Hoffenheim stellt die Liga auf den Kopf: Vom Dorfverein zum Spitzenreiter

Wenn Hoffenheim spielt, geht es um mehr als um die Platzierung in der Bundesliga: sondern darum, wie aus Provinz Weltklasse wird oder wie Konzeptfußball das Etablierte in Frage stellt.

Hoffenheims Erfolgsrezept: Mehr Tore schießen als die anderen. Dank Ibisevic. Bild: dpa

1. Kramen Sie in Ihrer Vereinsgeschichte und werden Sie nicht fündig: Es ist nicht gut, wenn der Verein geschichtlichen Ballast mitschleppt. Er sollte nicht in der ersten oder zweiten Bundesliga gespielt, nie einen Pokalerfolg errungen haben, und eine funktionierende Fankultur sollte er schon gar nicht besitzen. Hoffenheim ist in dieser Hinsicht ideal. Der Verein hat sich in der Vergangenheit am liebsten in der Bezirksliga oder der Landesliga herumgetrieben, 1991 noch in der sogenannten A-Klasse, also sehr, sehr weit unten.

Der erste offizielle Fanklub wurde erst im Jahre 2001 gegründet, ein Häufchen, das sich unter dem Namen Zwingerclub zusammenfand. Hoffenheim, das war eine fußballerische Tabula rasa, eine Projektionsfläche, auf die die Visionen der Zukunft projiziert werden konnten. Alte, verknöcherte Strukturen oder neunmalkluge Altprofis hätten beim Aufbau des Neuen nur geschadet. Hoffenheim war lediglich ein Standort, auch der Vereinsname war reine Verhandlungssache. FCH Heidelberg 07 war in der Diskussion, HSW Hoffenheim-Heidelberg oder FC Rhein-Neckar. Es wurde dann 1899 Hoffenheim draus, was ein bisschen aufschneiderisch daherkommt, denn eines hat der Verein nicht: Geschichte.

2. Schauen Sie sich nach großen Unternehmen in Ihrer Umgebung um: Am besten wäre natürlich ein DAX-Unternehmen, das sich auf regionales Sportsponsoring versteift. Wie zum Beispiel das Software-Unternehmen SAP. Noch besser ist es, wenn sich ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender dieses DAX-Unternehmens berufen fühlt, einen Dorfklub groß herauszubringen. Alle Voraussetzungen sind erfüllt, wenn dieser Mäzen früher einmal für den Dorfverein, also die TSG Hoffenheim, gestürmt hat. Dietmar Hopp erfüllt all diese Bedingungen. Damals hat er für jedes Tor eine Büchse Leberwurst bekommen, heute hätte er solche Almosen nicht mehr nötig.

Im Gegenteil: Sein Vermögen beläuft sich mehrere Milliarden Euro. Er gehört zu den 30 Reichsten Deutschlands. Hopp hat Geld. Er gibt es gern. Auch an 1899 Hoffenheim, das im Januar 2009 ein neues, topmodernes Stadion bekommt - für etwa 40 Millionen Euro. Einen Golfplatz hat er bereits bauen lassen in St. Leon-Rot, eine Arena in Mannheim, aber das sind Kleinprojekte im Vergleich zum Hoffenheimer Entwicklungslabor, in dem offenbar ohne viel Alchemie eine Rezeptur für die Champions League gebraut wird.

3. Gehen Sie unbeirrbar Ihren Weg und lassen Sie so die Kritiker verstummen: Das Mittelmaß ist der Feind des Visionärs. Spott und Häme der Mediokren müssen Sie standhaft ertragen. Dietmar Hopp, der etwas andere Fußballmäzen, hat sich in Fußballforen beschimpfen lassen müssen. "SG Neureich Bimbesheim" hat man sein Projekt genannt, ihn "den Roman Abramowitsch aus der Kurpfalz". Gegnerische Fans nahmen ihn auf einem Plakat sogar ins Fadenkreuz, dabei wollte er es doch ganz anders machen als der neureiche Russe beim FC Chelsea London.

Es ging Hopp nie darum, eine Marke zu kaufen, nein, er wollte wie damals bei SAP klein anfangen, größer werden - bis er in der ersten Liga spielt. Dass Erfolg im Fußball planbar ist, das ist das Verblüffende am Aufstieg Hoffenheims. In einer Branche, in der es vor Unwägbarkeiten zu wimmeln scheint, hat Hopp den Erfolg auf dem Reißbrett entworfen. Das ist beachtlich und gespenstisch zugleich. Es erschüttert die Grundfesten des Geschäfts.

4. Beenden Sie die Neiddebatte durch eine hinreißend offensive Spielweise: Klar, der Aufstieg Ihres Dorfvereins ist nur mit Geld möglich, sehr viel Geld. Die aufkeimende Neiddebatte wird heftig sein. Darauf müssen Sie sich gefasst machen. "Geld schießt Tore" und andere siebengescheite Sprüche werden Sie zu hören bekommen. Man wird Ihnen begegnen wie einem Fremdkörper, einem Eindringling, der sich breitmacht. Doch je mehr Tore Sie schießen, je öfter Ihre Stürmer durch die Abwehr tauchen wie Delfine durch die Fluten, desto mehr Sympathie wird Ihnen entgegenschwappen.

