Holocaustüberlebende Margot Friedländer: „Seid Menschen“
Das wurde auch höchste Zeit: Die Freie Universtität Berlin verleiht der 100-jährigen Margot Friedländer die Ehrendoktorwürde.
Die Ehrendoktorwürde der Freien Universität (FU) Berlin, die ihr an diesem Mittwochabend im Henry-Ford-Bau in Dahlem verliehen wird, ist freilich nur der Rahmen, um wieder einmal einen großen Auftritt von ihr erleben zu können. Es stimmt ja, was Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann zum Ende ihrer Laudatio sagt: „Es ist nicht die Uni, die Margot Friedländer ehrt; vielmehr ist es Margot Friedländer, die die Uni ehrt.“
Gänsehaut hätten sie bisweilen gehabt, sagen einige Zuhörer*innen über die Zeremonie. Denn in Friedländers Lebensgeschichte – und damit in der zierlichen Person auf der Bühne – spiegeln sich die Verwerfungen und Folgen des düstersten Kapitels der jüngeren deutschen Geschichte wider, genauso wie die Spuren, die die Nazi-Zeit in Berlin hinterlassen hat.
Friedländer wird 1921 in Berlin geboren. Der jüdischen Familie gelingt die Flucht aus Deutschland nicht; 1943 wird ihr jüngerer Bruder von der Gestapo abgeholt, die Mutter stellt sich daraufhin und gibt ihrer Tochter den Satz mit: „Versuche, dein Leben zu machen.“ Es ist der Titel von Margot Friedländer erst 2008 erschienen Buch – und das häufigste Zitat in den Reden an diesem Abend an der FU.
Im Untergrund
Friedländer taucht daraufhin unter, lebt 15 Monate als sogenanntes U-Boot illegal in Berlin, bis sie 1944 doch geschnappt und nach Theresienstadt deportiert wird. Doch sie überlebt die Nazizeit, anders als ihre Familie, die in Auschwitz ermordet wird. Nach dem Krieg heiratet sie und zieht nach New York. Ihre Geschichte wird Vergangenheit.
Doch ihre Erinnerungen holen sie ein nach dem Tod ihres Mannes, 2003 kommt sie, schon über 80, erstmals für einen Kurztrip nach Berlin. Sie schreibt ihre Geschichte auf Deutsch auf und zieht 2010 endgültig in ihre Geburtsstadt zurück. Seitdem arbeitet Friedländer unermüdlich als Zeitzeugin, „ihre Mission“, wie sie die Arbeit an diesem Abend nennt. Inzwischen ist sie eine der letzten Holocaustüberlebenden; mit ihrer Arbeit will sie junge Menschen zu „Zweitzeugen“ machen, die die Erinnerung an den Holocaust durch ihre Erzählungen wach halten.
Friedländer hat für ihre eindrückliche Arbeit viele Auszeichnungen bekommen, sie ist Ehrenbürgerin Berlins und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Aber eine Ehrendoktorwürde hatte sie bisher nicht. Die Anregung sei aus der Bevölkerung gekommen, berichtet der FU-Historiker Paul Nolte am Rande der Veranstaltung, und sei dann sowohl an die Leitung der FU wie der Humboldt-Universität herangetragen worden.
Die FU setze schließlich eine Promotionskommission ein, die in der Rekordzeit von vier Monaten zwei Gutachten erarbeitete, ob die Doktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften auch wirklich angemessen sei. Und auch der Text der Urkunde muss am Mittwochabend in vollem Umfang vorgetragen werden – sonst wäre die Verleihung nicht korrekt.
Ein bisschen förmlich verläuft der Abend daher, mit mehr Reden als nötig. Und als Friedländer in einem kleinem, recht steifen Podiumsgespräch mit Historiker Nolte auf einige Fragen antworten darf, wirkt sie tatsächlich intellektuell unterfordert. Ob sie erschöpft sei, vielleicht inzwischen genug habe von ihrer Arbeit als Zeitzeugin, will Nolte etwa wissen. Überhaupt nicht, erwidert Frau Doktor Friedländer. „So lange es geht, geht's!“
Hoffentlich geht es noch lange. Das ist nicht nur ihr zu wünschen, sondern auch all jenen, die sie noch nie live erlebt haben.
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