Hommage an Esther Ofarim: Mit einer gewissen Unverzagtheit

80 Jahre ist die israelische Sängerin Esther Ofarim jüngst geworden. Ihr Auftritt vor den Toren Hamburgs ließ vergangene Zeiten lebendig​ werden.

Stimmlich in bester Form: Esther Ofarim Foto: Heinrich Holtgreve/Ostkreuz

Ein halbtropischer Auftritt, einer ihrer raren, in einem Bootshaus direkt an der Elbe. Es könne gewiss stark regnen, sagte der Mann vom gastgebenden Schleswig-Holstein Musik Festival, dann werde es aufs Dach prasseln – aber höchstens zehn Minuten, da sei er sicher. Er war eine Spur nervös, das Wetter sollte bloß nicht diesen Coup eintrüben: Diese Künstlerin für diesen Sommerreigen klassischer Konzerte (gern auch in Scheunen und auf schick gemähten Wiesen) gewonnen zu haben. Sie geht nicht überall hin.

Die Künstlerin ließ sich nicht beirren, und als sie auf die Bühne kam, prasselte nur der Beifall: Esther Ofarim, rote Haare, freundliches Antlitz, gehüllt in eines der schönsten Kleider, das sich für diesen schwülen Abend nur denken ließ: ein schwarzes, gazeangeknittertes Stück Stoff, in dem sie mit ihren knappen Bewegungen eine gewisse Eleganz zeigte, sehr cool, ungebügelt fein.

80 Jahre ist Ofarim im Juni geworden, hier im Schuppen 1 des mächtigen Bootshauses an der Elbe wirkt sie, als könne solch ein Alter nur in Würde und Anmut gelebt werden. Es riecht am Veranstaltungsort nach echter Bootskultur, in der Luft liegt weniger Parfum als ein Duft von Ölen und Teer. Die Ofarim aber, ist sie den Jüngeren noch ein Begriff? „Meine Mutter hörte das so gern“, „Meine Oma hat ihre Platten“, „Mein Opa erzählt von ihr“ – so sagen sie über eine Frau, die in den 1960ern das erste Mal eine Berühmtheit wurde, als Sängerin, oft zusammen mit ihrem damaligen Mann Abi Ofarim.

Geboren wurde sie 1941 in Safed, einem jüdisch-frömmlerischen Ort oberhalb des Sees Genezareth, es war noch kein Staat Israel, dafür britisches Mandatsgebiet. Kind einer jüdischen Familie, eingewandert gerade aus Syrien, gesegnet mit einer klaren, in allen Höhen und Tiefen sicheren und zugleich kräftigen Stimme. Esther Ofarim hatte da und dort mit ihrem Mann Abi in Israel Erfolge, aber für Größeres mussten Grenzen überwunden werden. Eine Nebenrolle in Otto Premingers zionistischer Kinoarbeit „Exodus“ als Esther Reichstat (wie die Ofarims eigentlich hießen), neben Paul Newman und Eve Marie Saint. Auftritte bei Festivals, 1963 gar sie allein mit „T’en va pas“ für die Schweiz beim Eurovision Song Contest und danach immenses Interesse der Musikindustrie.

So ein Paar, vor allem so eine Sängerin, fehlte für ein Publikum auch in der Bundesrepublik, das weder auf Beat stand noch auf Schlager. Die Ofarims, das war dieser gewisse Sound erwachsener Musik, der politische Stücke ins Geschmackvolle, ins Liedguthafte übertrug. Odetta, Nina Simone, Miriam Makeba, Nana Mouskouri, sie alle interpretierten die Songs der politisch aufbrüchigen 60er Jahre, machten Folk ohne Hippieappeal – und Esther Ofarim war unter ihnen noch ein eigenes Elysium. Auftritte in den USA, in Europa, in Japan oder Australien: Sie war, obgleich nie offiziell, auch Botschafterin Israels, dieses Staat gewordenen Verständnisses vom Überlebenwollen um jeden Preis nach dem Holocaust.

Am Montagabend, der intensive Schauer vom Himmel hatte ein Ende gefunden, war diese Zeit durch das Programm Ofarims so lebendig, dass dem Publikum eine Seligkeit in den Gesichtern stand. Nach „My Fisherman My Laddie-O“ kam „Dirty Old Town“. Dann, eine Verneigung vor dem von ihr verehrten Leonard Cohen, das neuere „Hallelujah“, einige Stücke auch von Yoni Rechter, ihrem Bandleader aus Israel, mal getragen, dann wieder lustig albern wie in „Drunk“. Dann, das einzige Lied auf Deutsch, „Surabaya Johnny“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill (von ihnen etwas später auch „Moon of Alabama“, linkes Schlagerliedgut mit allerbester Kredibilität). „Scarborough Fair“ von Simon & Garfunkel hatte sie ebenfalls im Programm, schließlich abermals Cohen, sein „Bird on the Wire“ bekam durch ihre Interpretation eine gewisse Unverzagtheit.

Stimmlich war sie, was in ihrem Alter bei anderen Künst­le­r*in­nen keineswegs selbstverständlich ist, in bester Form. Ihre Höhen nur gelegentlich zurückhaltender als einst, ihre Tiefen wärmer denn je – vor allem aber ihre Kraft verblüffte. Es mögen tausend Zu­schaue­r*in­nen im Wedeler Bootshaus vor Hamburg gewesen sein, die vor Glück mit Beifall großzügig umgingen. Die Ofarim gab nach der spektakulär in den Klatschillustrierten ausgetragenen Trennung von ihrem Mann Abi in den späten 60er Jahren ja nur sehr wenige Konzerte, ob in Israel, wo sie manchmal als Heimkehrerin, dann wieder als „zu deutsch geworden“ kommentiert wurde, oder in Deutschland.

Esther Ofarim auf einer Straße.

Esther Ofarim in den 1960er Jahren in Deutschland Foto: United Archives/imago

An diesem Abend hatte sie offenkundig Lust, einen Liederreigen zu präsentieren, der auch als Testament ihrer frühen Zeit interpretiert werden kann: Wir alle singen und verstehen die Lieder vom Frieden, von Aussöhnung, vom Verstehen, von der Melancholie wie der Fröhlichkeit. Wir kommen als Welt zusammen!

Sie war ja kein Hitparadenstar, obwohl „Cinderella Rockefella“, ein kabarettoides Couplet, ein heiteres Stück, das international in vielen Charts sehr weit oben lag, Pop in jeder Hinsicht war. 1969 spielte sie in dem Krimi-Dreiteiler „11 Uhr 20“ (mit Hans-Joachim Fuchsberger, Gila von Weitershausen), einem „Straßenfeger“ wie man damals sagte, eine geheimnisvolle Sängerin namens Miriam, die in der Kasbah ein Lied singt – und die man zehn Filmminuten später als Leiche wiedersieht. Sie war ein Darling der relevanten Musikshows, die immer irgendwie den Titel „Gala“ trugen und internationaler waren als die heute üblichen Shows in ARD und ZDF.

Sie war so angebetet, dass die Bee Gees sich ausbaten, für sie ein Lied komponieren zu dürfen. Was sie durften, die drei australischen Brüder und die Ofarims kannten sich aus Großbritannien. Heraus kam ein kanonischer Kracher in wehmutsstiftender Absicht namens „Morning of My Life“ – eine Ode an die Zeit der jungen Jahre, die appelliert, nicht alles sofort zu wollen und geduldig zu bleiben; ein Leben sei lang und biete viele Möglichkeiten. Die Ofarim gab dieses Lied als Zugabe, hinreißend rund gesungen, abermals ehrerbietig freundlichster Beifall.

Sie lebt im Übrigen seit Jahrzehnten in Hamburg, dort blieb sie hängen, im früheren jüdischen Viertel an der Alster, aus privaten Gründen. Und das war auch ganz naheliegend, denn die Stadt hat ihr ja immer besonders den Hof gemacht. In den 80er Jahren begann in Deutschland, die Generation der Sixties war nicht mehr jung, ihre nächste Karriere: Eine Hauptrolle in Joshua Sobols Holocaust-Musical „Ghetto“ unter der Regie Peter Zadeks; in weiteren Rollen der sehr junge Ulrich Tukur, dazu Giora Feidman mit seinem deutschen Bühnendebüt – und eben die Ofarim.

Es war die Zeit, als israelische Stimmen noch gern gehört wurden, ohne zeitgleiche Forderung nach Verdammnis der politischen Zustände. Die Theaterkritik, die sich ohnehin schwer tat mit dem Sobol-Stück, kulminierte seinerzeit zu einem kleinen Skandal (Darf man aus dem Holocaust ein Musical machen?), sowohl in Westberlin bei der deutschen Uraufführung, als auch später in Hamburg am Schauspielhaus. Aber das Musical wurde ein Blockbuster des Bildungstheaters, und die Ofarim Vorstellung für Vorstellung besonders mit Beifall bedacht.

An diesem halbtropischen Abend in Wedel schien es, als wäre die Ofarim mit 80 Jahren so gut gelaunt, so freundlich, so smart und fein wie nie. Sie musste nichts beweisen, und das hat ihr Konzert auch zu einer Art Geburtstagsdank gemacht. Mit einem kleinen Winker ging sie ins Off, nicht erschöpft, eher: erfrischt.

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