Historikerin über weibliche Straßennamen: „Keine Petitesse!“
In Hamburg werden drei neue Straßen nach Frauen benannt. Die Historikerin Rita Bake über Symbolpolitik, die keine ist.
taz: Frau Bake, ist Hamburg auf einem guten Weg, was die Geschlechterverhältnisse bei den Straßen- und Platznamen angeht?
Rita Bake: Ja, als ich vor gut 25 Jahren mit der Beschäftigung mit diesem Thema begann, sah es noch katastrophal aus. Lange Zeit war kaum an Frauen gedacht worden, wenn Straßen neu zu benennen waren.
Aber es gibt bis heute eine deutliche Schieflage.
Wir haben aktuell 2.526 Straßen, die nach Männern, und 420, die nach Frauen benannt sind. Diese zahlenmäßige Diskrepanz wird man kaum aufholen können. Aber seit geraumer Zeit werden verstärkt Straßen nach Frauen benannt. Der Senat weist in seinem gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm darauf hin, dass er bestrebt ist, die Anzahl der nach Frauen benannten Verkehrsflächen zu erhöhen. Durch Doppelbenennungen können dann zusätzlich noch mehr Straßen nach Frauen benannt werden.
Sie erwähnten das Rahmenprogramm des Senats – gibt es auch einen rechtlichen Rahmen?
Nach Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sind Männer und Frauen „gleichberechtigt“. Dies sollte sich auch bei den Straßenbenennungen niederschlagen. Wir sprechen hier nicht von einer Petitesse: Straßenschilder markieren öffentliches Gedenken, und das sollte dem Grundgesetz entsprechen.
*1952 in Bremerhaven, promovierte Historikerin und bis 2017 stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung in Hamburg, gründete den weltweit einzigen "Garten der Frauen" auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf und entwickelte die erste Frauenbiografien-Datenbank für Hamburg. 2018 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Warum ist das Thema Benennung wichtig?
Straßennamen sind Teil unserer persönlichen Adresse. Wir haben tagtäglich damit zu tun. Deshalb kann über Straßennamen bewusstseinsbildend gewirkt werden. Die Missachtung der Tatsache, dass auch Frauen eine Stadt formen und entwickeln und dass dies zu würdigen ist, bedeutet die Fortschreibung der Diskriminierung von Frauen und führt zu falschen Interpretationen gesellschafts- und kulturpolitischer Entwicklungen. Frauen verdienen immer noch 20 Prozent weniger als Männer, das hat auch mit der Wertschätzung ihrer Leistung zu tun. Über Straßenbenennungen nach Frauen können wir dazu beitragen, dass die Leistung von Frauen höher wertgeschätzt wird.
Es geht um diesen anderen Blick.
Ja, es geht darum, den patriarchalen Blick ad acta zu legen und den Blick auf ein gleichberechtigtes Miteinander zu richten.
Wie funktioniert das Verfahren eigentlich?
Die Bezirksversammlungen und Regionalausschüsse empfehlen Namen und wenden sich damit ans Staatsarchiv. Dieses prüft den Vorschlag und arbeitet der Senatskommission für die Vergabe von Verkehrsflächen zu. Diese entscheidet am Ende. Aus den Bezirken kam oft der Einwurf: „Wir kennen keine Frauen, nach denen eine Straße benannt werden könnte.“ Das ist symptomatisch für das ganze Problem. Daraufhin habe ich 2012 für die Landeszentrale für Politische Bildung eine Datenbank mit mehr als 1.000 Hamburger Frauenbiografien ins Leben gerufen.
Diese Ausrede ist hinfällig?
Ja, denn über die Suche nach Bezirken in der Datenbank werden Namen von Frauen ausgeworfen, die dort gewirkt/gewohnt haben.
Der Anlass für unser Gespräch ist eine Pressemitteilung, in der die Benennung dreier Straßen bekannt gegeben wurde – nach drei Frauen: Annemarie Dose, Betty Heine und Emily Ruete. Sie haben Verwunderung zum Ausdruck gebracht darüber, was nicht mit bekannt gegeben worden ist: dass der Bezirk Wandsbek zwei Straßen, die bisher zwei Männer ehrten, nun auch nach ebenso bedeutenden weiblichen Verwandten benennt.
Diese Art der Doppelbenennung wurde schon einige Male angewendet, so 2001 und 2017. Wegen der beiden genannten Straßen, die nach Gropius und Lanner benannt sind …
…der Bauhaus-Größe Walter Gropius und dem Komponisten Joseph Lanner …
… hatte ich die Bezirksversammlung Wandsbek auf die ebenso bedeutenden weiblichen Verwandten mit demselben Nachnamen hingewiesen: Gropius’ Ehefrau Ise, Herausgeberin, Schriftstellerin. Und auf Katharina Lanner, Tochter von Josef Lanner, Ballmeisterin und Solotänzerin. Die zuständigen Regionalausschüsse unterstützten das Anliegen. Im Amtlichen Anzeiger vom 23. August sind die neuen Erläuterungstexte für diese beiden Straßen abgedruckt, nicht aber in der Mitteilung des Senats.
Wir sprechen bisher durchweg von neuen, neu hinzukommenden Straßen und Plätzen. Es gibt ja auch eine Praxis, problematische Namensgeber zu entfernen, meist im Zuge einer historischen Neubewertung. Ist Ihnen bekannt, ob dabei je ein Mann zugunsten einer Frau verschwunden ist?
Ja, dafür gibt es Beispiele: Im Bezirk Nord sind einige Straßen umbenannt worden, die nach NS-Belasteten hießen, 2014 etwa die Julius-Fressel-Straße …
… das war der frühere ärztliche Direktor der Finkenau und ein Unterzeichner des „Bekenntnisses der Professoren an deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“.
Daraus ist der Dorothea-Bernstein-Weg geworden, nach einer Lehrerin jüdischer Herkunft, die 1942 ermordet wurde. Ebenfalls 2014 in Nord: Die Schottmüllerstraße …
… nach Hugo Schottmüller, einem der ersten Hamburger Professoren, die nach der „Machtergreifung“ der NSDAP beitraten …
… wurde nicht umbenannt, aber umgewidmet: Sie erinnert jetzt an die Tänzerin, Bildhauerin und Widerstandskämpferin Oda Schottmüller. 2015, wieder in Nord: Aus der Konjetznystraße – Georg Ernst Konjetzny war auch ein NS-belasteter Arzt – wurde die Annie-Kienast-Straße: Das war eine Gewerkschafterin. Und die Max-Nonne-Straße, nach einem NS-belasteten Neurologen, heißt jetzt nach Ursula de Boor, Ärztin und Teil der Weißen Rose Hamburg.
Müssen wir eigentlich damit rechnen, solche Straßennamendiskussion irgendwann auch in gegenteiliger Richtung führen zu müssen – wenn etwa die AfD in bestimmte Positionen gelangt?
Konkret hängt es davon ab, welche Parteien im Senat vertreten sind: der entscheidet.
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