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Hürden bei der Einbürgerung in HamburgDas lange Warten, um Deutscher zu werden

Der Weg zum deutschen Pass ist holprig. Wer geschafft hat, die diversen Anforderungen zu erfüllen, muss bis zur Antwort noch über ein Jahr warten.

Viel zu tun für die Mitarbeiter: Geflüchtete warten vor dem Amt für Migration in Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa

Gut 14 Monate ist es her, dass die Mutter von Alexander S. ihre Einbürgerung beantragt hat. Zum ersten Mal hat sie nun eine Reaktion erhalten: Es fehlen noch drei Dokumente. Dass mal etwas passiert, bringe eine gewisse Erleichterung, sagt Alexander. „Man wusste die ganze Zeit nicht, ob gerade überhaupt irgendwas passiert.“ Bis auf eine automatische Bestätigungsmail hatten sie keinerlei Rückmeldung bekommen. „Das hat sie verunsichert“, sagt Alexander.

Auch vielen anderen geht es so: 31.539 offene Einbürgerungsverfahren gibt es in Hamburg, Stand August 2025, laut Antwort des Senats auf eine Linken-Anfrage. Die Wartezeit auf eine Bearbeitung liegt im Schnitt bei 14 Monaten. Das bedeutet: 14 Monate Unsicherheit darüber, ob sich der zeitaufwendige und nervenaufreibende Prozess lohnt.

Dabei ist der Zeitraum davor noch gar nicht betrachtet: Wer einen Einbürgerungsantrag stellen will, muss schon mindestens fünf Jahre in Deutschland leben. Für viele sind es so über sechs Jahre ohne die Sicherheit, dass man nicht abgeschoben werden kann. Erst mit einer Einbürgerung ist man davor tatsächlich sicher.

Angst vor einer Abschiebung hat Alexanders Mutter nicht. Sie lebt und arbeitet seit 28 Jahren in Deutschland und hat einen unbefristeten Aufenthaltsstatus. Trotzdem fühlt sie sich noch immer als Bürgerin zweiter Klasse. Das hofft sie mit der Einbürgerung ablegen zu können. Zudem kann sie dann wählen gehen, hat die gleichen Rechte wie andere Deutsche und erhält mehr Reisefreiheit.

Unmenge an Dokumenten

Dass sie den Antrag erst jetzt stellt, liegt daran, dass sie ihre Staatsbürgerschaft in Russland nicht aufgeben wollte. Vor der Gesetzesreform im Juni 2024 musste, wer sich in Deutschland einbürgern lassen möchte, in der Regel seine bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben.

„Über die Reform haben wir uns sehr gefreut“, sagt Alexander. Dadurch sei es nun überhaupt möglich, den Antrag zu stellen. Probleme gab es dennoch: „Es ist so eine Menge an Dokumenten, die man braucht“, den Überblick zu behalten sei schwer. Er könne sich noch daran erinnern, dass er versucht habe, über die offizielle Seite des Amts für Migration Hamburg Beratungsstellen zu finden. Er sei aber immer nur bei einer Checkliste gelandet. Welche Dokumente davon genau für den eigenen Fall relevant sind, sei aber nicht deutlich geworden.

Alexander hat sich um einen Großteil der Formulare gekümmert und für seine Mutter Termine für den Einbürgerungstest und den Sprachtest gemacht. „Das war alles nicht selbsterklärend und nicht trivial, das war echt kein Spaß“, erinnert sich Alexander. Bis alles zusammengesucht war und seine Mutter die Tests bestanden hatte, dauerte es Monate.

„Die Tests an sich waren für meine Mutter kein Problem, aber einen Termin zu kriegen“, so Alexander. Sein deutscher Vater, den er als politisch gebildeten Menschen beschreibt, konnte Fragen wie die, was der Bundesrat macht, nicht beantworten. „Das Sprachniveau der Testfragen ist auch über B1“, meint Alexander. B1 ist das Level, das durch den Sprachtest nachgewiesen werden muss.

„Viele Leute haben Schwierigkeiten bei der Antragsstellung. Es fehlt an Unterstützungsangeboten“, sagt Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Zwar würden nur wenige Anträge abgelehnt, in diesem Jahr bisher 15, aber das liege daran, dass An­trag­stel­le­r:in­nen mit schlechten Aussichten im Laufe des Prozesses nahegelegt werde, den Antrag zurückzuziehen. Dann müssen sie die 255 Euro Gebühr nicht zahlen.

Viele Leute haben Schwierigkeiten bei der Antragsstellung. Es fehlt an Unterstützungsangeboten

Carola Ensslen, Linksfraktion Hamburg

Bis zum Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes im Juni 2024 gab es tatsächlich noch eine Einbürgerungsberatung. Man konnte hier vor dem Antrag einen Beratungstermin vereinbaren. „Da wurde sogar eher gesagt, man sollte“, so Ensslen. „Das haben sie jetzt komplett abgeschafft.“ Sie findet das problematisch. Es gebe zwar noch Projekte wie „Ich bin Hamburger“, aber hier gebe es nicht genügend Kapazitäten für den Andrang.

Das Projekt wird auch „Lotsenprojekt“ genannt. Mithilfe von ehrenamtlichen Einbürgerungslotsen soll eine niedrigschwellige Hilfe beim Verfahren entstehen. Die Einbürgerungslotsen kamen in den ersten drei Monaten dieses Jahres 42 Mal zum Einsatz. Das Projekt führte insgesamt 210 Beratungen durch, so der Senat in der Antwort auf die Linken-Anfrage.

„Die Projekte sind nicht bekannt genug“, sagt Ensslen. Es brauche eine richtige Beratungsoffensive, Kampagnen, die für die Beratungsangebote werben. Das Problem wäre dann aber, dass es nicht genug Angebote für den Andrang gibt. Um dafür werben zu können, müssten es mehr sein, so Ensslen.

Der Bearbeitungsstau ist laut Ensslen kein Hamburger Problem. „Das ist eigentlich deutschlandweit überall so, dass es sich wirklich stapelt.“ Sie kenne durchaus Fälle, bei denen es zwei Jahre oder sogar länger dauerte.

Mehr Personal beim Amt für Migration

Ein Weg, die Behörde zur Entscheidung zu zwingen, ist eine Untätigkeitsklage. Davon sind in Hamburg allein aus 2025 noch 233 offen. Die Klage kann man nach sechs Monaten ohne Entscheidung der Behörde einreichen.

„Der Einbürgerungsprozess ist halt einfach nicht gut“, sagt Ensslen. Es müsse am Anfang eine Sichtung auf Vollständigkeit stattfinden, fehlende Unterlagen könnten dann gleich nachgereicht werden. „Oft werden Unterlagen auch doppelt angefordert“, merkt Ensslen an. Die Dokumente hätten dann so lange gelegen, dass sie nicht mehr als aktuell gelten. „Das Personal scheint von vorne und hinten nicht zu reichen“, sie findet, es brauche effektivere Arbeitsweisen und personelle Verstärkung, damit man besser vorwärtskommt. „Es wurde schon aufgestockt, aber das reicht nicht.“

Das Amt für Migration teilt auf taz-Anfrage mit, man habe zusätzliche Stellen geschaffen, unter anderem für die beschleunigte Bearbeitung der Einbürgerungsverfahren. Die Abteilung habe sich auf steigende Antragszahlen nach der Gesetzesänderung 2024 „vorbereitet“.

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