Homophobe Beleidungen der Mexikaner: „Mit dem Schrei hilfst du uns nicht“
Der mexikanische Fußballverband hat seine Fans erneut aufgerufen, homophobe Rufe zu unterlassen. Diese sind ein tiefgreifenderes Problem.
Logo. Wenn die Anhänger der mexikanischen Mannschaft weiterhin diesen diskriminierenden Begriff rufen, geht es um mehr als die 10.000 Franken Strafe, die der Fußball-Verband nun zahlen muss, weil Fans beim WM-Spiel gegen Deutschland den Keeper Manuel Neuer das P-Wort entgegenschleuderten. Es drohen Punktverlust, Spielverbot und Schlimmeres. Ganz egal ob „puto“ nun „Stricher“, „Schwuchtel“, „Schwächling“ oder einfach „Feigling“ heißt.
Dabei fällt es den Spielern schwer zu verstehen, was da eigentlich passiert. „Wir wissen alle, dass dieser Schrei weder homophob noch abwertend ist, dass er nicht beleidigen soll und als grober Scherz gemeint ist“, erklärt der Mittelfeldspieler Marco Fabián. „Er ist Teil unserer Folklore.“
Chicharito und Fabián dürften mit ihren widersprüchlichen Botschaften den meisten Mexikanerinnen und Mexikanern aus der Seele sprechen. „Wir sollten uns im Ausland nicht so aufführen“, findet der 30-jährige Enrique Leon. Deshalb hält er die Fifa-Entscheidung für berechtigt. Die Gesänge werfen schließlich ein schlechtes Bild auf sein Land. Was natürlich nicht heißt, dass er selbst dieses Wort vermeiden würde.
„Es lebe Mexiko, Kinder der Gefickten“
Kaum eine informelle Unterhaltung in Mexiko vergeht, ohne dass mindestens ein Mal einer der vielen umstrittenen Begriffe fällt, die ebenso positiv wie negativ besetzt sein können. Und jedes dieser Worte ist zweifellos sexistisch konnotiert: Hurensohn, Schwuchtel, häufig spielt die „madre“, die „Mutter“ eine wichtige Rolle.
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Der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz hat sich in seinem Essay „Labyrinth der Einsamkeit“ intensiv mit dieser Doppeldeutigkeit auseinandergesetzt. Am Begriff „chingada“ – der leidenden, vergewaltigten mexikanische Mutter – zeigt er auf, wie diese gemeinhin als vulgär angesehene Sprache der Identitätsfindung dient. Mit der „chingada“ verbindet er die Kolonialisierung Mexikos durch die Spanier. Mit dem Ausruf „Es lebe Mexiko, Kinder der Gefickten“, so Paz, schafften sich die Mexikaner ein „wir“, das sich vom Anderen abgrenzt.
Dass nun die Mexikaner wegen eines Wortes „gefickt“ werden, von dem der Rest der Welt eh keine Ahnung hat, erklärt die aufgeregten – und ja, oft sexistischen – Reaktionen, mit denen sich viele Fans in den sozialen Medien Luft machen. Zu den freundlichen gehört ein Plakat, das detailliert ausführt, wie unterschiedlich das Wort „puto“ benutzt wird: „Qué puto calor“ – „Was für eine unglaubliche Hitze“. Oder, um beim Thema zu bleiben: „Qué puto golazo metió este cabrón“ – „Was für ein Super-Tor hat dieser Mistkerl geschossen“.
Egal, findet der Journalist León Krauze. Gerade in einem Land, in dem schon der Begriff „Mutter“ ebenso als Ausdruck der Liebe wie als skandalöses Schimpfwort gebraucht werde, müsse man besonders auf den Kontext achten. „Der Ursprung des Gesangs ist zwar nicht geklärt, aber das ist letztlich irrelevant. Er ist verletzend, und das zählt“, schreibt der Kolumnist mit Blick auf die Sprechchöre in den Stadien.
Alles andere als harmlos
Auch der Anthropologe Eduardo Liendo will den homophoben Diskurs nicht kulturell rechtfertigen. Die mexikanische Verfassung verbiete die Diskriminierung sexueller Präferenzen und stelle sie unter Strafe. „Aus menschenrechtlicher Sicht dürfte das Wort auch in unseren Stadien nicht hingenommen werden“, sagt Liendo.
Vertreter der LGBTI-Comunity forderten nach dem Fifa-Urteil ein schärferes Vorgehen gegen den mexikanischen Fußballverband. Das Spiel müsse abgebrochen werden, wenn solche Parolen gerufen würden, erklärte der Aktivist Cyd Zeigler. „Oder man muss das mexikanische Team zwingen, in einem leerem Stadion zu spielen.“ Er wirft der Fifa vor, zu lax mit der Tri umgegangen zu sein. Die Selección ist seit der letzten WM in Brasilien bereits sieben Mal wegen dieser Rufe bestraft worden, aber immer nur zu Geldzahlungen.
Im November 2017 wies die Antidiskriminierungsstelle Conapred darauf hin, dass das Rufen von „ehhh puto“ alles andere als harmlos sei: „Das reflektiert die Homophobie, den Machismus und die Frauenfeindlichkeit, die weiterhin in unserer Gesellschaft existiert.“ Die LGBTI-Organisation „Letra S“ meldete, dass in den letzten fünf Jahren 381 Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender ermordet wurden. Vergangene Woche traf es drei Aktivisten im Bundesstaat Guerrero. Sie wurden mit Kopfschüssen hingerichtet.
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