Hitzewelle in Europa: Der neue Hot Take
Die Klimakrise konfrontiert uns immer häufiger mit gefährlicher Hitze. Medien präsentieren das noch zu oft als willkommenen Freizeitspaß.
Das Adrenalin schnellt durch den Körper, eine erwartungsvolle Sekunde noch, gleich wird das Wasser bersten, sich erfrischend um den Körper wiegeln. Der Schnappschuss saß: Die Kamera fing einen Kopfsprung im Freibad ein, im Moment vor dem Eintauchen, im Hintergrund die vielen anderen Badegäste. Das Ergebnis landete in der taz. Daneben stand in großen Lettern: „Heiß, heißer, Hitzewelle“. Im Text darunter gab es Tipps, wie mit den aktuellen Extremtemperaturen umzugehen sei. Warum ist Hitze eigentlich so gefährlich? Welchen Schutz müssen Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen bieten? Wie kann man die besonders heißen Städte kühlen?
Ein typischer Medienbericht aus Sicht der Geografieprofessorin Saffron O’Neill von der britischen Uni Exeter – aber einer, wie sie ihn eigentlich nicht gern sieht. Das hat gar keine inhaltlichen Gründe. Im Gegenteil: O’Neill ist auf den Klimawandel spezialisiert. Dass die Bevölkerung vor Hitze gewarnt wird, ist ihr wichtig. Schon jetzt, bei etwa 1,2 Grad Erderhitzung, werden Hitzewellen schließlich fast überall auf der Welt häufiger und extremer. Der Effekt ist stich- und hiebfest nachgewiesen – und gefährlich. Titel und zentrales Ergebnis von O’Neills kürzlich als Preprint erschienenen Studie lautet aber: „Visuelle Abbildung in europäischen Medien von Spaß in der Sonne stellt Hitzerisiken falsch dar.“
Mit einem interdisziplinären Team hat O’Neill nach den europäischen Hitzewellen im Sommer 2019 Berichte in französischen, deutschen, niederländischen und britischen Medien analysiert. Dabei fanden die Wissenschaftler:innen heraus: In allen vier Ländern wurden die Texte zu dem Thema oft positiv bebildert, zum Beispiel mit sommerlichen Freizeitaktivitäten. Menschen beim genüsslichen Sonnenbad, Badespaß am See, Kinder beim Eisessen.
Das war sogar so, wenn es in den Texten ausdrücklich um die Gefahren der Hitze ging. Für den Körper ist es schließlich gefährlich, wenn die Temperaturen zu hoch steigen, besonders für Kinder und alte und kranke Menschen. Hitze ist in Europa das mit Abstand tödlichste Extremwetter. Während länderübergreifend weniger als ein Prozent der Texte die Hitze als positiv beschrieben, galt das für mehr als 30 Prozent der Bilder.
Früher Freude, heute Sorge?
Besonders eindrücklich war das in Großbritannien und in den Niederlanden. Die Foto-Kategorie „Spaß in der Sonne“, wie die Wissenschaftler:innen sie benannt haben, war in den beiden Ländern sogar die häufigste. In Deutschland und Frankreich landete sie aber auch noch auf Platz 2. Häufiger war in den beiden Ländern nur Fotos, in denen Hitze an sich verbildlicht werden sollte, etwa in Form von Thermometern oder Sonnenstrahlen. Diese Bilder wiederum enthalten aber oft keine Menschen. In allen Ländern wenig verbreitet waren Bilder davon, wie sich Hitze konkret auswirkt.
„Diese Forschungsergebnisse haben Folgen für die visuelle Kommunikation des Klimawandels“, schreiben die Studienautor:innen. „Wenn wir uns Hitzewellen als entspannte Tage und Ferien vorstellen, als willkommene und heiß erwartete Ereignisse, verdrängen wir die unangenehmen, alltäglichen Realitäten der Hitzewellen zu Hause, auf Arbeit, auf Reisen und so weiter.“
Die heißen Tage einfach gemütlich am Strand oder am Pool zu verbringen, vielleicht sogar im eigenen grünen Garten oder ganz im Urlaub, ist schließlich nicht für alle möglich und erst recht nicht immer. „Die aktuell übliche visuelle Darstellen von Hitze hat zwei Nachteile“, kommentierte O’Neill auf Twitter. „Man marginalisiert die Probleme von besonders verletzlichen Menschen während Hitzewellen und man vergibt die Chance, sich eine besser vorbereitete Zukunft vorzustellen.“
Also zum Beispiel durch die Abbildung von Lösungen, von alltäglichen Verhaltensoptionen. Je nach Kontext könnten das vielleicht begrünte Fassaden sein, die die Städte kühlen, oder eine Familie, die sich zweckmäßig um den Ventilator schart. Und wenn es doch das Eisessen sein soll: vielleicht mal als gezielte Kühlmaßnahme im Altersheim statt bei fröhlichen Jugendlichen. Die Klimakrise könnte oder müsste also verändern, wie man über Wetter redet.
Früher war eben jeder überdurchschnittlich warme Tag ein Grund zur Freude, ein Zeichen eines guten Sommers. Allerdings bleibt es auch in Deutschland immer häufiger nicht bei Sommertagen, die der Deutsche Wetterdienst mit 25 Grad Spitzentemperatur bemisst. Heiße Tage, laut Deutschem Wetterdienst mit Spitzen über 30 Grad, gab es zwar auch früher ab und zu – sie haben sich seit Anfang der achtziger Jahre aber fast verdreifacht. Besonders betroffen sind der Osten und der Südwesten Deutschlands.
Die Medienbranche durchläuft aber auch schon seit geraumer Zeit einen Wandel. Früher habe es immer geheißen: Je wärmer, desto besser, erzählt der ZDF-Wettermoderator Özden Terli. „Ich spreche in meinem Wetterbericht eigentlich überhaupt nicht mehr von schönem Wetter“, sagt er. „Schönes Wetter ist es ja nur, wenn es nicht den Körper belastet.“
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