Historischer Deal für Netanjahu: Kostenloser Friede
Die Annäherung zwischen Israel und den Emiraten zeigt: Der Frieden kostet Jerusalem keine Zugeständnisse.
D ie „vollständige Normalisierung der Beziehungen“ zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die in einer gemeinsamen Absichtserklärung mit der US-Regierung am Donnerstag verkündet wurde, ist eine elegante Win-win-Situation für alle Beteiligten: Der israelische Regierungschef Netanjahu kann sich innenpolitisch mit einem historischen Abkommen rühmen, die US-Regierung tritt stolz als Vermittler für Frieden im Nahen Osten auf, und der Kronprinz von Abu Dhabi, Scheich Mohammed bin Zayed, erntet Glückwünsche: Er konnte die geplante israelische Annexion von Teilen der palästinensischen Gebiete stoppen.
Obwohl die Absichtserklärung noch kein Friedensabkommen ist, steht bereits fest: Netanjahu hat das geschafft, was seine Vorgänger sich erträumt hatten. Er hat einen Weg zur Normalisierung der Beziehungen mit einem weiteren Teil der arabischen Welt gefunden, der von Israel keine echten politischen Zugeständnisse fordert. Die bisherige Prämisse, die Friedensgespräche mit den Palästinensern als kompromisslose Bedingung für die Normalisierung zwischen Israel und der arabischen Welt voraussetzte, gilt somit nicht mehr.
Anders als 1979 beim Abkommen mit Ägypten, als Israel das Territorium der Sinai-Halbinsel aufgeben musste und im Gegenzug Frieden erhielt, ist die Logik heute eine andere: Die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate belohnen Israel für das Versprechen, die Annexion aufzuschieben. Der für Palästinenser*innen unerträgliche Status quo der israelischen Besatzungspolitik und die Blockade des Gazastreifens werden aber weiterhin schweigend gebilligt.
Der palästinensischen Führung unter Mahmud Abbas, der die Vereinbarung als „Verrat an der palästinensischen Sache“ und „Aggression“ seitens der Vereinigten Arabischen Emirate verurteilte, wird einmal mehr ihre Machtlosigkeit auf der nahostpolitischen Bühne vorgeführt.
Formalisierte Neuverpackung
Was international als beispielloser diplomatischer Durchbruch gelobt wird, gibt sich bei näherer Betrachtung aber eher als formalisierte Neuverpackung der geopolitischen Realität zu erkennen, die bereits seit Jahren zwischen Israel und den Golfstaaten besteht. Lange Zeit galten diplomatische Beziehungen mit Israel als Tabubruch in der arabischen Welt.
Dies hat sich im vergangenen Jahrzehnt schleichend geändert. Mit dem schiitischen Iran als gemeinsamen Feind im Hintergrund näherten sich Israel und die Golfstaaten, darunter auch die Vereinigten Arabischen Emirate, in der wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit immer weiter an – nur wurden diese Beziehungen bis jetzt als offenes Geheimnis gehandhabt.
Der Wirbel um die umstrittenen Annexionspläne der israelischen Regierung schuf nun das richtige Momentum für einen kreativen Kompromiss zwischen Israel, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten: Ein von den USA manövrierter Deal, bei dem die Normalisierung mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den israelischen Annexionsplänen vorgezogen wird. Ob und wie Netanjahu seine schwammig formulierten Annexionspläne tatsächlich realisiert hätte, ist zweifelhaft.
Neuverhandlung der traditionellen politischen Kräfte
Die Ironie: Durch ihre Politik der Normalisierung der Beziehungen mit Netanjahus rechter Regierung haben die Golfstaaten de facto einen Grundstein für die Annexionspläne der israelischen Regierung gelegt. Man signalisierte Israel jahrelang, dass tatsächlich alles kompromisslos zu haben ist: Es kann weiterhin seine Militärherrschaft über die palästinensischen Gebiete aufrechterhalten, schleichend mehr Land annektieren und trotzdem Akzeptanz und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit seinen arabischen Nachbarländern fortführen.
Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel heimsen die Vereinigten Arabischen Emirate nun den Ruhm dafür ein, die Annexion zumindest vorerst vom Tisch geräumt zu haben – dabei sind sie es, die durch ihre Normalisierungspolitik den Treibstoff für Israels Annexionspläne lieferten.
Einer echten Lösung des Konflikts ist Israel mit diesem historischen Abkommen nicht nähergekommen – denn die würde ein Ende der Besatzung erfordern. Man hat es aber geschafft, die palästinensische Frage aus der geopolitischen Gleichung herauszunehmen. Für den Nahen Osten könnte dieser Schritt eine totale Neuverhandlung der traditionellen politischen Kräfte bedeuten. Wie diese aussehen wird, ist noch unklar. Laut Jared Kushner, Berater von US-Präsident Trump, sollen sich in den kommenden Tagen aber weitere arabische Staaten wie Oman und Bahrain den Vereinigten Arabischen Emiraten anschließen.
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