40 Tore hat Hoffenheim in der Bundesliga jetzt schon geschossen, fünf mehr als die Bayern, gegen die es am heutigen Freitag im Spitzenspiel der Bundesliga geht. Demba Ba, Vedad Ibisevic und Chinedu Obasi heißen die famosen Angreifer Hoffenheims. Der Bosnier Ibisevic hat nach 15 Spieltagen allein schon 17 Tore geschossen. Damit ist Fredi Bobic im Jahre 1996 - damals war er beim VfB Stuttgart unter Vertrag - Torschützenkönig geworden, nach 34 Spieltagen wohlgemerkt. Auch hier setzt Hoffenheim neue Maßstäbe.

5. Lassen Sie "Konzeptfußball" spielen, am besten den aus der Freiburger Schule: Im Fußball gibt es eigentlich nur zwei Philosophien des Spiels: Fußball mit Konzept und Fußball ohne Konzept. Mit Konzept heißt: Hier zerbricht sich ein Trainer den Kopf, wie er ohne Stars schnellen, attraktiven und erfolgreichen Fußball spielen kann. Beim SC Freiburg hat sich Volker Finke an dieser Version des Kicks versucht, Ralf Rangnick tut es nun in Hoffenheim. Rangnick, auf den noch die altmodische Bezeichnung Fußballlehrer zutrifft, hat einst die "ballorientierte Raumdeckung" erfunden, so etwas wie Forechecking auf höherem Niveau.

Damit es mit den Lektionen aus der Freiburger Schule auch hinhaut, hat er als Co-Trainer Achim Sarstedt verpflichtet, der jahrelang unter Finke gearbeitet hat. Seit 2006 ist Rangnick im Kraichgau. Das ist tiefe Provinz, aber doch viel besser als die Arbeit bei Großvereinen wie Schalke 04 oder VfB Stuttgart. Dort hat sich Rangnick nie wohlgefühlt, zu viele redeten herein, nahmen ihn nicht ernst, witzelten über seine Verbissenheit oder seine fehlende Geschmeidigkeit bei öffentlichen Auftritten. Jetzt ist Rangnick angekommen. Beim Konzeptverein 1899 Hoffenheim. Der Ort hat nur 3.300 Einwohner, die Kraichgau-Stimme und die Rhein-Neckar-Zeitung setzen ihm nicht allzu sehr zu.

6. Fordern Sie die Bayern heraus: Geldgeber Hopp (Handicap 10) hat keine Probleme damit, den FC Bayern zum Duell zu bitten. Er muss nur seinen Spezi Franz Beckenbauer anrufen und zum Golfspiel einladen. So manche Runde haben sie auf den Grüns gedreht. Den Respekt Beckenbauers hat sich Hopp bereits erarbeitet, vor allem durch sein mutiges Eingeständnis, dass er vom harten Fußballgeschaft nicht so sehr viel versteht und deswegen lieber auf Leute seines Vertrauens baut. Im Vorfeld des Bundesliga-Gipfeltreffens ist es zu kleinen verbalen Scharmützeln zwischen Bayern-Manager Uli Hoeneß und Hopp gekommen, aber das ist nicht der Rede wert, denn die Bayern finden Hoffenheim eigentlich gut, in erster Linie Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann. Im Kraichgau wurde ja auf Vereinsebene das gemacht, was Klinsmann im Nationalteam umgesetzt hat. Hoffenheim setzt auf Klinsmanns Psychologen und auf den ehemaligen Hockey-Nationaltrainer Bernhard Peters, den Klinsmann einst auf den Posten des DFB-Sportdirektors hieven wollte. Hoffenheim und Bayern sind sich viel näher, als viele glauben.

7. Holen Sie Spieler, auf die sonst niemand setzt: Man könnte ja denken, Demba Da oder Vedad Ibisevic hätten teuer eingekauft werden müssen. Der Senegalese kam vom belgischen Klub Excelsior Mouscron, der Bosnier von Alemannia Aachen. Richtig kostspielig waren die Transfers nicht. Auch Marvin Compper und Tobias Weis, die Hoffenheimer Neu-Nationalspieler waren recht günstig zu haben. Doch es geht Hoffenheim nicht um Schnäppchen, es geht ihnen um Spieler, die anderswo nicht weiterkommen oder verkannt werden, im Kraichgau aber zu großer Form auflaufen. Trainer Rangnick muss jetzt damit leben, dass seine Spieler, die sich wie aus dem Nichts an die Spitze geschossen haben, heftig umworben werden. Ibisevic hat aber bekräftigt, bleiben zu wollen. Und Hopp sagt: "Diese Mannschaft müssen wir unter allen Umständen auch in der nächsten Saison zusammenhalten."

8. Versuchen Sie es mit ein wenig Budenzauber: Verantwortlich für den esoterischen Überbau ist Bernhard Peters. Er hat früher Hockey gelehrt, heute kümmert er sich darum, dass die Junggesellen in der Mannschaft auch ordentlich essen vor einem Spiel - oder er schreibt Bücher, aus denen in Managementseminaren zitiert wird. Peters "entwirft Leitbilder", die er dann auf "die Jugendarbeit herunterbrechen" will. Er spricht sich für "duale Laufbahnberatung" und "Gedankenmanagement" aus. Der Spiegel hat ihm das "Temperament eines Leitz-Ordners" unterstellt, aber Peters kann auch anders, nämlich ganz toll motivieren. Rangnick war nur im Doppelpack mit Peters zu haben. Dessen Wirken mutet bisweilen etwas nebulös an, doch mit seinen verschwurbelten Ansagen, die im Reich der Leiter und Lenker als letzte Weisheiten taugen, passt er perfekt zum mittelständischen Unternehmen Hoffenheim. Es wird wohl bald an der Börse notieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.