Hörspiel bei NDR Info: Alkoholiker mit Klassenbewusstsein
Ingrid Marschangs Hörspiel-Trilogie „Geschichten aus der großdeutschen Metropulle“ findet mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ihr gelungenes Ende.
Nach dem Mauerfall erklärte das Frankfurter Satiremagazin Titanic die „endgültige Teilung Deutschlands“ zu seinem Ziel. Auch sein politischer Arm, die PARTEI, agitiert in diesem Sinn, plädiert regelmäßig für eine Wiedererrichtung der Mauer und machte Rocko Schamonis „Mauern“ zum offiziellen Wahlkampf-Song. Bisher konnte das Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt werden, die Berliner Republik existiert weiter.
Kein Grund zu verzagen, vielmehr ein Anreiz, gegen die bestehenden Verhältnisse anzuarbeiten. Ingrid Marschang, die bei der Titanic ihr Volontariat machte, zeigt dies beispielhaft in ihren „Geschichten aus der großdeutschen Metropulle“. Die vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) produzierte Hörspiel-Trilogie findet jetzt mit dem letzten Teil „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ihren gelungenen Abschluss.
Hauptfigur der Krimi-Groteske ist der derangierte Privatdetektiv Johann „Johnny“ Marland (gesprochen von Stefan Kaminski). Im ersten Teil (NDR 2010) sollte er den Bewohnern eines Plattenbaus in Ostberlin Sozialbetrug nachweisen, denn der Eigentümer wollte das Spekulationsobjekt entmieten. Teil zwei (NDR 2012) spielte im Bunker unter dem Nobelhotel Hyatt, wo Marland die Sicherheit der Gäste überwachen sollte. Beide Male hatten Johnnys Auftraggeber nicht lange Freude am Tun des Detektivs, denn der passionierte Alkoholiker mit Klassenbewusstsein ermittelte vor allem gegen seine eigentlichen Geldgeber.
„Einigkeit und Recht und Freiheit“ startet mit der Beschreibung von Johnnys prekärer Lage. Tagsüber arbeitet er bei der Post unter dem sadistischen Vorarbeiter Herzog (Markus John) als Paketsortierer am Fließband. Nachts bewacht er die Mülltonnen der Schönhauser Allee Arcaden, um sie vor Obdachlosen, Rentnern und anderen Dumpster-Divern zu beschützen. Bei der Agentur für Arbeit – Behördenmotto: „Arbeit macht froh“ – muss er zudem regelmäßig an telefonischen Motivationskursen teilnehmen. Und in seiner kleinen Wohnung wird er von der Hausverwalterin (Katja Brügger), der er monatlich den Bericht „Ich und meine Wohnung“ zur sinnvollen Wohnungsnutzung vorlegen muss, nur wegen der Sozialquote geduldet.
So., 22.2., 21.05 Uhr, NDR Info; „Geschichten aus der großdeutschen Metropulle. Folge 3: Einigkeit und Recht und Freiheit“; Hörspiel (NDR 2015) von Ingrid Marschang.
Wie immer in Geldnot nimmt Johnny den Auftrag von Marita Kolbe (Gabriela Maria Schmeide) an. Mit dem Honorar lässt sich bei Lidl der Beaujeaulais-Vorrat aufstocken. Frau Kolbe, die von der Agentur für Arbeit eine bewegungsfördernde Fußfessel mit Schrittzähler verpaßt bekommen hat (jedesmal wenn sie für kurze Zeit stehen bleibt, startet ein nervtötender Klingelton-Loop der ersten Takte von „Ring of Fire“) bittet Johnny, ihren verschwundenen Sohn wiederzufinden. Johnny bekommt 500 Euro als Vorschuss, am Organschalter der Deutschen Bank hat Marita Kolbe einen Kredit aufgenommen, der mit Spenderorganen zu begleichen ist.
Nie traurig oder kitschig
So beginnt Johnny zu ermitteln, und stößt auf ungeahnt tiefe Abgründe bei der institutionellen Gängelung und Verwertung von Arbeitslosen. Aus der drastischen Überzeichnung der Realität bezieht „Einigkeit und Recht und Freiheit“ zum einen sein komisches Potenzial, zum anderen gelingt es, tatsächliche Tendenzen in Sachen Leistungskürzung und Multijobbing offenzulegen. Das Hörspiel wird trotzdem nie traurig oder kitschig. Zur lustigen und stimmungsvollen Inszenierung unter Regie von Andrea Getto hat nicht zuletzt die Berliner Acapella Truppe BART beigetragen.
BART klingt zwar ein bisschen nach den „Simpsons“, aber „South Park“-Humor ist an manchen Stellen das geeignetere Vergleichsmoment. So findet der Showdown in der „Eisernen Kanzlerin“ statt, einer Statue, die sich als Anspielung auf die „Mecha-Streisand“ aus der US-Cartoonserie von Trey Parker und Matt Stone entpuppt. Bei diesem witzigen und sozialkritischen Hörspiel kann der Zuhörer auf jeden Fall über die herrschenden Verhältnisse lachen.
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