Horrorfilm von Dario Argento: Logik des Albtraums
Der Meister des grenzüberschreitenden, atmosphärischen Horrors meldet sich zurück – mit unfreiwilliger Komik.
Plötzlich, mit über achtzig, ist Dario Argento wieder da. Erstmals hat er, sonst höchstens als Stimme oder in Form seiner Mordwaffen-Hände präsent, als Schauspieler eine Hauptrolle übernommen. Nicht in einem eigenen Film, sondern beim Bewunderer Gaspar Noé, dessen Film „Vortex“ (2021) die klaustrophobische Geschichte eines alten Paares in seiner labyrinthischen Wohnung erzählt. Und dann war Argento zehn Jahre nach seinem letzten Film auch mit einem eigenen Regie-Werk zurück: „Occhiali Neri“ („Dark Glasses“) war, wenn auch außerhalb aller Wettbewerbsreihen, in diesem Jahr bei der Berlinale zu sehen.
Argentos große Zeit, da waren und sind sich fast alle einig, liegt recht weit zurück. Zwar gehen die Ansichten auseinander, wann genau er vom Meister des grenzüberschreitenden, atmosphärischen Horrors zum Schlock-Meister wurde, dessen schrille Machwerke nicht mehr viel Schrecken, dafür heftiges Kopfkratzen auslösen. Spätestens seit den neunziger Jahren, dahin geht der Konsens, war die Magie verloren gegangen. Durch die zuvor nicht weiter störenden Logiklöcher drang nun nicht mehr der Horror, sondern eher unfreiwillige Komik. Was nie teuer war, sah plötzlich auch billig aus.
Für Freunde der Logik, die von Hitchcock so genannten Wahrscheinlichkeitskrämer, war das Kino von Dario Argento noch nie die richtige Droge. Was eigentlich für den Giallo, also die italienische Abart des Kriminalfilms, insgesamt gilt, in deren Sphären auch Argentos Anfänge liegen. Es ist ein Kino, bei dem Plausibilität und die Ansprüche an ein Erzählen, bei dem das eine narrativ oder psychologisch erklärbar aus dem anderen folgt, immer gleich zur Tür herausgejagt werden.
Stattdessen herrscht, im besten Fall, die Logik des (Alb-)Traums, das Infantile, die Willkür des Unbewussten übernehmen die Regie. Und das Protzen mit der eigenen Medien-Potenz: Zooms und Schwenks, wilde Fahrten, grelle Schnitte, outriertes Spiel, durch die Gegend rasende Kamera-Subjektive, die Musik bimmelt, dräut, drehleiert, summt, kreischt dazu. Von bürgerlicher Arthouse-Zurückhaltung keine Spur, es ist eine undisziplinierte, ja undisziplinierbare Kunst.
Es fehlt nicht an Blut und recht drastisch gezeigter Gewalt
In dieser Tradition steht auch Argentos neuester Film. Ganz ausdrücklich sagt eine der Figuren an einer Stelle zu einem Jungen in ihrer Obhut: Du musst dir, was hier geschieht, als Albtraum vorstellen. Irgendwann ist er vorbei. Der Junge, der diesen Albtraum erlebt, heißt Chin (Xinyu Zhang). Er hat einen Autounfall überlebt, bei dem seine Eltern starben. Verursacht hat ihn eine Frau namens Diana (Ilenia Pastorelli), die ihrerseits einen schrecklichen Albtraum erlebt: Ein Serienkiller hat ihren Wagen bedrängt und will ihr nun ganz an den Kragen.
„Dark Glasses“ (Italien 2022, Regie: Dario Argento). Die DVD ist ab rund 23 Euro (in einer Blu-Ray-Edition) erhältlich.
Sie ist bei dem Unfall erblindet, lernt, ständig bedroht, sich neu zu orientieren, den Blindenhund Nerea an ihrer Seite. Es geht von der Stadt hinaus aufs Land, es fehlt nicht an Blut und recht drastisch gezeigter Gewalt von und gegen Mensch und auch Tier, irgendwann geraten Diana und Chin im dunklen Märchenwald in trübes Gewässer und werden von digitalen Schlangen gewürgt und gebissen, eine Albtraumsequenz, sie ist kurz heftig, dann einfach so wieder vorbei.
In einzelnen Szenen verdichtet sich der Schrecken gekonnt, von der pulsierend-pumpenden Musik von Arnaud Rebotini wirkungsvoll stumpf unterstützt. In anderen Szenen, manches Dialog-Erklärstück darunter, ist eher Kopfkratzen angesagt. Auch mit der Schauspielkunst von Ilenia Pastorelli, die in Italien als Big-Brother-Teilnehmerin zu Ruhm kam, ist es so eine Sache. Asia Argento wiederum, die die Blindenberaterin spielt, hat man selten in einer derart zurückgenommenen Rolle erlebt. Für den Vater ist „Dark Glasses“ ein return to mittlerer form. So wenig ist das in seinem Fall nicht.
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