Hitzewelle im Jemen: 47 Grad, kein Strom, keine Kühlung
Im jemenitischen Gouvernement Hodeidah klettern die Temperaturen in lebensgefährliche Höhen. Es gibt kaum Strom, sich abzukühlen ist fast unmöglich.
Denn seit Beginn des Krieges im Jemen 2015, in dem die iranisch unterstützen Huthis gegen die von den Golfstaaten und den USA unterstützte Übergangsregierung kämpfen, ist der Strom knapp und teuer. „Strom in Hodeidah ist nur für die Reichen“, sagt Fouad. Andauernd fällt der vom Staat bereitgestellte Strom aus. Den von kommerziellen Unternehmen und Investoren können sich viele nicht leisten.
Fouad fügt hinzu: „Die Regierungsbehörden tun trotz ihres Wissens um unser Leid nichts, um uns zu entlasten.“ Immer wieder erhalte er Zusagen, doch vor Ort ändere sich nichts: „Sieben Jahre sind vergangen, und wir hören immer die gleichen Versprechen“.
Ahmed Al-Bishri, stellvertretender Gouverneur von Hodeidah, wiederholt diese Versprechen: Die Stromversorgung von Hodeidah werde sich in den kommenden Tagen verbessern, die staatlichen Kraftwerke ihre Arbeit nach einer Pause von mehr als sieben Jahren wieder aufnehmen. In einer Fernsehansprache betonte Abdul-Malik al-Huthi, Anführer der gleichnamigen militanten Organisation, dass man die Versorgung Hodeidahs mit Strom angewiesen habe, selbst wenn dafür Stromgeneratoren aus der Hauptstadt Sana’a gesendet werden müssten.
Auch Mücken und Malaria werden zum Problem
Am 11. Juni geht die fünfjährige Mariam Salem zu Bett, ihr Gesicht ist rot und geschwollen, Geschwüre breiten sich aus und bedecken den ganzen Körper. Drei Nächte lang geht das so, bevor das Mädchen in der vierten Nacht das Bewusstsein verliert.
Der Vater des Kindes erzählt, die Stimme voller Trauer: „Seit Anfang Mai können wir wegen der hohen Temperaturen nicht mehr in unseren Zimmern schlafen. Der staatliche Strom funktioniert seit 2015 nicht mehr, wir können keine Ventilatoren oder Klimaanlagen betreiben.“ Auch Moskitos und andere Insekten peinigen die Familie. Nachdem er Mariam ins Gesundheitszentrum gebracht hatte, habe ihm der Arzt gesagt, dass seine Tochter mit Malaria infiziert sei.
Hamza Youssef, Arzt am Al-Thawra Hospital in Hodeidah, erklärt: „Die gesundheitliche Lage in Hodeidah und den Küstengouvernements im Jemen verschlechtert sich von Tag zu Tag.“ Die Temperaturen sollen in den kommenden Monaten noch steigen – eine Gefahr für Kinder, ältere Menschen und Menschen, die an chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes leiden.
„Je heißer das Wetter wird, desto mehr muss der Körper arbeiten, um seine Kerntemperatur niedrig zu halten“, so Youssef. Die Blutgefäße in der Nähe der Haut weiteten sich, um die Hitze loszuwerden, man beginne zu schwitzen. Dadurch sinke der Blutdruck, das Herz müsse mehr arbeiten, um das Blut durch den Körper zu pumpen.
Laut dem Menschenrechtsaktivisten Kamal Al-Shawish leiden Frauen besonders unter der Wärme: Die jemenitischen Sitten, Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen zwingen sie dazu, schwere, lange Kleidung zu tragen. Sie wärme die Frauen zusätzlich.
Huthis in der Verantwortung
Dass die Stromversorgung nicht funktioniert, liegt auch an den Huthi-Rebellen. Mitte Oktober 2014 übernahm die Gruppe ohne nennenswerten Widerstand die Kontrolle über das Gouvernement Hodeidah, nachdem sie bereits die Kontrolle über die Hauptstadt Sana’a gewonnen hatte. Die Gruppe hat das Gouvernement fest im Griff – es ist das einzige an der Küste, das sie regieren.
Am 13. Juni 2018 leiteten die Regierungstruppen eine Militäroperation ein, um den Hafen von Hodeidah zurückzuerobern. Die jemenitische Regierung wirft der Gruppe vor, den Hafen zum Schmuggeln von Waffen zu nutzen. Nach heftigen militärischen Auseinandersetzungen gewannen die Truppen die Stadt Hodeidah zurück.
Schweden versuchte zu vermitteln, man schloss eine Vereinbarung zwischen den Huthis und der Regierung. Die sah unter anderem vor: Alle Einnahmen aus den Häfen von Hodeidah sollen bei der jemenitischen Zentralbank hinterlegt werden. Doch die Vereinbarung wurde nicht umgesetzt, immer wieder gab es weitere bewaffnete Zusammenstöße, bis sich die Regierungstruppen Ende 2021 aus der Umgebung der Stadt zurückzogen.
Allein im Jahr 2022 sollen sich die bisherigen Einnahmen aus dem Hafen auf mehr als 92 Milliarden jemenitische Riyal (165 Millionen Dollar) belaufen. Die Regierung beschuldigt die Huthi-Gruppe, die Einnahmen zu plündern.
Ein Hafenarbeiter, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, sagt: „Die Einnahmen des Hafens gehen seit 2015 nach Sana’a. Wir wissen nicht, was danach mit diesen Geldern geschieht. Jetzt, wo wir in Hodeidah Geld für die Stromversorgung brauchen, fließen die Einnahmen des Gouvernements weiterhin dorthin ab“.
Mitarbeit: Lisa Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles