Hochschule: Studierende leiden nicht genug unter dem Master
Studentische Initiative will rechtlichen Anspruch auf einen Masterstudiengang für Bachelor-AbsolventInnen durchsetzen.
Dutzende Studierende laufen durch das Foyer des Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität (HU) in Mitte. Die meisten wollen in die Unibibliothek. Alexander Klute und Mathias Bartelt sind an diesem Adventssonntag wegen etwas anderem hier: Sie sitzen an einem Tisch, vor ihnen ein Laptop und mehrere Unterschriftenlisten. Zwei Zettel, grafisch angelehnt an ein Ortseingangsschild und den Protest gegen Stuttgart 21, zeigen das Vorhaben: "Volksbegehren - Freie Zulassung zum Masterstudium".
"Die Idee entstand nach den Bildungsprotesten 2009", erzählt Klute. Der 40-Jährige ist einer der fünf Initiatoren des Volksbegehrens. Er selbst hat Geschichte und Englisch auf Lehramt studiert und sein Staatsexamen bereits hinter sich. Nun empfinde er eine innere Verpflichtung, die vergleichsweise komfortablen Studienbedingungen wiederherzustellen, von denen er profitiert habe - vor der Einführung des Bachelor-Master-Systems vor gut fünf Jahren. Die heute bestehenden Zulassungsbeschränkungen seien Teil des Bildungs- und Sozialabbaus, erklärt Klute. "Wenn man Leuten den Bachelor ermöglicht, muss man ihnen auch den Master ermöglichen." Es ist eine der Kernforderungen der meist im Herbst aufflackernden Bildungsproteste der vergangenen Jahre.
Der Weg der Initiative, diesen Wunsch umzusetzen: ein Volksbegehren und letztlich ein Volksentscheid. Ihr Gesetzentwurf sieht für Berliner Bachelor-AbsolventInnen einen rechtlichen Anspruch auf den Masterstudiengang an derselben Hochschule vor. Das Land soll den Unis die erforderlichen Mittel für eine Erweiterung der Studienplatzkapazitäten bereitstellen. Laut amtlicher Kostenschätzung würde sich ein Zusatzbedarf von jährlich 175 Millionen Euro ab dem dritten Jahr ergeben. Derzeit investiert Berlin jährlich 1,5 Milliarden Euro in die Hochschulen.
In einem ersten Schritt braucht die Initiative 20.000 Unterschriften. Erst dann wird das Volksbegehren eingeleitet. Unterschreiben dürfen nicht nur die rund 140.000 Berliner Studierenden, sondern alle wahlberechtigten BerlinerInnen. Sind 20.000 gültige Unterschriften zusammengekommen, müssen in einem zweiten Schritt 7 Prozent aller Wahlberechtigten - also etwa 170.000 - unterschreiben. Erst dann käme es zu einem Volksentscheid an der Wahlurne und damit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf, wie zuletzt (erfolgreich) geschehen bei der Initiative zur Offenlegung der Berliner Wasserverträge.
"Das Angebot entspricht dem Interesse, das belegen Umfragen", sagt Klute. Doch richtig gut läuft es nicht. Im Mai hat die Initiative erstmals begonnen, Unterschriften zu sammeln. Bis Mitte November fanden sich allerdings nur 1.747 UnterstützerInnen. Da die nötigen 20.000 Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt werden müssen, hat die Initiative nun einen Neustart ausgerufen. Das ganze Wintersemester soll dazu genutzt werden.
Maja-Lisa kommt an den Tisch und liest sich den Gesetzentwurf durch. Dann unterschreibt sie. Sie selbst studiere an der HU Philosophie und Englisch im Bachelor-Studiengang. Warum so wenige ihrer KommilitonInnen unterschreiben? "Ich glaube, dass viele Menschen zu unaufgeklärt sind über ihre Möglichkeiten und auch über die Probleme an den Universitäten." Klute bedankt sich für die Unterschrift.
Neben ihm sitzt Mathias Bartelt. Er studiert an der Freien Universität (FU), an der vor dem laufenden Semester auf 2.250 Masterplätze rund 5.000 BewerberInnen kamen, die die Zugangsvoraussetzungen erfüllten. Für Bartelt war das bereits jahrelang absehbar. Warum dennoch nicht genügend Unterschriften zusammenkommen, können er und Klute sich nicht erklären.
Vielleicht liegt es daran, dass auch die Studierendenausschüsse und die meisten Hochschulgruppen das Volksbegehren nicht unterstützen. "Man muss von Sabotage sprechen", sagt Klute und erzählt von der studentischen Vollversammlung am 16. November an der FU. An diesem Tag habe die Sitzungsleitung seinen Antrag auf Unterstützung des Volksbegehrens durch die Studierenden nicht zugelassen. Erst zwei Wochen später sei ein Stimmungsbild erstellt worden, jedoch keine verbindliche Abstimmung. "Unser Antragsrecht wurde verletzt", empört sich Klute. Der Antrag sei nur deshalb nicht zugelassen worden, weil der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der FU dagegen sei. Dessen hochschulpolitische Referentin, Anne Schindler, sieht das anders: "Der Antrag ist nicht böswillig hinten heruntergefallen." Es habe insgesamt schlicht zu viele Anträge gegeben. Zudem stelle sich der AStA nicht gegen die Initiative. Er hätte vielmehr "solidarisch Kritik geübt" und Punkte genannt, die er problematisch findet.
Der Referent_innenrat der HU wird deutlicher. "Wir unterstützen das Volksbegehren nicht, weil es eine antiemanzipatorische Stoßrichtung hat", erklärt Gerrit Aust. So privilegiere der Gesetzentwurf Berliner StudentInnen und benachteilige BewerberInnen aus anderen Bundesländern. "Wir würden uns eine kleine Elitegesellschaft bauen", so Aust. Eine massive Erhöhung der Masterkapazitäten sei der bessere Weg. Ganz davon abgesehen, dass man noch mal komplett über das Bachelor-Master-System nachdenken müsse.
Klute besteht indes darauf, dass auch der Gesetzentwurf eine Erhöhung der Masterkapazitäten sowohl für BewerberInnen aus Berlin als auch für diejenigen aus anderen Bundesländern vorsieht. Außerdem sei Bildung Ländersache, weshalb eine Veränderung nur auf diesem Weg gehe. "Wir hoffen so auf eine Initialzündung für die anderen Bundesländer", sagt Klute. Bedenken, dass der Gesetzentwurf verfassungswidrig sei, weil er BerlinerInnen bevorzuge, teilt er nicht: "Selbst wer diese Bedenken hat, sollte unterschreiben. Wenn wir die 20.000 Unterschriften zusammen haben, entscheidet das Verfassungsgericht und dann haben wir Rechtssicherheit. Es gibt keinen Grund für vorauseilenden Gehorsam." Für den Fall, dass die 20.000 Unterschriften nicht zusammenkommen, zeichnet Klute ein düsteres Bild. "Dann werden die Politiker sagen, dass die Studenten kein Interesse daran haben und das Bachelor-Master-System im Großen und Ganzen in Ordnung ist."
Im Grimm-Zentrum ertönt eine Durchsage, die darauf hinweist, dass die Bibliothek in wenigen Minuten schließt. Klute und Bartelt packen ihre Sachen zusammen. In drei Stunden haben sie acht Unterschriften gesammelt. Künftig wollen sie jeden Sonntag von 15 bis 18 Uhr hier sein. Auch für die anderen Universitäten soll es bald regelmäßige Termine geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins