Horst Seehofers Flüchtlingspolitik: Der Pate der Rechtspopulisten
Der bayerische Ministerpräsident hat die AfD salonfähig gemacht. Er betreibt seit einem Jahr eine systematische Agitationslogik ohne vernünftiges Maß.
Die Wahlergebnisse der AfD – das hatte schon der Wahlkampf im Frühjahr 2016 deutlich gemacht – müssen vor dem Hintergrund der von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 4. September 2015 getroffenen Entscheidung analysiert werden, in einer von der ungarischen Regierung durch Hilfeunterlassung unkontrolliert eskalierenden Notlage die Grenzen für in Ungarn gestrandete Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zu öffnen und sie nach Deutschland kommen zu lassen.
Denn am Tag nach dieser Entscheidung ging die CSU unter Seehofer auf die Merkel’sche Politik los. Ein Jahr hat Seehofer gegen eine vernünftige Flüchtlingspolitik getrommelt, bis heute, obwohl die Flüchtlingspolitik inzwischen weitgehend in geordneten Bahnen verläuft und Versorgung, Unterbringung und Deutschkurse etabliert sind. In seiner Fundamentalopposition interessiert dies den kleinsten Koalitionspartner der Großen Koalition nicht im Mindesten: Wir sind gegen die ganze Entwicklung, wir wollen Obergrenzen, wir wollen Grenzen dicht machen. Es ist – inzwischen nach einem Jahr! – keine beiläufige, sondern eine systematische rechtspopulistische Agitationslogik, der sich Seehofer mit seiner CSU verschrieben hat und die sie ohne jedes vernünftige Maß vorantreibt. Niemand ist mit dieser Weise der Agitation mehr verantwortlich für die Stimmungsmache, weit mehr als die AfD.
Seehofer „reagierte“ auf die Stimmung in Teilen der Bevölkerung, die die Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur skeptisch sehen, sondern strikt ablehnen. Dass die CSU-Spitze nicht nur eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen durchsetzen wollte, sondern sich offenkundig dazu entschloss, sich die Politik des Ressentiments zu eigen zu machen, gehört zu den immensen Schwächen und Versuchungen einer Partei, die bisher bei Gelegenheit rechtspopulistisch agierte, zugleich aber Regierungsverantwortung hat. Horst Seehofer warnte nun vor „Asylmissbrauch“ und traf vor den Landtagswahlen im März 2016 den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der für eine radikale Flüchtlingsabwehr und einen rechtspopulistischen Nationalegoismus steht (und immer wieder Antisemitismus fördert).
Diese Taktik Seehofers, kleinräumlich und kurzatmig, erinnert an die destruktive Strategieempfehlung von Franz Josef Strauß in seiner Sonthofen-Rede aus dem Jahr 1974: Die Krise der damaligen Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) ist durch Nichtbeteiligung der Opposition (CDU/CSU) so zuzuspitzen, dass bei den nächsten Wahlen zwei Jahre darauf die CSU als Retter erscheint. So destruktiv diese Empfehlung war, Strauß wäre strategisch nie so töricht gewesen, mit einer derart zugespitzten Krise die gesamte Zusammenarbeit der CDU/CSU infrage zu stellen und die Union von der Macht zu vertreiben.
Die Achse Gauland–Seehofer
So hatte die CSU die AfD salonfähig gemacht. Wahlforscher Güllner in Stern vom 24. Mai 2016: „Seehofer treibt mit seinen Attacken mehr CSU-Abwanderer zur AfD als die von ihm kritisierte Kanzlerin.“
Seehofer ist derjenige, der den Aufschwung der Alternative für Deutschland durch seine Beiträge wesentlich mit beschleunigt hat. De facto gab es eine indirekte Achse Gauland–Seehofer. Es war Seehofer, der den rechtsnationalen Flüchtlingsfeind Orbán in sein Heiligtum, nach Wildbad Kreuth, eingeladen hat. Nicht einmal die Alternative für Deutschland hat das geschafft. Mit Orbán wurde der eingeladen, der bis zu Gefahr von Mord und Totschlag die Stimmung in Ungarn durch seine Unterlassung der Hilfeleistung entfesselt und die Öffnung der Grenzen als pragmatisch-humanitäres Krisenmanagement provoziert hatte. Und tatsächlich: In den Wochen nach dem fundamentalen Bruch Seehofers mit Merkel sind interessanterweise die Umfragewerte für Seehofer und für die AfD, aber nicht für die CSU nach oben gegangen. Die Wähler haben verstanden, was Seehofer treibt: Seehofer hat sich um die Attraktivität der AfD verdient gemacht.
Seehofer ist derjenige, der den Aufschwung der Alternative für Deutschland durch seine Beiträge wesentlich mit beschleunigt hat
Er hat damit eine Partei mit hoffähig gemacht, deren dynamisches Zentrum von völkischen Rechtsradikalen um Björn Höcke, (das Nicht-AfD-Mitglied) Götz Kubitschek und die vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären geprägt ist. Ein Teil von ihnen ist offen vom heutigen italienischen Neofaschismus fasziniert.
Bis in den September 2016 hinein stehen die Zeichen der CSU-Spitze weiter auf Eskalation. Es geht um die Stärkung ideologisch-rechtsnationaler Traditionen in Teilen der CSU um Seehofer, Söder, den neuerdings auffällig umtriebigen Edmund Stoiber und nicht zuletzt die Fraktionsspitze um Kreutzer. Diese ideologisch ausgerichteten Teile der Funktionärsspitze stehen im Widerspruch zu den modernisierten und liberaleren und nicht zuletzt katholischen Kräften in der Landespartei, nicht zuletzt auf Bürgermeister- und Landratsebene. In Bayern haben sich zudem beide christlichen Kirchen vehement gegen den Kurs Horst Seehofers ausgesprochen. Insbesondere hat Kardinal Reinhard Marx die CSU zu einem konstruktiven Umgang mit den Flüchtlingen aufgerufen. Bisher ohne Erfolg, was die CSU-Spitze anlangt.
Berlin, 2006: Die Piratenpartei gründet sich, sie möchte die Demokratie neu erfinden. Aber die Piraten scheitern an ihrer inneren Zerrissenheit, sie fliegen aus den Landtagen. Was von ihren Ideen bleibt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. September. Außerdem: 15 Jahre nach dem 11. September 2001 hat die amerikanische Bevölkerung noch immer Angst. Unsere Reporterin hat die Gedenkstätte von 9/11 besucht. Und: Wir waren mit dem E-Auto auf Usedom. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
So ist ein Szenario denkbar, in dem die CSU weiter versucht, die Spannungen in der CDU zu verschärfen und sich als rechtspopulistische Partei neben und gegen die AfD zu profilieren. Dann wäre der Bruch zwischen dem gegenwärtigen Spitzenpersonal in CDU und CSU nahezu unvermeidbar – so wie Gauland sich gegen die CDU entschieden hat. Und: Die CSU radikalisiert sich, wenn sie für ihre Klausurtagung am zweiten Wochenende im September nicht unähnlich der AfD und Pegida „den Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“ verlangt.
Ein Bruch ist zweifelhaft
Ob sich dies zu einem Bruch ausweitet, ist aber aus machttaktischen Gründen zu bezweifeln. Denn nun hat offenkundig Seehofer auch gegenüber den Kräften in der CDU, die den Kurs der Kanzlerin misstrauisch verfolgt haben, entschieden überzogen. Aus der Fraktion dringen nun Stimmen an die Öffentlichkeit, die den Kurs Seehofers für Quatsch halten und sagen: Jetzt reicht’s! Damit hat Seehofer auch offenbar seine Interventionsmacht in die CDU bei Weitem überschätzt. Ob es ihm und der CSU gelingt, die eigene Radikalisierung wieder einzudämmen, wird sich spätestens auf dem CSU-Parteitag entscheiden. Sicher ist das nicht, jedenfalls nicht ohne Schaden für die Performance der CSU-Führung.
Schon jetzt ist erstaunlich, wie viel Destruktivität in einer ideologischen Haltung des Rechtspopulismus enthalten ist. Und noch einmal: So hatte man Franz Josef Strauß nie verstehen dürfen, es ging ihm um Machterwerb und nicht um das Gegenteil. Heute wäre eine rechtspopulistische Position mit oder ohne AfD auch nicht annähernd mehrheitsfähig; nicht einmal im ostdeutschen Mecklenburg-Vorpommern.
Wenn andere Parteien, zeitweise auch Teile der Sozialdemokratie nun schadenfroh über die Zerstrittenheit der CDU/CSU reden und gar Merkel für ihre Flüchtlingspolitik geißeln, vergehen sie sich politisch-moralisch an ihrer gemeinsamen Entscheidung für eine faire Flüchtlingspolitik. In dem Maße, in dem dies geschieht, werden die politisch-moralischen Koordinaten der Republik erschüttert. Mit diesem Verrat der eigenen politisch-moralischen Haltung für eine faire Flüchtlingspolitik unterläuft ein Teil der Republik ihre eigenen Wertgrundlagen, ihre Verpflichtung zum Schutz der Bürgerkriegsflüchtlinge und der Verfolgten, wie ihn die große Mehrheit der Republik nach wie vor will.
Umgekehrt: Gelingt es, die große Mehrheit der Bevölkerung auch in den Parteien erneut angemessen zu repräsentieren , die den Schutz der Bürgerkriegsflüchtlinge will, dies auch pragmatisch und fair gegenüber der einheimischen Bevölkerung wie den Flüchtlingen umzusetzen, kann vermutet werden, dass die AfD auf eine Größe von sagen wir 6 oder 8 Prozent in den nächsten Bundestagswahlen einschmelzen dürfte und damit ihren Zenit überschritten hätte. Dies gilt erst recht mit einer so zerstrittenen Führung – in den Worten Alexander Gauland: in diesem „gärigen Haufen“, den völkisch rechtsradikalen Ausbuchtungen und der Nähe eines Teils der Partei zu Leuten, die vom heutigen Neofaschismus fasziniert sind.
Leser*innenkommentare
Urmel
Vielleicht ist Seehofer einfach nur ehrlicher als Merkel?
Die Kanzlerin spielt nämlich seit Monaten ein derart übles Doppelspiel, das bei jedem Humanisten nur noch beständige Magenkrämpfe erzeugen kann: Einerseits gibt sie sich immer noch als die vehementeste Verteidigerin der Rechte von Flüchtlingen aus aller Welt. Andererseits hat sie persönlich den unsäglichen Deal mit der Türkei durchgedrückt, der einer Abschottung Europas in unfassbarem Ausmaß gleichkommt (inklusive tödlichem Schusswaffeneinsatz gegen Hilfesuchende an der syrisch-türkischen Grenze).
Ich wundere mich schon geraume Zeit angesichts dieser Fakten über die Verlautbarungen eines großen Teils der Medien und der Mehrzahl scheinbar „linker“ Kommentatoren: Nahezu täglich wird ein reiner Sprücheklopfer wie Seehofer ins Visier genommen, während die blutbeschmierten Hände Merkels äußerst thematisiert werden.
Urmel
Sorry:
Der letzte Satz muss natürlich lauten:
ahezu täglich wird ein reiner Sprücheklopfer wie Seehofer ins Visier genommen, während die blutbeschmierten Hände Merkels äußerst selten thematisiert werden.
noevil
Schade, dass Horst Seehofer "besseres zu tun" hat, als aufmerksam den taz-Artikel und die Kommentare zu lesen. Denn sicher würde ihm nicht schmecken zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass er mit seiner populistischen Hochschaukelei des Flüchtlingsthemas die AfD erst so richtig akzeptabel gemacht hat, speziell in "seinem" Bundesland Bayern, in dem immer ungenierter braune Soße verteilt wird und Leute mit Anstand sich als - politisch, weil moralisch - ausrangiert ansehen lassen müssen. Aber die werden ihn nicht mehr wählen, ebenso wenig wie diejenigen, die gleich freudestrahlend ganz die Seiten in Richtung AfD gewechselt haben. Anstand sucht sich immer noch seinen Weg und der meidet sowohl politische Populisten als auch die in Talk-Medien gut unterzubringenden Reizgestalten, über die man sich dann heuchlerisch ereifern kann, obwohl sie erst den Anreiz zum Einschalten wecken.
Gut für's Quötchen!
Kerstin Baben
@noevil Womöglich kommt die AFD in den bayerischen Landtag. Viel mehr als um die 7-8% werden es dann aber nicht sein. Aus Sicht einer CSU geht es um den Verlust der absoluten Mehrheit, sonst nichts. Mal rein aus der Perspektive Wirtschaft, Erfolg, Arbeitsplätze, Infrastruktur, Bildungsangebot, haben die Bayern keinen Grund die CSU abzuwählen. Viele Menschen aus D ziehen nach Bayern, weil es da Arbeit gibt und die Wirtschaftskraft relativ hoch ist. Bei den Bundestagswahlen kann es anders aussehen: dass Stimmen der CSU letztendlich Unionsstimmen sind und die Union stark von Bayern mit 12,5 Millionen Einwohnern profitiert, wissen die Wähler. Ohne die Stimmen aus Bayern kann die CDU einpacken...
Querdenker
Flücht-links-krise während die rechte Seite schon längst eine andere Politik macht. Das merken wir aber nicht.
Noch nicht!
Brigitte Sanders
Herr Seehofer hat mit Sicherheit die AfD nicht salonfähig gemacht. Der Aufstieg der AfD ist durch die unsägliche Politik der GroKo ermöglicht worden.
Mitch Miller
Das zentrale Problem sind nicht die Flüchtlinge, sondern das schon vorher schwankende Schiff Deutschland. Von sinken kann keine Rede sein, aber Verunsicherung in der Komfortzone. Da wiegen dann Störfaktoren wie Flüchtlinge gefühlt deutlich mehr als was sie wirklich beeinflussen.
Diese jammernden Deutschen sind erfolgsverwöhnte Nehmergestalen, die selbst nichts auf die Reihe bekommen und dann andere verantwortlich machen müssen.
Günter
Ein politisch-moralisches Vergehen an einer gemeinsamen Entscheidung für eine faire Flüchtlingspolitik zu beklagen, ohne zu erläutern, was man damit konkret, vor allem in der Konsequenz für das eigene ganz persönliche Handeln mein, ist wohlfeil. Von allen Politikern, Journalisten und anderen, die sich über das Thema nach außen als -feine Menschen- darstellen, kenne ich bisher nur zwei, die glaubwürdig sind. Martin Patzelt und seine liebe Frau samt Familie: http://www.focus.de/politik/deutschland/martin-patzelt-im-focus-online-interview-bundestagsabgeordneter-nimmt-fluechtlinge-bei-sich-auf-sie-suchen-die-familiaere-naehe_id_4861535.html
Simone Peter, Norbert Blüm, Margot Käßmann, Katrin-Göring Eckhardt, Anton Hofreiter etc., die nur schön und wohlfeil schreiben und reden, aber die tatsächliche Flüchtlingshilfe, die bedeutet persönlichen Wohlstand und Reichtum zu teilen, lieber anderen überlassen, haben sich auf den offenen Brief von M. P. (http://www.martin-patzelt.de/lokal_1_1_141_Offener-Brief-.html), in dem er auffordert dem Gerede ECHTE Taten folgen zu lassen, freilich nicht gemeldet. Nach dem die aus der Sonne der Kamera und der dargestellten eigenen Gutherzigkeit verschwunden sind, überließen sie die Flüchtlinge den Containersiedlungen, die weit ab von den eigenen hübschen Wohnvierteln, in Brennpunkten und ohnehin sozial schwachen Teilen der Republik abgestellt wurden.
Leute, die dem Rechtspopulismus verfallen wissen, dass in den Eliten unserer Republik so wunderbare Menschen wie Martin Patzelt und seine liebe Frau samt Familie nur sehr rar gesät sind.
Kommentator16
Herr Seehofer stellt ganz vernünftige Forderungen auf. Die USA nehmen in diesem Jahr 10.000, Großbritannien 5.000 und Frankreich 30.0000 Menschen auf.
In Deutschland werden hingegen 350.000 plus ca. 650.000 über den Familiennachzug erwartet. Das ist ja wohl eine ganz andere Hausnummer hinsichtlich Kosten und Integrationsleistung. Das blendet der Herr Funke aus. Ebenso, das man für eine solche Entscheidung auch die Zustimmung der Bevölkerung benötigt.
Bille
@Kommentator16 Ein seltenes Ereignis: ein Leserkommentar, der gesunden Menschenverstand beweist, in der TAZ !
GarretJaxt
@Kommentator16 Klar, Obergrenze klingt so vernünftig. Aber wer steht an der Rampe und entscheidet, über Leben und Tod. Es geht hier um Flüchtlinge und nicht um eine Wirtschaftsdelegation.
Kommentator16
@GarretJaxt Dies halte ich für ein Scheinargument, mit dem andere Staaten mit Kontingentlösungen auch kein Probleme haben. Wenn eine Zahl politisch vermittelt wird, dann gehen die Leute halt woanders hin oder bleiben zu Hause. Kanada zum Beispiel erlaubt Anträge nur vorab in den Botschaften, nicht an der Grenze vor Ort.
970 (Profil gelöscht)
Gast
@Kommentator16 Für die Rechtschreibreform, die aus "daß" nicht "das", sondern "dass" gemacht hat, brauchte man diese Zustimmung offensichtlich auch nicht.
Thomas_Ba_Wü
Und bei dem Kommentar wundern sie sich über die Wahlerfolge der AFD.
Der Mann spricht einen wichtigen Punkt an: Warum löst das bei uns so eine Empörung aus was so ziemlich im Rest der Welt vollkommen normal ist.
Soungoula
Was vollkommen normal ist, wird dadurch noch lange nicht richtig. Ein kapitaler Fehler wird nicht dadurch weniger schlimm, dass er mehrfach gemacht wird - eher im Gegenteil.
Während der Shoah flohen Millionen europäische Juden und sie suchten Zuflucht an vielen Orten der Welt. An den allermeisten wurden sie abgewiesen. Heute sind wir froh, dass es einige wenige Länder gab, die nicht sagten "ist im Rest der Welt vollkommen normal - wir nehmen auch keine Juden auf". Nur deshalb gibt es überhaupt noch ein wenig jüdisches Leben und jüdische Kultur im heutigen Europa.
Ich möchte nicht in einem Land leben, das sich die Menschenverachtung anderer Staaten zum Vorbild wählt.
Dass es dort keine Empörung auslöst, ist übrigens eine Fehlwahrnehmung. Es gibt auch in Ungarn oder Polen laute Stimmen, die die abweisende Politik der jeweiligen Regierung für falsch und menschenverachtend halten. Dass man diese Empörung nicht so sehr wahrnimmt, liegt besonders an der dortigen Medienpolitik. Ein zentraler Teil der Durchsetzung einer Politik, wie sie hier von einigen Kommentatoren gewünscht wird, erfordert nämlich die systematische Unterdrückung jener Stimmen, die die Öffentlichkeit und die Politik an ethische Maßstäbe erinnert. Nur solange es gelingt, das öffentliche Gewissen effektiv auszuschalten, erscheint einem diese Politik so "normal", wie Sie es darstellen möchten. Die repressive Politik gegenüber Flüchtlingen und gegenüber der Meinungsvielfalt in Polen und Ungarn gehen Hand in Hand. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Natürlich möchten das gerade AfD-Anhänger und andere Neurechte nicht wahrhaben, weil sonst ihr Mythos von der "verfolgten Dissidentenmeinung" zusammenbrechen würde.
Bille
Sie haben recht - dass während des Holocaust viele Länder Juden abwiesen, ist traurig. Aber die damalige mit der heutigen Situation zu vergleichen, ist meines Erachtens falsch.
Denn erstens waren es nicht "Millionen" europäischer Juden, die im Ausland Zuflucht suchten, sondern sehr viel weniger.
Zweitens waren die jüdischen Menschen damals tatsächlich "an Leib und Leben bedroht", sie waren also Flüchtlinge.
Heute dagegen kommen wirklich Millionen von Menschen aus aller Herren Länder, aber nur eine Minderheit davon sind wirklich Asylsuchende. Die Mehrheit ist auf der Suche nach einem "besseren Leben". Man kann natürlich sagen, dass auch Armutsflüchtlinge ein Recht auf Hilfe haben sollten, aber irgendwann kommt ein "Point of no return", wo das aufnehmende Land aufgrund der Alimentation und Integration so vieler Menschen wirtschaftlich instabil wird, und wo außerdem die ursprünglichen Bürger sich nicht mehr heimisch fühlen können, eventuell zu einer Minderheit werden.
Unsere Politiker sind in erster Linie verpflichtet "zum Wohle des Volkes" zu handeln, wie es in der Eidesformel heißt. Daher sind Begrenzungen der Migrantenzahl und Abweisung der Nicht-Flüchtlinge nur vernünftig.
Soungoula
Sie scheinen die Anzahl geflohener Juden im Holocaust zu unterschätzen - erst recht gemessen daran, dass damals die aufnehmenden Länder eine weitaus geringere Wirtschaftskraft hatten, als die europäischen Staaten heute. Die Schweiz oder Schweden, auch die USA oder die Länder Lateinamerikas waren wirtschaftlich vom Krieg mitbetroffen und haben trotzdem Menschen aufgenommen.
Das Kleinrechnen der heute Schutzberechtigten nach dem Motto "sind ja gar keine echten Flüchtlinge" hat sich inzwischen ziemlich abgenutzt. Es gibt genügend tatsächlich Verfolgte und Kriegsflüchtlinge - sehen Sie in Polen oder Ungarn ernsthafte Bemühungen, sich um diese zu kümmern?
Bille
Abgenutzt oder nicht - dadurch wird das Argument nicht falsch.
Was die Politik in Polen und Ungarn betrifft - sie mag nach unseren Maßstäben "inhuman" sein, andererseits tut die Regierung dort das, was die Mehrheit der Bevölkerung möchte, deshalb werde ich mir kein Urteil darüber anmaßen. Deutschland hat sich in der jüngeren Vergangenheit schon zu oft durch die Politik des "mahnenden moralischen Zeigefingers" unbeliebt gemacht.
Zum anderen sollte man fragen, ob es richtig ist, selbst aus humanitären Überlegungen, sämtliche Gesetze zur Grenzsicherung außer Kraft zu setzen.
Versuchen Sie doch mal, an einem beliebigen deutschen Flughafen ohne Pass bzw. Ausweispapiere einzuchecken - es wird nicht gelingen. Deutschland hat jedoch Hunderttausende Menschen unbekannter Herkunft, die keine Papiere vorweisen konnten, ins Land gelassen. Es ist kein Wunder, dass sich dadurch sehr viele Einheimische verunsichert fühlen, umsomehr, als man in der lokalen Presse fast täglich von sexuellen Übergriffen und Diebstählen durch "südländisch" oder "arabisch" Aussehende lesen kann, und dass, obwohl die verantwortlichen Stellen sich alle Mühe geben, dieses Thema kleinzuhalten. Wenn Sie mich jetzt als "Rassistin" beschimpfen - bitte schön. Es gibt unter den Migranten auch genügend anständige Menschen, aber die Politik unserer GroKo hat uns eine Menge "Läuse in den Pelz" gesetzt, die wir nur schlecht wieder los werden können. Deshalb nervt mich das Humanitätsgedusel allmählich ein wenig.
A. Müllermilch
"Es gibt genügend tatsächlich Verfolgte und Kriegsflüchtlinge... Ich möchte nicht in einem Land leben, das sich die Menschenverachtung anderer Staaten zum Vorbild wählt."
Auch wenn ich eher zur Gegenposition neige, halte ich Ihre Meinung für gut vertretbar. Es gibt ohne Zweifel viele Flüchtlinge denen aus humanitären Gründen geholfen werden sollte und angesichts des Demographie-Problems in d auch mit eigenem Vorteil geholfen werden könnte.
Was nicht stimmt, ist lediglich die Reihenfolge. Zuerst gesellschaftliche Debatte und eine Entscheidung von Bundestag und B-Regierung wie wem wodurch geholfen werden soll - dann Umsetzung des Ergebnisses.
Was derzeit abläuft ist Chaos. Geholfen wird nur denen, die besonders pfiffig, durchsetzungsstark oder reich sind und es trotz aller Widrigkeiten bis zur d-grenze schaffen: Merkel-Chaos statt Anarchie.
Bezeichnend ist, dass nirgends berichtet wird, welche Flüchtlinge derzeit ins Land kommen und wie die Aufnahme neuer Flüchtlinge derzeit abläuft.
ackatonne
GANZ Europa betreibt die Flüchtlingspolitik der CSU.
Egal ob sozialistisch, sozialdemokratisch
liberal-konservativ , katholisch-faschistisch regiert.
Da stellt sich doch die Frage ob im Jahre 2016 die ganzen Anderen die Bösen sind und die Deutschen ihr schlimmes Trauma des letzten Jahrhunderts mit dem millionenfachen Zuzugs von Menschen aus konservativsten, reaktionärsten, antidemokratischen , antiamerikanischen und antisemitischen Millieus(gut, da hat die Religion bestimmt keine Schuld dran).
Wenigstens haben sie ja die deutsche Wirtschaft auf ihrer Seite , die es gar nicht abwarten kann bis die Flüchtlinge endlich arbeiten dürfen...
Bille
Danke für diesen Kommentar!
Den Hinweis, dass viele Deutsche das Trauma des verschuldeten 2. Weltkriegs und der Judenvernichtung, auch wenn die heute lebenden nicht persönlich verantwortlich sind, noch in sich tragen und hier auch ein Grund für die wahnsinnige und unkritische Willkommenskultur zu finden ist, habe ich auch bei Holger Strohm gefunden: "Asyl - oder Wie ein Volk Kollektiv-Selbstmord begeht". Ein sehr interessantes und beunruhigendes Buch!
RiaS
Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht ausländerfeindlich und schon gar nicht gegen Kriegsflüchtlinge eingestellt. Was den Menschen Sorgen bereitet, jedenfalls in meinem Umfeld, ist die unkontrollierte Einwanderung und das ewige "Wir schaffen das".
So schaffen wir das nicht, und es wäre wünschenswert, dies einmal aus dem Mund von Frau Merkel zu hören. Schwupps, wäre die AfD Geschichte.
Wichtig wäre es auch, das Ohr mal am Puls des Volkes zu halten. Wenn fast 1 Mill. Menschen in Leiharbeit verharren müssen, wenn die Rente nicht mehr zu überleben reicht, wenn Arbeitnehmer aufstocken müssen, dann läuft gehörig etwas schief.
Diese Menschen fühlen sich schlichtweg veräppelt, ausgegrenzt, wenn von Politikerseite zu hören ist, wir leben in einem reichen Land.
Merkt denn niemand die Diskrepanz?
Bille
@RiaS Doch. Aber leider immer noch zu wenige.
user21617
Ja, die Mehrheit der Bevölkerung ist zum Glück nicht rassistisch. Selbst in Mecklenburg-Vorpommern wählen schließlich fast 80 Prozent nicht die AfD (was nicht heißt, dass Rassisten nicht auch andere Parteien wählen).
Wenn das Prekariat dermaßen offenkundig so groß, unzufrieden und rebellisch wäre, wie Sie suggerieren, wieso ist die Linke dann nicht viel erfolgreicher? Oder sind die Leute ihrer Meinung nach auch nicht fähig zu erkennen, dass die AfD keine Politik für abgehängte Teile der Bevölkerung macht?
970 (Profil gelöscht)
Gast
@user21617 Die Linke als Partei ist nicht erfolgreich, weil sie nicht in der Lage ist, aufzuzeigen, wie wir leben wollen. Sie meckert, hat aber keine Vision. Dagegen, aber wofür?
Kerstin Baben
Im Vergleich der 2011er-Wahlen mit denen von 2016 hat Die Linke eigentlich nur 20 000 Stimmen (Zweitstimmen) verloren. 2011 kam die Linke mit 125 528 Stimmen auf 18% , 2016 mit 106 259 Stimmen auf 13.8%. Insofern änderte sich mit den Stimmen nichts dramatisch (Anteil), aber in Prozenten wirkt sich das aus. Vor allem durch die höhere Wahlbeteiligung und dem Reinkommen der Afd. Ich find ja den Blick auf die Stimmen Anzahl interessanter als die Prozente. Man sieht auch, wie wenig Menschen im Prinzip bestimmen, wer regiert usw.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Landtagswahl_in_Mecklenburg-Vorpommern_2011
http://service.mvnet.de/wahlen/2016_land/showHtmlContent.php?folder=2016_land&datei=L_Abs_Zweit.htm
Was an Die Linke rebellisch sein soll wüsste ich aber nicht. Ist das nicht nur ein Klischee?
A. Müllermilch
Die AFD ist undiskutabel. Genauso undiskutabel, ist die Behauptung, dass "die Flüchtlingspolitik inzwischen weitgehend in geordneten Bahnen verläuft ". Tut sie nicht. Es kommen die, die es bis zur deutschen Grenze schaffen. Survival of the fittest. Die jungen Männer, die Säuglingen die Babynahrung wegnehmen.,
In der Sozialpolitik passiert sowieso nichts positives. Kein Konzept, keine Idee, Geschenke für kleine Gruppen auf Kosten des Rests. Meine Perspektive: 760€ jeden Monat an die Krankenkasse + Rente mit 73. Die Rente reicht dann gerade um den Krankenkassenbeitrag zu bezahlen.
Positive Ansätze Null - von links bis rechts nirgends überhaupt eine Pronblemanalyse.
Das einzige, was politisch überhaupt gestaltet werden kann, ist die Flüchtlingspolitik.
Allein die Merkel-Anmaßung - die zu dieser Zeit als mächtigste Frau der Welt bezeichnet wurde und dies in Ihrer intelektuellen Flachheit möglicherweise geglaunt hat - die Fluchtursachen beseitigen zu können, gehört durch Abwahl bestraft.
Es gibt die, die hinter Merkels "Wir schaffen das" stehen, Linke bis CDU und die, die gegen Merkel sind AFD+CSU.
Die Wahl in MV hat die Stellung von Merkel offensichtlich geschwächt. Ich finde das gut.
Thomas_Ba_Wü
Und mal ganz ehrlich.
Glauben sie durch den Zuzug von 1 Million Flüchtlingen wird ihre Perspektive besser oder schlechter?
Und 760€ pro Monat an die Krankenkasse???
Das klingt nach Privatversicherung - und dann sind sie selber schuld.