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Höhenflug von Union BerlinGegenmodell zum Großkotz Hertha

Alina Schwermer
Kommentar von Alina Schwermer

Dass Union Berlin jetzt Europa League spielt, ist eine Sensation. Die Fußballfolklore der Underdogs erzählt einiges über vernünftiges Wirtschaften.

Kümmert sich ums große Ganze und auch Details: Urs Fischer, Trainer vom 1. FC Union Foto: dpa/Matthias Koch

E s soll Menschen geben in Köpenick, die sich die aktuelle Tabelle der Männer-Bundesliga ausschneiden. Oder, vielleicht zeitgemäßer, abfotografieren. Union Berlin, Tabellenführer in der Fußballbundesliga. Dass sie das noch erleben. Es ist eine beispiellose Geschichte des Aufstiegs, gegen die Aschenputtel geradezu nach Establishment aussieht.

Union also, dem viele im ersten Jahr Oberhaus nicht mal den Klassenerhalt zutrauten, hat den neureichen Rivalen Hertha hinter sich gelassen und sich bis an die Spitze gemausert. Und es ist wirklich bemerkenswert, wie dieser Aufstieg verlief: Platz 11 im ersten Ligajahr, dann Platz 7, dann Platz 5.

Schon die Tatsache, dass Union jetzt Europa League spielt, ist eine Sensation. Und die erste Liga eh. Union, nie richtig groß gewesen, war in den Neunzigern kurz vor klinisch tot. Gefälschte Bankbürgschaften, Schuldenberge, verweigerte Lizenzen, Rettungsaktionen der Fans, zuletzt das Darlehen von Michael Kölmel: Der Weg zur Rettung ist längst Folklore. Auferstanden aus Ruinen, hat der Köpenicker Klub einen Marsch wie kaum einer zuvor hingelegt, von der dritten Liga in die erste. Die sportlichen Ursachen – von der hervorragenden Personalpolitik bis zur klugen Mischung aus Kampf und Spiellust, von den mittlerweile sehr guten Strukturen bis zur Geduld der Fanszene – sind hinreichend analysiert worden.

Union Berlin ist freilich nicht der Ritter in der goldenen Rüstung. Immer wieder gab es in den Jahren wachsenden Erfolgs auch andere Geschichten aus dem Inneren: Rassismusvorwürfe am Nachwuchsleistungszentrum, Beschwerden aus dem weiterhin stiefmütterlich behandelten Frauenteam wegen fehlender Unterstützung.

Ein Sensationsmeister Union Berlin würde viele Probleme des kaputt gewirtschafteten Fußballs sehr wirksam übertünchen.

Üblicher Fußballverein mit allerlei Untiefen

Union Berlin, das ist auch ein üblicher deutscher Fußballverein mit allerlei Untiefen. Allerdings einer, dem gelungen ist, was die meisten anderen Klubs niemals schaffen: mehr über sich zu erzählen als den sportlichen Erfolg. Eine Marke, die gerade deshalb sportlich so erfolgreich ist, weil sie keinen derart hohen Druck hat, sportlich erfolgreich sein zu müssen. Man kann es sich leisten, sich Zeit zu nehmen, günstig einzukaufen, immer noch den Nichtabstieg als Ziel auszurufen. Das Gegenmodell zu Großkotz Hertha.

Von Märchen sagt man, dass sie auch dazu dienen, Gesellschaftsmodelle zu erhalten. Das arme, bescheidene Mädchen, das eben doch den reichen Prinzen kriegen kann. „Aufstieg ist möglich“ statt „Klassengesellschaft abschaffen“. Und wenn Union Berlin mit einem Zehntel des Marktwerts, den der FC Bayern hat, aktuell an der Spitze steht, ist das natürlich auch so eine Erzählung. Man kann es doch schaffen. Wunder gibt es noch. Manche fühlen sich gar an den englischen Außenseitermeister Leicester City erinnert.

Faktisch natürlich bestätigen solche Ausnahmen die Regel. Und dennoch ist Union vielleicht ein Vorbild, wie ein zumindest etwas sinnvolleres Wirtschaften des Fußballs funktionieren kann. Mit ein bisschen weniger absurden Summen, ein bisschen nachhaltigerer Arbeit, einer etwas anderen Story. Das alles findet jetzt auch Uli Hoeneß gut. Ein Sensationsmeister Union Berlin würde viele Probleme des kaputt gewirtschafteten Fußballs sehr wirksam übertünchen.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de
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2 Kommentare

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  • Die taz hat seit jeher ein erstaunlich romantisches Verhältnis zu Union. Dieser Artikel geht sogar fast noch, macht zumindest den Disclaimer, dass selbst dort nicht alles perfekt sei. Um dann natürlich doch ins Schwärmen zu geraten. Finanzierungsmodelle und problematische Fanszene werden nicht großartig beleuchtet. Aber vielleicht auch zu viel verlangt zum Zeitpunkt des Hypes. Und dass Ruhnert und Fischer einen guten Job machen, lässt sich auch nicht bestreiten. Die Verzweiflung ist halt groß im Fußball angesichts jahrelanger Bayerndominanz und Marketingkonstrukten. Da nimmt man so ziemlich alles gerne mit, was einen Hauch von Abwechslung verspricht.

  • ..... Und wenn Union Berlin mit einem Zehntel des Marktwerts, den der FC Bayern hat, aktuell an der Spitze steht, ist das natürlich auch so eine Erzählung....



    Guter Beitrag!



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    "An der Alten Försterei"



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