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Human Rights Watch über Folter-Prozess„Alle schauen hier sehr genau hin“

Der Koblenzer Prozess gegen mutmaßliche Folter-Schergen des Assad-Regimes hat Vorbildcharakter. Ein Gespräch mit Lotte Leicht von Human Rights Watch.

Eyad A. wird Beteiligung an Folter vorgeworfen Foto: Thomas Lohnes/dpa
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Frau Leicht, am Montag geht in Koblenz der Prozess gegen Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiter. Er soll in Syrien verantwortlich für Folterungen von mindestens 4.000 Menschen gewesen sein, 58 Menschen sollen an den Folgen gestorben sein. Welche Bedeutung hat dieser Prozess?

Lotte Leicht: Das ist ein historischer Prozess, weil er weltweit der erste gegen Verbrechen des syrischen Staates ist. Er wird Auswirkungen auf weitere Ermittlungen und weitere Gerichtsverfahren auch in anderen Ländern haben. Als Juristin sehe ich natürlich diese Ebene, sie ist enorm wichtig.

Aber ich habe auch Freunde, die aus Syrien kommen und selbst Opfer dieses Regimes geworden sind, einer von ihnen beobachtet den Prozess im Zuschauerraum. Für ihn, für Überlebende und die Angehörigen der Opfer zeigt der Prozess, dass die Justiz sie und das, was sie erlitten haben, ernst nimmt. Das ist außerordentlich wichtig.

Warum gibt es keine internationale juristische Aufarbeitung der Verbrechen des syrischen Regimes?

Frankreich hat, mit Unterstützung zahlreicher anderer Länder, versucht, diese Verbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof, den ICC, zu bringen. Weil Syrien sich diesem aber nicht unterstellt hat, hätte der UN-Sicherheitsrat zustimmen müssen. Das haben Russland und China durch ein Veto verhindert. Deshalb gibt es keine juristische Aufarbeitung durch den ICC – und es ist klar, dass sich das auch in naher Zukunft nicht ändern wird.

Doch immerhin gibt es, und das ist vielleicht die zweitbeste Möglichkeit, den so genannten internationalen, unparteiischen und unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Verbrechen in Syrien. Dieser wurde mit großer Mehrheit in der Generalversamlung der Vereinten Nationen im Dezember 2016 verabschiedet.

Was bedeutet das genau?

Kurz gesagt ist das ein internationaler Ermittler ohne Gericht. Es werden die Verbrechen in Syrien ermittelt – zurück bis 2011. Die Ermittlungsergebnisse und Beweise werden Ermittlern und Anklägern in anderen Ländern zur Verfügung gestellt, möglicherweise auch irgendwann in Syrien.

Spielen Informationen von dort in dem Verfahren in Koblenz eine Rolle?

Das weiß ich nicht. Aber es gibt Kontakte zwischen dem zuständigen Büro in Genf und den deutschen Behörden.

Im Interview: Lotte Leicht

Lotte Leicht ist EU-Direktorin von Human Rights Watch. Sie ist ausgebildete Rechtsanwältin mit Schwerpunkten im Bereich der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und Vorstandsvorsitzende des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

Hat der Prozess in Deutschland eine Vorreiterfunktion für andere Länder?

Das hat er zweifellos, er ist für viele andere europäische Länder eine Art Präzedenzfall. Länder wie Schweden, wo ebenfalls nicht nur Ermittlungen in so genannten Strukturverfahren, in denen alle Informationen gesammelt werden, sondern auch in individuellen Fällen durchgeführt werden, schauen sehr genau hin, was in Koblenz passiert.

Geht es dabei auch um neue Erkenntnisse, die durch den Prozess zu Tage kommen könnten?

Ich glaube nicht, dass da große Überraschungen zu erwarten sind. Aber es wird viele Details über die Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes und das Al-Khatib-Gefängnis geben, wo der Angeklagte gearbeitet hat. Vielleicht auch neue Beweise. Und ich bin sicher, dass wir bedeutende Beweise für die allgemeine, systematische und weit verbreitete Politik und Praxis der vom syrischen Regime begangenen Gräueltaten sehen werden, einschließlich Folter, Vergewaltigung, Verschwindenlassen und Tötung von Gefangenen.

