Homophobie im Fußball: Der Trainer und die Jungs
Ernst Fuhry brachte Eintracht Nordhorn zum Erfolg und flog, weil er als schwul galt. Er vertrat völkische Ideale und bejubelte die NS-Bücherverbrennung.
Im März 1957 glaubte Eintracht Nordhorn handeln zu müssen. Der Vorstand entließ Trainer Ernst Fuhry. „Ein härterer Mann“ sei nötig, hieß es. Die Eintracht spielte damals in der Oberliga Nord, der höchsten deutschen Spielklasse. „Es gab Gerüchte, dass Fuhry schwul ist“, erinnert sich ein Nordhorner, der damals in einer Jugendmannschaft kickte. „Aber es hat keine Bedeutung für uns gehabt.“
Ein anderer erinnert sich, dass immer etwas „gemunkelt“ wurde, während ein Dritter sagt, davon habe er nichts mitbekommen, Fuhry sei ein „harter Hund“ gewesen. „Der stand halt da in seinem Kleppermantel und seinem eigenartigen Hut.“
Offen schwul gelebt hat Fuhry nicht. Für Homosexuelle galt damals noch der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs. Vielleicht waren es bei Fuhry auch mehr pädophile Neigungen. Sicher sagen lässt es sich nicht.
Einen „frommen Wandervogel“ nannte ihn der Spiegel damals, er sei der „eigenwilligste Typ“ unter den deutschen Fußballtrainern. 1946 war Fuhry als 43-Jähriger nach Nordhorn gekommen, um dort eine Jugendmannschaft aufzubauen: die „Weiße Elf“. Fuhry lehrte seine Jungs, immer fair zu spielen, und er lehrte sie „Enthaltsamkeit von all den feigen Schwächen“. Er organisierte gemeinsame Zeltlager, und oft kam die „Weiße Elf“ zu ihm nach Hause. In einem seiner „Silvesterbriefe“ schrieb er an seine Jungs: „Manch einer von Euch wird draußen oft verlacht. Er wird verspottet, weil er dem ’weißen Verein’ angehört. Man macht sich lustig, weil Ihr den Mut hattet, Stand zu halten und NEIN zu zahlreichen Unsitten zu sagen.“
Der eine will nie, die andere kommt nie, der Dritte will eigentlich nicht so hart. Wir haben Sex-Fragen unserer Leserinnen gesammelt und sie mit Ann-Marlene Henning diskutiert. Der neuen Chefaufklärerin der Nation. Ihre Antworten lesen Sie in der taz.am wochenende vom 15./16. November 2014. Außerdem: Wie ein deutscher Mediziner aus Langeweile den vielversprechendsten Ebola-Impfstoff fand. Und: Haben Veganer, die krank werden, versagt? Ariane Sommer macht sich Gedanken. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Nach der Kündigung ging es bergab
Mehrere Saisons lang spielte Eintracht Nordhorn ganz oben in der damaligen zweiten Liga Niedersachsen West. Den möglichen Aufstieg aber schlug der Klub stets aus, er wollte nicht, dass seine Jungs als Vertragsspieler Geld verdienten. Im Jahr 1955 aber besann man sich eines anderen: Mit 51:9 Punkten und 109:33 Toren gelang der Aufstieg. Nordhorns Vorsitzender sagte damals: „Wenn man uns als Amateure den Weg verbaut, müssen wir eben in den sauren Apfel des Vertragsspielertums beißen.“
Ganz oben spielte die Eintracht nicht mit, da waren der Hamburger SV, Werder Bremen und Hannover 96, aber in Abstiegsnähe geriet der Klub nie. Zudem bildete Fuhry gute Fußballer aus: Alfred Post und Heinz Schumann spielten in der Amateurnationalmannschaft. Heinz Stauvermann und Otto Geisert kamen später in die Bundesliga: zu Rot-Weiß Essen der eine, zum Karlsruher SC und zum 1. FC Kaiserslautern der andere.
Nach Fuhrys Entlassung ging es mit Eintracht Nordhorn bergab. Klaus Dede, ein Journalist aus Nordhorn, der damals jugendlicher Fan war, erinnert sich: „Fuhrys Nachfolger wurde mit großem Aufwand eingeführt, scheiterte aber sofort.“ 1959 stieg der Verein aus der Oberliga ab. Der Verein rief Fuhry, der zwischendurch Rheine 09 in die Landesliga geführt hatte, als Trainer zurück. Der kam, wollte aber auf keinen Fall wieder zurück in die Oberliga.
Für Ernst Fuhry war die „Weiße Elf“ in Nordhorn die zweite große Station in seinem Fußballlehrerleben. Im Februar 1933, die Nazis waren erst wenige Wochen an der Macht, hatte Fuhry in Berlin die „Spartaner“ gegründet. In zehn Jahren wollte er einen „Meisterverein von Weltgeltung“ formen, wie Fuhrys Schwester Liesel später schrieb. Die Spartaner waren eine bündische Gemeinschaft, herein kam nur, wer eine Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Dann erst durfte man „Ernst“ zum Herrn Fuhry sagen.
Gerücht über Homosexualität
Die Saison 1937/38 schloss die Elf als Berliner Jugendmeister ab – mit der sensationellen Torbilanz von 222:17. Beim Endspiel um die deutsche Meisterschaft 1938 zwischen Schalke und Hannover bestritten die Spartaner das Vorspiel: ein 7:2-Sieg. Ein Spartaner schaffte es sogar in die Rekordlisten: Hans Heyduck jonglierte 5.112 Mal den Ball mit dem Kopf. Das ging durch die Presse.
Doch auch andere wurden auf Fuhry aufmerksam. 1937 ermittelte auf Nachfrage der SS die Gestapo gegen Fuhry. Zwei Dinge trieb sie um: War dieser Fuhry zuverlässig, wo er doch aus der bündischen Jugend kam? Und: „Es besteht ferner der Verdacht, daß F. homosexuell veranlagt ist.“ Mehrfach zwischen 1937 und 1941 fragte die SS bei der Gestapo nach, ob nicht endlich Erkenntnisse vorlägen.
Eine 1937 verhängte Postüberwachung diente vor allem dazu, „seinen Freundeskreis – insbesondere die Namen der Spartaner – zu ermitteln“, heißt es in den Gestapo-Akten. „In homosexueller Hinsicht“, notierten die Spitzel 1938, „wird Fuhry durch Zeugenaussagen Jugendlicher, insbesondere des Gebietes 3 der HJ, belastet.“ Anklage aber wurde gegen Fuhry nie erhoben. 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen.
19 Spartaner blieben im Krieg, gefallen oder verschollen. Fuhry hatte stets Kontakt mit ihnen gehalten, die Briefe wurden später zu vier „Jahresbänden“ gebunden, Auflage: 40. Einer der Spartaner, die überlebten, Günter Hentschke aus Berlin, ging 1946 mit Fuhry nach Nordhorn.
Wegbereiter völkischer Gedanken
Fuhry stammte aus Worms, 1903 war er hier geboren worden, und 1921 gründete er hier den Schwimmverein „Poseidon“. In einem autobiografischen Bericht, den er als 70-Jähriger schrieb, erinnert Fuhry sich an die „unverdorbene Bubenhaftigkeit der „braun gebrannten Schwimmerjungen“. Einen Bankjob hatte er aufgegeben, Grafiker wollte er werden.
An seinen Vater schrieb er, er wolle sich „in das große Sachgebiet der Jugendfragen hineinstellen, draußen ein Bad nachmittags, oder im Lesen usf.“ Als Grafiker entwickelte Fuhry später, 1955, das bis heute verwendete Logo des DFB: die eckigen Buchstaben, die übereinander liegen. In Worms liegen auch die Wurzeln für Fuhrys Engagement in der bündischen Jugend. Die Katholische Quickbornjugend wählte ihn 1930 sogar zu ihrem „ersten Reichsführer“.
Bei den erst spät erfolgten Aufarbeitungen zur Rolle des Fußballs im NS-Regime wird der Name Fuhry meist als einer der Wegbereiter des völkischen Gedankens im Fußball genannt. Der Historiker Andreas Bode spricht von den „männerbündischen Fantasien“ der „zwielichtigen Figur“ Fuhry. Die Spartaner sind für ihn eine „verschwörerische Gesinnungsgemeinschaft, die einem homoerotisch-männlichen Körperideal nachstrebte“.
Im Mai 1933 begrüßte Fuhry in dem von ihm geleiteten Blatt Deutsche Sportjugend offensiv die Bücherverbrennung: „Kitsch und Schund in allerlei Sorten ist verschwunden, die Zeitungsstände und Buchhandlungen sind vom schlimmsten und unflätigsten Mist geräumt, der eine Schande für Deutschland war.“
Auch als Erfinder tätig
Doch vor allem verstand sich Fuhry als Förderer des Fußballs: 1934 schrieb er die „Fußball-Fibel“, die in hoher Auflage vertrieben wurde. 1935 kam das Buch „Kampf und Sieg, Junge!“ heraus. 1938 zogen die Nazis Fuhrys Buch aus dem Verkehr.
Fuhrys Fußballbegeisterung ging so weit, dass er auch als Erfinder tüftelte: Einen „Schussverstärker für Fußballschuhe“ meldete er als Patent an, außerdem einen „Doppelwand-Hohlraum-Schienbeinschützer“ und einen „Gummimantel mit auswechselbaren Hosenüberbeinen“. Für die ARD drehte der unermüdliche Fuhry 1965 zusammen mit Sepp Herberger und dem Sportjournalisten Rudi Michel einen Fußballlehrfilm.
1967 kehrte Fuhry nach Worms zurück. Zum Abschied schenkte ihm der Vorstand von Eintracht Nordhorn eine Thermoskanne. Mit ihm ging seine Schwester Anna, die ihm schon seit 1934 den Haushalt geführt und für seine „Spartaner“ und „Weiße Elf“ Kuchen gebacken hatte. Aus Worms schrieb Fuhry weiter für alle möglichen Blätter – ob Kicker oder katholische Zeitungen, etwa des katholischen Sportverbandes Deutsche Jugendkraft. Noch heute drucken die DJK-Nachrichten Texte von Fuhry. 1976, im Alter von 73 Jahren, starb Ernst Fuhry.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung