Horrorkurzfilme und Diversität: „Böse Geister wohnen im Abfluss“
Farah Bouamar und Nabila Bushra vom Filmkollektiv Lost über Diversität in der Filmbranche und den Reiz des Horrorgenres.
taz: Frau Bushra, Frau Bouamar, „I can heal you“, „Ich kann dich heilen“, heißt Ihr erster Horrorkurzfilm, in dem sich ein Mann um seine krebskranke Frau kümmert und langsam dem Wahnsinn verfällt.
Nabila Bushra: Es geht um eine Beziehungstragödie. Wie geht man mit den Wünschen erkrankter Personen um, wenn man in der Position ist, Kontrolle und Macht über sie auszuüben. Es geht um Verantwortung, loslassen oder annehmen? Wer bestimmt darüber?
Ihr Film zeigt keinen Ausweg aus dieser fatalen Lage.
Farah Bouamar: Das haben wir bewusst offen gelassen: Wir haben Raum gelassen, um über Themen wie Krebs, Verluste, Glaube, Aberglaube, Tod und Liebe nachzudenken. Allein die Fragestellungen, die sich nach dem Schauen ergeben, sind wichtig, auch wenn man vielleicht noch gar keine Meinung zu dem einen oder anderen Thema hat.
Bushra promoviert in Soziologie und forscht zu Gender und Textil. Bouamar promoviert in Literaturwissenschaft, genauer in interkultureller Germanistik; beide sind Ende 20.
Und warum haben Sie das Genre des Horrorfilms dafür gewählt?
Bouamar: Horrorfilme konfrontieren uns mit unseren eigenen Abgründen und Ängsten. Das stilisierte Böse im Horrorfilm ist eine Metapher für gesellschaftliche Missstände. Damit kann man als Filmemacher:innen super spielen. So schaffen wir Aufmerksamkeit für gesellschaftskritische Themen.
Wie gehen Sie mit Rollenzuschreibungen und Klischees um?
Bouamar: Nabila und ich arbeiten gendersensibel. Uns ist es wichtig, Sehgewohnheiten zu durchbrechen. Bei den Rollenzuschreibungen achten wir darauf, keine klischeebehafteten Frames zu setzen. Hier ist es der Mann, der sich um seine Frau kümmert und mental an seine Grenzen kommt. Wenn wir gezeigt hätten, dass die Frau ihren Mann pflegt und wahnsinnig wird, dann wären wir genau in dem Klischee verblieben, das wir brechen wollten. So wird bei uns weder der Hysteriemythos noch das Bild der femme fragile reproduziert.
In einer Szene steht der Mann im Badezimmer, seine Hände sind plötzlich schwarz gefärbt und dann blutig. Wollte er ihrem oder seinem Schmerz durch den Mord ein Ende setzen?
Bushra: Ob er Mord als Möglichkeit in Betracht zieht, den Horror zu beenden, darauf geben wir keine Antwort. Wir zeigen aber, wie extrem das Hadern mit der Situation ist und wie es ist, der Ohnmacht ausgeliefert zu sein. Er will um jeden Preis seine Partnerin retten und beschützen, aber er kann nicht. Kontrollverlust und Selbstdestruktivität gehen manchmal Hand in Hand.
Wen wollen Sie mit dem Film ansprechen?
Bouamar: Niemand ist vor einer solchen Situation gefeit. Wir wollen zeigen, dass es jeden zu jeder Zeit unerwartet treffen und überfordern kann. Der Mann ist beispielsweise kein schlechter Mensch, er liebt, kümmert und sorgt sich, doch bringt ihn die Konfrontation mit dieser Lebenssituation brutal aus dem Konzept und er verliert den Bezug zu sich, seiner Partnerin und zur Realität.
Sie spielen mit Mythen und Kulten wie Kaffeesatzleserei.
Bushra: Diese Mythen und Kulte sind so alt wie die Menschheit selbst und es ist spannend, dass der Rückgriff auf das Okkulte in Grenzsituationen immer wieder zu beobachten ist, als eine Art letzte Hoffnung. Auch im Film will der Mann mit allen Mitteln seine Frau am Leben halten, obgleich offensichtlich ist, das sie nicht mehr lange leben wird, zum Beispiel, als er ihr ein Amulett anfertigt, das unter ihrem Kissen liegen muss. Sie aber versteckt unter dem Kissen ihre Medikamente. Da fängt der Film an, zwischen Realität und Wahn zu changieren. Und das ist der Moment, in dem die kulturübergreifende Dimension zum Tragen kommt. Wir haben versucht, Schnittstellen unterschiedlicher Kulturräume zu finden, und bei der Recherche haben wir interessanterweise eine Menge gefunden
Bouamar: Nabila und ich, wir kommen beide aus unterschiedlichen Kulturräumen. Ihre Wurzeln liegen in Indien und in Pakistan, meine in Marokko. Wir berücksichtigen in dem Film auch Mythen, mit denen wir groß geworden sind. In arabischen Kulturen wird das Badezimmer beispielsweise als ein Ort angesehen, an dem man sich nicht so lange aufhalten sollte. So heißt es, dass die bösen Geister im Abfluss wohnen. Deshalb soll man auch kein kochendheißes Wasser hineingeben, da man die Geister sonst verbrennen würde und sie sich an einem rächen könnten.
Farah Bouamar
Was hat Sie auf die Idee gebracht, Horrorfilme zu produzieren?
Bushra: Wir beide promovieren und wollen aus unseren wissenschaftlichen Kenntnissen schöpfen und sie kreativ im Film verarbeiten. Wir beschäftigen uns schon seit Langem mit intersektionalen Verschränkungen und haben Themen wie Sexismus, Rassismus und Klassismus auf dem Radar.
Bouamar: Unser wissenschaftlicher Hintergrund bereichert unsere kreative Arbeit. Aber nicht nur das. Wir kennen uns aus der Studienzeit in Bielefeld und bringen unsere gemeinsame Lebenserfahrung und eine lustige Freundschaft mit. Vor einem Jahr sind wir nach Berlin gezogen und im Januar 2021 haben wir Lostfilm gegründet und unseren ersten Kurzfilm gedreht.
Wann bekommen die Zuschauer*innen* den Film zu sehen?
Bouamar: Die Premiere war im April geplant, aber die Coronapandemie hat unseren Plan vereitelt. Nun haben wir den Film bei einigen internationalen Filmfestival eingereicht. Mehr wollen wir vorerst nicht verraten und unser Glück versuchen.
Bushra: Und wir versuchen gerade, Fördergelder zu generieren, um unseren zweiten Horrorkurzfilm zu drehen.
Um welchen Aufreger dreht sich Ihr zweiter Film?
Bushra: Thema unseres nächsten Films ist die lückenhafte Erinnerungskultur in Deutschland. Es geht um Rassismus und um die koloniale Vergangenheit Deutschlands. Für diesen Film werden wir unterschiedliche Orte in Berlin auswählen, die die deutsche Vergangenheit in Erinnerung rufen. Und von diesen Orten ausgehend werden wir eine Horror-Story erzählen.
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