Historikerin über TikTok in Gedenkstätte: „Wir wollen mehr Sichtbarkeit“
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme betreibt einen eigenen TikTok-Kanal. Die Historikerin Iris Groschek betreut das Projekt.
taz: Frau Groschek, Digitalisierung und Soziale Medien werden in der Gedenkstättenarbeit schon länger diskutiert. Mit Ihrem TikTok-Account sind Sie aber Vorreiterin. Wie kommt das Projekt an?
Iris Groschek: Der TikTok-Kanal @neuengamme.memorial kommt bei jungen Menschen sehr gut an. Das mache ich daran fest, dass wir sehr schnell sehr viele Follower*innen bekommen haben. Die bringen sich aktiv ein, kommentieren und stellen Fragen. Der Kanal weckt aber auch das Interesse der jungen Menschen, die Gedenkstätte selbst zu besuchen. Das ist spannend, weil Analoges und Digitales ansonsten nicht so stark miteinander verknüpft sind.
Wie wählen Sie die Themen für den Kanal aus?
Eines unserer Ziele ist, die Sichtbarkeit des Themas Nationalsozialismus bei der jungen Generation zu erhöhen und die Relevanz der NS-Zeit für heute zu verdeutlichen. Dafür thematisieren wir einerseits das Leben der Freiwilligen, die den TikTok-Kanal betreuen, und stellen damit die Arbeit in einer Gedenkstätte vor. Andererseits vermitteln wir historische Informationen über das KZ Neuengamme. Dabei achten wir darauf, sowohl grundlegende als auch vertiefende Inhalte zu bearbeiten, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen.
53, Historikerin, leitet die Öffentlichkeitsarbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sowie der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte.
Wie interagieren Sie mit Ihren Follower*innen?
Wir haben uns bewusst entschieden, nicht nur frontal zu informieren, sondern in einen Dialog zu treten. Wir fragen unsere Follower*innen nach ihren Meinungen etwa zu Formen der Erinnerung und regen sie an, zu kommentieren. Dass die Nutzer*innen sich einbringen können, ist das Spannende an TikTok. Und wir bekommen Einsicht in die Perspektiven und Fragen der jungen Leute und können mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren.
Welche Fallstricke sind mit der Gedenkstättenarbeit in Sozialen Medien verbunden?
Eine große Frage ist die der Angemessenheit. Als Gedenkstätte sind wir dem Ort verpflichtet und den Menschen, die hier gelitten haben. Es ist wichtig, die Geschichte, die hier stattgefunden hat, nicht zu verfälschen. Die Möglichkeiten des Reenactment, also das Nachspielen bestimmter Szenen, sehe ich kritisch. Die Geschichten der Menschen erzählen wir stattdessen über Objekte, über Zitate oder Fotografien, so wie wir es in der klassischen Gedenkstättenpädagogik auch tun. Dabei achten wir darauf, dass die Follower*innen nicht emotional überwältigt werden.
Workshop „TikTok an einer Gedenkstätte?“ für 16- bis 24-Jährige: Do, 28. 7., 11–15 Uhr, Hamburg, KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Anmeldung bis Di, 26. 7., auf www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de.
Auf TikTok werden immer wieder auch demokratiefeindliche Inhalte verbreitet, Fake News werden kaum reguliert. Was heißt das für Ihren Kanal?
Selber auf TikTok aktiv zu sein ist ein Weg, der dort stark verbreiteten Hassrede etwas entgegenzusetzen. Es wäre fatal, wenn die Gedenkstätten, die eine besondere Expertise haben, diese Möglichkeit nicht nutzen. Wir wollen kein stiller Ort sein, sondern auch online aktiv sein und unsere Geschichten erzählen. Gedenkstätten müssen hier eine starke Stimme haben.
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