Es gibt Ermittlungen in verschiedenen europäischen Ländern – wo laufen sie gut, wo weniger?

Vorne liegt eindeutig Deutschland und dann kommt Schweden. Diese Länder sind bereit, unter dem so genannten Weltrechtsprinzip weitere Schritte zu gehen. Sie führen nicht nur Strukturverfahren, sondern auch Ermittlungen in individuellen Fällen, auch wenn die Verdächtigen sich gar nicht in ihrem Land befinden. Deutschland hat einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan erlassen, den ehemaligen Chef des Luftwaffengeheimdienstes, der noch immer in Syrien ist. Das ist neu. Und wäre in vielen anderen Ländern auch gar nicht möglich gewesen.

Jamil Hassan hat in der Zeit, seit der Haftbefehl läuft, Syrien verlassen, er ist im Libanon medizinisch behandelt worden. Festgenommen wurde er nicht. Welche Bedeutung hat dann ein solcher Haftbefehl?

Das ist natürlich ärgerlich. Ich weiß, dass deutsche Behörden versucht haben, auf die Libanesen einzuwirken, aber sie hatten damit keinen Erfolg. Das alles ist nicht leicht. Aber ich glaube, der Haftbefehl hat Hassans Möglichkeiten zu reisen eingeschränkt, er weiß, dass dies für ihn nicht mehr sicher ist. Das ist eine Botschaft, nicht nur an ihn.

Wie bewerten Sie die internationale Zusammenarbeit bei diesen Ermittlungen?

Das ist Learning by Doing. Es gibt in der EU dieses so gennante Völkermord-Netzwerk bei den Staatsanwaltschaften und den Polizeieinheiten, die schwere Menschenrechtsverbrechen ermitteln. Da werden Informationen und Erfahrungen ausgetauscht.

Deutschland liegt bei den Ermittlungen vorn und hat auch zugesagt, die Ergebnisse der forensischen Auswertung der so genannten Caesar-Fotos, die in Deutschland durchgeführt wird und die sehr aufwändig und teuer ist, an die anderen weiterzugeben. Das zeigt, wie die Ermittler sich in diesem schwierigen Feld gegenseitig unterstützen.

Welche Blockaden gibt es?

Über die Blockaden im UN-Sicherheitsrat haben wir bereits gesprochen. Auch die Trump-Administration findet internationale Gerichtsbarkeit nur gut, wenn sie diese kontrollieren kann. Aber es gibt auch positive Entwicklungen – zum Beispiel mit Blick auf den Sudan oder auch Myanmar.

Welche?

Nach dem Machtwechsel im Sudan haben die Angriffe der Afrikanischen Union auf das ICC aufgehört, der ehemalige Machthaber al-Baschir wird sich wegen der Verbrechen in Dafur hoffentlich bald vor dem ICC verantworten müssen. Und das ICC hat Ermittlungen gegen Myanmar wegen der Vertreibung der Rohingya eingeleitet, obwohl Myanmar kein Vertragsstaat des ICC ist. Aber Bangladesh ist es, wohin hundertausende Rohingya geflohen sind.

Trotz aller Probleme kann man sagen, dass es voran geht. Dies ist wichtig für die internationale Achtung des Völkerrechts und sendet eine starke Botschaft an die Täter, dass Straflosigkeit nicht mehr die Regel ist. Und, es ist von zentraler Bedeutung für alle, die unter Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelitten haben und davon betroffen sind. Gerechtigkeit ist kein moralischer Luxus, sondern ein Recht.

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7 Kommentare

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  • " Auch die Trump-Administration findet internationale Gerichtsbarkeit nur gut, wenn sie diese kontrollieren kann."

    rechtstaatlichkeit bedeutet dass die justiz die regierung kontrolliert und nicht dass die regierung die justiz behindert um die strafrechtliche würdigung von folter zu verunmöglichen

    Donald Trump aber auch schon sein vorgänger Barack Obama und auch schon der vorgänger seines vorgangers dessen vorgänger hat das amt missbraucht um eine kultur der straflosigkeit für folter zu fördern.

    en.wikipedia.org/w..._the_United_States

    www.theatlantic.co...or-torture/555578/

    • @satgurupseudologos:

      hier ist von mir bedauerlicherweise Ich weiss selbst nicht wie ein grammatischer fehler auf das virtuelle papier gebracht worden.offenbar hat die tastatur versagt oder Ich habe die auf die falschen tasten gehauen und ausversehen die richtigen verfehlt



      oder Ich habe den text wegen eines telefonates das den prozess seiner erschaffung zufällig genau an dieser stelle unterbrach zu kurz geprüft bevor Ich ihn veröffentlicht habe.

      der fehlerhafte satz sollte eigentlich lauten:



      :



      "Donald Trump aber auch schon sein vorgänger Barack Obama und auch schon der vorgänger seines vorgängers hat das amt missbraucht um eine kultur der straflosigkeit für folter zu fördern."

      aber manchmal sind rechtschreibfehler ja kreativ oder zumindest anlass für kreative gedanken.

      in diesem fall ist aus dem vorgänger wegen der fehlenden gänsefüsschen fast ein "vor-gangster "geworden .in zukunft werde Ich den begriff vorgangster bei staaten die nicht zufällig relativ oft kriminelle staatsoberhäupter haben -weil sie in schlechter verfassung sind und ihre kriminalgeschichte zu wenig reflektiert und noch nicht überwunden haben möglicherweise öfter verwenden.

      es ist im übrigen höchste zeit dass alle staaten von der weltöffentlichkeit gezwungen werden den internationalen strafgerichtshof anzuerkennen.

      Ich meine damit nur um das klarzustellen übrigends selbstverständlich nicht nur westliche staaten

  • Ich sollte hinzufügen:

    "sendet eine starke Botschaft an die Täter, dass Straflosigkeit nicht mehr die Regel ist" - Das war ja sowieso selten Fall, vorausgesetzt, dass der Westen das so wollte. Dem entsprechend ändert sich nichts. In Afrika etc. wenden wir das gerne an. Daheim wird das Völkerrecht ignoriert, was das Zeug hält. Inkl. von Deutschland. Man sehe die Unterstützung verschiedener Amerikanischer Putschversuche in letzter Zeit, tätliche Unterstützung von illegalen Dronenangriffen via Ramstein, etc. etc.

  • Da muss man nicht spezifisch Trump erwähnen. Das war und ist bei den Demokraten nicht anders, siehe Obamas we have to look forward -Geschwätz. Oder wo ist das kontinuierliche Bestreben oder gar die Initiative irgendwelcher Europäischer Staaten, Cheney, Bush und Co vor den ICC zu zerren? Oder Israel, das immer noch regelmäßig auch Minderjährige foltert und offen seine Waffen PR daraufhin aufgebaut hat, dass diese an Palästinensern getestet werden? Oder Spaniens regelmäßige auch durch den Europäischen Gerichtshof festgestellten Verletzungen von Antifolterrichtlinien? Human Rights Watch hat, was das unparteiische Verfolgen von Folterern angeht, bisher vor allem in Syrien keine gute Figur abgelegt.

    • @Hans Schnakenhals:

      Wo war Human Rights Watch denn beim Verfolgen von Folterern in Syrien parteiisch? Wer wurde denn da nicht nicht beachtet?

      • @Ressourci:

        Wo habe ich das auf Syrien beschränkt?



        Abgesehen davon, dass ich von denen keinen Druck auf die USA/Israel/Spanien etc. ausgeübt sehe, haben HRW noch anderweitig versagt. Z.B. als der Chef sich wunderte, ob den eine symbolische Bombardierung genug wäre: “If Obama decides to strike Syria, will he settle for symbolism or do something that will help protect civilians?” - Oder als HRW meinte, als rauskam, dass Obama an den Illegalen Entführungen Bush's festhält, dass dies doch OK wäre. Man schaue sich auch mal den Aufsichtsrat an etc...

    • @Hans Schnakenhals:

      Lügen haben kurze Beine!



      USA: www.spiegel.de/pol...egie-a-395963.html

      Nach HRWs Veröffentlichungen zu Israel und Spanien dürfen Sie selber schauen - und WAS haben Sie gleich an der hervorrragende Arbeit in Syrien auszusetzen?