Hochwasser in Deutschland: Döbeln unter Wasser
Vielerorts droht ein Rekordhochwasser. In Bayern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Situation zum Teil dramatisch. In Tschechien gab es bereits Tote.
BERLIN/WIEN/PRAG dpa/afp | Die Hochwasserlage hat sich im Süden und Osten Deutschlands sowie in Österreich am Montag weiter verschärft. Bei den Überschwemmungen nach starkem Dauerregen kamen in Tschechien bereits mehrere Menschen ums Leben.
In Eilenburg nordöstlich von Leipzig wurde unterdessen die Innenstadt evakuiert, auch in Döbeln stand auf etwa 30 Hektar die komplette Innenstadt unter Wasser. Im Landkreis Leipzig gaben die Einsatzkräfte am Montag Dämme auf, um sich auf die Rettung von Menschen zu konzentrieren.
Im teilweise überfluteten Grimma mussten rund 2000 Menschen nach Angaben einer Rathaussprecherin ihre Häuser verlassen. Die Behörden gingen davon aus, dass der Muldepegel die Marke der sogenannten Jahrhundertflut von 2002 erreichen wird, von der Grimma besonders betroffen war. Laut Oberbürgermeister Matthias Berger sind die Schäden durch die zweite Überflutung binnen weniger Jahre „derzeit noch nicht abzusehen“.
Auch die Pegel der Elbe stiegen rasant an. In Dresden gilt seit Montag für einige Stadtteile die höchste Alarmstufe vier.
Hilfe aus Europa
Die EU-Kommission hat den vom Hochwasser betroffenen Ländern finanzielle Hilfe angeboten. „Die europäische Familie ist zur Hilfe bereit, soweit sie das gemäß dem Europäischen Solidaritätsfonds tun kann“, wurde der EU-Kommissar für Regionalpolitik, Johannes Hahn, am Montag in Brüssel von einer Sprecherin zitiert.
Der Fonds war 2002 nach dem schwerem Hochwasser der Elbe und anderen Flüssen gegründet worden. Er sieht Zahlungen an betroffene Länder für Nothilfe-Maßnahmen vor. Zuletzt hatte Slowenien im April 14 Millionen Euro aus diesem Fonds erhalten.
In den von Hochwasser betroffenen Gebieten sind viele hundert Helfer unermüdlich dabei, Sandsäcke zum Schutz gegen die Fluten aufzuschichten. Tausende Menschen mussten sich in Sicherheit bringen; ganze Ortschaften wurden evakuiert. Im thüringischen Serbitz brach ein Damm; in Kolbermoor bei Rosenheim drohte der Damm zu brechen. In vielen Haushalten fiel der Strom aus. Schulen blieben am Montag geschlossen.
In Passau steigen die Wasserstände unaufhörlich. Am Mittag erreichte der Pegelstand der Donau 12,50 Meter – der höchste jemals gemessene Wert. Große Teile der Altstadt und der Fußgängerzone drohen in den Fluten der beiden Flüsse zu versinken. Zum Teil haben sich die Fluten der beiden Flüsse verbunden – von oben gleichen einige Gebiete der niederbayerischen Stadt einer Seenplatte.
Auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen bleibt die Lage an den Flüssen kritisch.
Das Hochwasser behindert auch den Bahnverkehr. Insbesondere in Süd- und Niederbayern seien einige Strecken unterbrochen, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn. Betroffen sind unter anderem die Verbindungen München-Salzburg, Traunstein-Ruhpolding sowie zwischen Weilheim und Garmisch-Partenkirchen. Der Bahnhof Rosenheim wurde komplett gesperrt; dort stehen die Züge seit Sonntagabend still. Der Flugverkehr in München, Nürnberg und Augsburg lief normal.
In Thüringen unterstützen Soldaten der Bundeswehr seit Sonntagabend die Einsatzkräfte. In Passau wurden 150 Soldaten am Morgen erwartet. Weite Teile des Zentrums der Dreiflüssestadt sind großflächig überspült. In der Altstadt wurde der Strom abgestellt. Am Mittag sollte der Krisenstab der bayerischen Landesregierung zusammenkommen.
Seit Sonntagabend helfen 50 Soldaten in Bad Köstritz nahe Greiz bei der Deichsicherung, wie das Thüringer Landeskommando mitteilte. Weitere 70 Soldaten sind seit der Nacht in Gera im Einsatz.
Hochwasser fast wie im Jahr 2002
Im Süden Sachsen-Anhalts blieb die Lage an den Flüssen ebenfalls kritisch. Entlang der Weißen Elster und der Saale gelte überall die Hochwasserwarnstufe 4, hieß es aus der Landeshochwasserzentrale. Die Werte an den Pegeln steigen weiter. Der Katastrophenschutzleiter des Burgenlandkreises, Lutz Blech, bezeichnete die Lage in Zeitz am Morgen als dramatisch.
Auch im Landkreis Nordsachsen ist die Hochwassersituation an der Mulde weiter kritisch. Die Pegel steigen weiter, sagte der Sprecher des Landkreises, Rayk Bergner. Von den Werten des Hochwasser von 2002 sei man nicht mehr weit entfernt. Besonders betroffen ist laut Bergner die Stadt Eilenburg. Die gesamte Innenstadt wurde evakuiert. Rund 7.000 Menschen kamen unter anderem in Notquartieren unter.
Wegen des Hochwassers in Sachsen hat Volkswagen die Produktion in seinem Werk in Zwickau vorübergehend gestoppt. Die Frühschicht am Montagmorgen sei abgesagt worden, sagte ein Unternehmenssprecher in Zwickau. Zwar sei das Werk selbst nicht direkt vom Hochwasser betroffen, allerdings viele Verkehrswege im Umland, ein Teil der Lieferanten und auch zahlreiche Mitarbeiter.
Brandenburg ist vorbereitet
In Brandenburg war am Montag die Spree zwischen der Landesgrenze zu Sachsen und der Talsperre Spremberg am stärksten betroffen. Auch die Schwarze Elster bereitet auf Brandenburger Seite Sorgen. Für den Spree-Neiße-Kreis und die Pegel Bad Liebenwerda und Herzberg wurde die die zweithöchste Warnstufe ausgerufen.
Innenminister Dietmar Woidke (SPD) aktivierte deshalb das Koordinierungszentrum Krisenmanagement des Landes. Er betonte zugleich: „Es besteht derzeit keine akute Überschwemmungsgefahr für Brandenburg.“ Das Land wolle bei weiter steigenden Wasserständen lediglich frühzeitig gewappnet sein.
An der Spree geht der Blick in Richtung Sachsen vor allem zur Talsperre Bautzen. "Die ist randvoll und droht überzulaufen“, sagte der Sprecher des Landesumweltamtes, Wolfgang Genehr, in Cottbus.
Katastrophenalarm in Niederöstereich
In Österreich haben die Wassermassen von Donau und Inn eine Schneise der Verwüstung gezogen. Und am Dienstag erwarten die Menschen in Niederösterreich und in der Region rund um Wien Höchststände der Flut wie beim „Jahrhunderthochwasser“ 2002. In den Gemeinden an der Donau herrschte Katastrophenalarm. Auch das Militär war im Einsatz.
„Ich habe heute um fünf Uhr früh Dinge gesehen, die mir das Herz zerbrochen haben. 70-jährige Männer hatten Tränen in den Augen, weil sie ihr ganzes Hab und Gut verloren haben“, sagte der Bürgermeister von Schärding an der bayerischen Grenze, Franz Angerer.
Dort überflutete der Inn mit einem höheren Pegelstand als 2002 in der Nacht die Schutzanlagen. 500 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, die bayerischen Partnerstadt Grafenau schickte spontan Unterstützung: „Die sind einfach in der früh dagestanden und haben gesagt: Wir wollen helfen. Das gibt wirklich Mut.“
Während sich die Lage in Salzburg, Tirol und Vorarlberg trotz Verwüstungen langsam entspannte, sollte im Osten des Landes das Schlimmste noch kommen. In Niederösterreich und an den Donau-Auen rund um Wien bangten die Menschen, ob der neue Hochwasserschutz den Fluten mit einem prognostizierten Pegelstand von elf Metern standhalten wird.
Die österreichische Hauptstadt wird von dem Hochwasser wohl verschont bleiben: In Wien entlastet das in den 1970er Jahren ausgehobene Großprojekt „Neue Donau“ die Stadt von den Fluten. Der künstlich geschaffene Donau-Seitenarm leitet die Wassermassen um und ist nach Aussage der Behörden groß genug.
Tote und Vermisste in Tschechien
Die Zahl der Hochwasser-Opfer in Tschechien ist auf fünf gestiegen. Mindestens vier weitere Menschen galten nach Polizeiangaben am Montagmorgen als vermisst, darunter zwei Männer, die auf einem Hochwasser führenden Fluss eine Rafting-Tour unternommen hatten. Die Regierung rief am Sonntagabend nach einer Krisensitzung den Notstand über die Provinz Böhmen aus. In Prag waren weite U-Bahn-Abschnitte gesperrt, zahlreiche Bahnstrecken und Straßen waren unterbrochen, Schüler bekamen schulfrei.
Für den deutsch-tschechischen Grenzort Hrensko ist das Hochwasser eine Katastrophe. Die Kamnitz kann nicht mehr in die Elbe abfließen und überflutet Keller und Straßen, wie Bürgermeister Jan Havel berichtet. "Es ist hoffnungslos", sagt der 68-Jährige resigniert. Für die idyllische Tourismusgemeinde in der böhmisch-sächsischen Schweiz ist es nicht der erste schwere Schlag. Nach 2002, 2006 und 2010 steht Hrensko ein viertes Mal unter Wasser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg