Homophobie in Bremen: „Ich krieg’ dich, du Homo!“
Das Rat & Tat – Zentrum für Schwule und Lesben im Bremer Viertel ist wieder mit Buttersäure attackiert worden. Jetzt ermittelt der Staatsschutz
Weil das nicht zum ersten Mal passiert ist, haben sie die Natronlauge immer vorrätig. Seit dem vergangenen Jahr ist das „Zentrum für Schwule und Lesben e.V.“ ganze fünf Mal angegriffen worden: mitten im linksalternativen Viertel, in der Theodor-Körner-Straße.
Die Polizei spricht lieber von „Sachbeschädigung“, das ist der juristisch korrekte Begriff für das Besprühen der Treppe mit Graffiti und dem Verteilen von Buttersäure auf Hauswand und Gehweg.
Keine Spur vom Täter
Nach den jüngsten Vorfällen am Wochenende ermittelt nun der Staatsschutz: Vermutlich in der Nacht zu Freitag hatte jemand einen Karton voll Bettenfedern in den kleinen Lichtschacht vor dem Souterrainfenster geschüttet. Freitagabend und schon wieder am Samstag folgten Buttersäure-Attacke. Über den oder die TäterInnen ist bislang nichts bekannt.
Niemand in der kleinen Straße hat ausgesagt, etwas gesehen oder gehört zu haben. „Das scheint zunächst verwunderlich“, sagt Nils Matthiesen von der Bremer Polizei, „aber Buttersäure macht eben keinen Lärm.“ Die Säure könne einfach im Vorbeigehen auf das Haus gesprüht werden, ohne dass es jemand bemerkt.
Im Verein wird deshalb bereits seit einiger Zeit darüber diskutiert, den Bereich vor dem Haus mit einer Kamera zu überwachen. Doch das ist rechtlich nicht ganz einfach: Mitgefilmt würde schließlich auch ein öffentlicher Bereich und damit jeder, der am Gebäude vorbeigeht.
Überwachung mit Folgen
Schwerer wiegt jedoch ein anderes Argument gegen die Videoüberwachung. „Viele, die bei uns Beratung suchen, sind ja noch gar nicht geoutet“, sagt Rat & Tat Vorstand Reiner Neumann. „Die laufen sowieso erst zwei-, dreimal ums Haus, bevor sie sich zu uns herein trauen.“ Videoüberwachung könne sie dann endgültig abschrecken.
Das gelte noch mehr für die vielen Geflüchteten, die seit vergangenem Jahr ebenfalls Beratung bei Rat & Tat bekommen. „Mit ihnen können wir uns nicht mal in unser Café setzen, weil sie solche Angst haben, dass jemand von ihrer Homosexualität erfährt“, so Neumann, „deshalb gehen wir mit ihnen meistens nach oben in einen Raum, der keine Glasfront zur Straße hat.“ Eine Videoüberwachung würde wahrscheinlich viele von ihnen ganz abhalten, sich an den Verein zu wenden.
Was die jüngsten Angriffe auf das queere Zentrum betrifft, sieht Neumann auch die veränderte gesellschaftliche Stimmung als mitursächlich für die vermehrten Attacken an: Das Erstarken populistischer Bewegungen in Deutschland, aber auch international trage viel zum Gesamtbild bei.
Ärger mit Nachbarn
„Wir haben zwar lange Ruhe gehabt“, sagt Reiner Neumann – das Zentrum besteht seit drei Jahrzehnten –, „zehn Jahre ist nichts passiert“, bevor es wieder los ging mit den Anschlägen. Wer dahinter stecken könnte, weiß er auch nicht.
„Wir erfahren viel Unterstützung von unseren Nachbarn hier – jedenfalls von den meisten.“ Direkt nach den jüngsten Attacken seien mehr Leute ins Café gekommen als normalerweise, darunter viele, „die gesagt haben: Jetzt trinken wir unseren Kaffee extra mal bei Rat & Tat“.
Daneben gibt es aber auch einige, denen das queere Beratungszentrum offenbar ein Dorn im Auge ist. Denn so tolerant, wie sich das Viertel und seine Bewohner auch geben – Sätze wie „Ich krieg’ dich, du Homo!“ hat Reiner Neumann von Nachbarn zu hören bekommen. Im Jahr 2016, im Bremer Ostertor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien