Hongkongs Popstar Anthony Wong: Ihm droht Haft
Wegen zwei vor Jahren aufgeführten Songs, wollen Hongkongs Behörden einem Musiker an den Kragen. Der eigentliche Grund dürfte ein anderer sein.
Im Wahlkampf kann Gesang schon Korruption sein, meint Hongkongs Antikorruptionsbehörde ICAC und hat deshalb am Montag den lokalen Cantopopstar Anthony Wong Yiu-ming festnehmen lassen. Nachmittags kam er gegen Kaution auf freien Fuß, am Donnerstag ist er zu einer Anhörung vorgeladen. Bei einem Schuldspruch drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft und eine saftige Geldstrafe.
Wong hatte am 3. März 2018 bei einer Wahlkampfveranstaltung des demokratischen Kandidaten Au Nok-hin zwei Lieder gesungen. Der später siegreiche Au wäre jetzt auch festgenommen worden, würde er nicht schon seit März wegen eines anderen Vergehens zusammen mit anderen pekingkritischen Politikern im Gefängnis sitzen.
Hongkongs 1974 von den Briten geschaffene Antikorruptionsbehörde ist für ihre Strenge bekannt, hat aber auch die Korruption reduzieren können. Die ICAC erklärte, bei Veranstaltungen mit Snacks, Getränken und Unterhaltung Wähler zu beeinflussen, sei eine Straftat. Dies gilt schon länger; das Einschreiten der Behörde mehr als drei Jahre nach der Wahlkampfveranstaltung sieht deshalb eher danach aus, als wolle sie auf diese Art einen pekingkritischen Musiker mundtot machen.
Wong sagt, er wolle sich nicht abschrecken lassen
In den letzten Monaten sind viele Aktivisten der prodemokratischen Bewegung festgenommen oder außer Landes getrieben worden. Warum ICAC so lange brauchte, obwohl Au ein Video der Veranstaltung direkt im Anschluss in den sozialen Netzwerken postete, erklärt die Behörde nicht.
Wong wird auch als „kantonesischer David Bowie“ bezeichnet. Neben seiner Musik ist er in Hongkong auch als Aktivist für die Demokratiebewegung und für die LGBTQ-Szene bekannt. Schon nach der Niederschlagung der studentischen Demokratiebewegung 1989 in China nahm er, damals noch als Teil des Duos Tat Ming Pair, an Solidaritätstourneen teil.
In China darf er nicht spielen, seine Musik wurde aus dortigen Streamingdiensten entfernt. Als Solokünstler unterstützte Wong 2014 in Hongkong die sogenannte Regenschirmbewegung und 2019 dann die Massenproteste gegen das Auslieferungsgesetz. Die Demonstrationen unterdrückte Peking 2020 mit dem sogenannten Sicherheitsgesetz.
Eines der zwei Lieder, die Wong bei der Wahlveranstaltung sang, hat den Titel „Eine verbotene Frucht am Tag“. Darin geht es um die jetzt im Juni in Hongkong verbotene pekingkritische Boulevardzeitung Apple Daily. Wong leitete den Song damals mit den Worten ein, es gehe darin um Hongkong und darum, seine eigene Wahl zu treffen. „Wir müssen die Frucht auswählen, die wir essen wollen.“
Der New York Times erklärte er 2019, er sei erst Bürger, dann Musiker und auch ein sozialer Aktivist. Dafür nehme er in Kauf, in China auf der schwarzen Liste zu stehen. „Ich singe seit dreißig Jahren und kann es mir leisten, dafür den Preis zu zahlen. Viele andere würden sich davon einschüchtern und den Mund verbieten lassen. Das ist das Abschreckende daran.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland