogar über staatliche oder staatsnahe „Hilfswerke“ unter Kontrolle mächtiger Figuren des Assad-Clans abwickeln. Die Menschen in den noch nicht vom Regime zurückeroberten Gebieten sind derweil für autorisierte UN-Hilfen auf einen einzigen Grenzübergang aus der Türkei angewiesen und größtenteils dem nackten Elend überlassen.

Es ist nicht möglich, das Leid der syrischen Bevölkerung zu lindern, solange Assad an der Macht bleibt. Der Diktator hat im Bürgerkrieg jahrelang die eigene Bevölkerung bombardiert und ausgehungert und setzt auch heute humanitäre Hilfe beziehungsweise deren Verweigerung ausschließlich zu taktischen Spielen ein: Wer unterwürfig bleibt, darf essen, wer frei sein will, darf krepieren.

Einen Tag nach dem letzten WFP-Hilfsappell vom 17. Februar veröffentlichte der UN-Menschenrechtsrat einen Bericht über Syrien, der dem Regime Völkermord an der eigenen Bevölkerung vorwirft. In Deutschland werden demnächst die weltweit ersten Gerichtsurteile gegen Folterer des syrischen Regimes erwartet.

Zu den bitteren Lehren aus dem Syrienkrieg gehört die Einsicht, dass militärische Nichtintervention noch viel mörderischer sein kann als militärisches Eingreifen. Dazu kommt: Humanitäre Hilfe kann genauso tödlich sein wir ihr Fehlen. Wer den Menschen in Syrien, egal auf wessen Seite, nicht hilft, nimmt ihren Tod in Kauf. Aber wer Hilfsprogramme alimentiert, ernährt damit eben auch einen Gewalt­apparat, der Menschen tötet. Es gibt keine moralisch einwandfreie Lösung.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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4 Kommentare

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  • Es gehört zu den bitteren Lehren aus dem Syrienkrieg: Wirtschaftssanktionen führen nicht zum erhofften Regime-Chance, sondern nur zu noch mehr Leid unter der Zivilbevölkerung.

  • Man hätte durchaus die Folgen der nicht von UN-Sanktionen legitimierten EU- und US-Sanktionen erwähnen können. Oder die Zerstörung der Stadt Raqqa durch US/NATO-Bomben. Im Gegensatz zu Aleppo - das nach der Eroberung von Russland und Syrien schnell wieder aufgebaut wurde - haben wir Raqqa zerstört und nicht wieder aufgebaut.



    Welche Auswirkungen unsere "Nichtintervention" auf die Bevölkerung hat, ist also nicht so eindeutig zu beantworten, wie es der Artikel glauben machen will.



    Hinzu kommt. dass das Völkerrecht sehr eindeutig auf der Seite der syrischen Regierung steht. Und dass etwa die Besetzung von Ölfeldern durch US-Truppen und von kurdischen Gebieten durch türkische Truppen starke Zweifel aufwirft, ob unsere Intervention tatsächlich von humanitären Interessen motiviert ist.

    • 1G
      164 (Profil gelöscht)
      @Peter_:

      "Hinzu kommt. dass das Völkerrecht sehr eindeutig auf der Seite der syrischen Regierung steht." Das muss ein sehr trauriges "Völkerrecht" sein, dass da auf Seiten Assads steht.

  • "Die Menschen in den noch nicht vom Regime zurückeroberten Gebieten sind derweil für autorisierte UN-Hilfen auf einen einzigen Grenzübergang aus der Türkei angewiesen und größtenteils dem nackten Elend überlassen."

    Diese Gebiete werden zum größten Teil vom NATO Staat Türkei beherrscht bzw. attackiert. Dort ist wirklich keine Hilfe möglich?