piwik no script img

Historikerin über Synagogen und Tempel„Zeichen jüdischer Emanzipation “

Die Bornplatz-Synagoge wird wohl neu aufgebaut, der liberale Tempel in der Poolstraße harrt der Sanierung. Miriam Rürup über Hamburgs jüdische Bauten.

Könnten Startpunkt eines Geschichtslehrpfads werden: Reste des Tempels in der Hamburger Poolstraße Foto: Miguel Ferraz
Interview von Petra Schellen

taz: Frau Rürup, wofür stand der jüdische Tempel in der Hamburger Poolstraße?

Miriam Rürup: Vor allem steht er für eine Emanzipationsbewegung. Man wollte auf modernere Art Gottesdienst feiern und trotzdem weiter jüdisch-religiös leben. Diese Reform begann Anfang des 19. Jahrhunderts – übrigens nicht nur in Hamburg. Die Hamburgische Besonderheit war, dass sich dafür der Israelitische Tempelverein gründete und ein eigenes Haus baute, das fast 100 Jahre stand und immerhin 80 Jahre lang genutzt wurde. Zugleich steht er für 300 Jahre jüdische Geschichte Hamburgs – von den Anfängen der ersten dort ansässigen Juden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Denn seine Ruine ist das letzte bauliche Relikt dieser Zeit.

Der Tempel muss riesig gewesen sein.

Ja. Er bot Platz für 380 Männer unten und 260 Frauen oben auf den Galerien. Die Reformbewegung stand ja dafür, dass die Rolle von Frauen im Gottesdienst gestärkt wurde. Das zeigte sich auch darin, dass Frauen und Männer den Tempel durch denselben Eingang betraten und einander im Gottesdienst ohne die vorher übliche Sichtblende sehen konnten.

Trotzdem bildeten die Reformjuden die Minderheit.

Ja. Aber es haben sich bald viele Anhänger gefunden, weil es gerade für die verbürgerlichte assimilierte Mittelschicht, die im hanseatischen Judentum eine große Rolle spielte, eine Antwort auf die Moderne war.

Und für welche Strömung stand die Bornplatz-Synagoge, deren Wiederaufbau man jetzt beschloss?

Die 1906 eröffnete Bornplatz-Synagoge stand für das orthodoxe Judentum. Und wie in Hamburgs Altstadt/Neustadt gab es auch hier, im Grindelviertel, viele Synagogen. 100 Meter weiter stand die neue Dammtor-Synagoge. Dort beteten Juden, die ich als gemäßigt konservativ bezeichnen würde.

Wem galt die 1960 in der Hohen Weide eröffnete Synagoge?

Allen. Das war eine typische Entwicklung der deutschen Nachkriegsgeschichte: Da es nach der Shoah nur noch wenige Juden gab, wurden „Einheitsgemeinden“ eingerichtet. Und da die Juden, die vor allem aus Osteuropa kamen, oft traditioneller geprägt waren als die westeuropäischen Juden, war der kleinste gemeinsame Nenner eine Tendenz zur orthodoxen Ausrichtung. In den 1960er-, vor allem aber in den 1980er-Jahren hat sich das aufgefächert, und es entstanden innerhalb der Einheitsgemeinden unterschiedliche Gebetsausrichtungen. Auch innerhalb der Hamburger Einheitsgemeinde gibt es einen Reformflügel. Dazu kommt die Liberale Jüdische Gemeinde, 2004 als Nachfolgegemeinde des „Neuen Israelitischen Tempelverein von 1817 (5578)“ wiedergegründet.

Bild: Georg Wamhof
Im Interview: Miriam Rürup

48, ist Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Zuvor leitete sie das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg.

Die Liberale Gemeinde hat bis heute keinen Gebetsraum. Könnte sie die Bornplatz-Synagoge mit nutzen? Oder die Synagoge in der Hohen Weide?

Dafür müssten Sie natürlich mit der Liberalen Gemeinde selbst sprechen. Aber warum sollte man nicht dafür auch die Hohe Weide im Blick behalten? Sie ist ja erst vor wenigen Jahren renoviert worden, und man könnte sie sofort beziehen – sofern das für die Liberale Gemeinde vorstellbar wäre. Und was den immer mal wieder geäußerten Vorschlag einer gemeinsamen Synagoge betrifft: Einerseits klingt das verlockend und versöhnlich. Andererseits: Wieso sollten sie? Man erwartet ja auch nicht von allen Christen, dass sie unter einem Dach beten. Man könnte ja auch sagen: Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen dafür, dass die verschiedenen Ausprägungen jüdischen Glaubens jede für sich leben – unter einem Dachverband, der alles Administrative regelt. Wir sollten allerdings auch nicht vergessen, dass die 1931 eröffnete Synagoge in der Oberstraße, in der die liberale Vorkriegsgemeinde betete, noch immer steht. In ihr befindet sich heute das Rolf-Liebermann-Studio des NDR.

Und welche Nutzung schlagen Sie für die Poolstraße vor?

Die Stadt Hamburg hat ja erfreulicherweise einen Teil des Areals gekauft: den Hof mit der Ruine. Allerdings nicht die Vorderhäuser. Damals gehörten sie mit zum Ensemble, denn die Mieteinnahmen aus den Vorderhäusern haben das Gemeindehaus mitfinanziert. Jetzt muss man überlegen: Wer wird Betreiber, und was soll an diesem Ort entstehen? Die Stadt hat ja schon verkündet, dass es auch Wohnraum geben soll. Was uns als Initiative Tempel Poolstraße wichtig ist: Alle historischen baulichen Reste müssen öffentlich nutzbar sein.

In welcher Form?

Das sollte in einem partizipativen Prozess erarbeitet werden. Mindestens aber in einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb, über dessen Ergebnisse die Stadtgesellschaft dann diskutieren kann.

Dann kann es keinen Synagogenraum geben, denn er wäre nicht öffentlich zugänglich.

Ein Gottesdiensten vorbehaltener Raum wäre schon integrierbar. Das Areal umfasst einige hundert Quadratmeter Fläche, für die man durchaus eine Mischform überlegen könnte.

Wie könnte sie aussehen?

Die Liberale Gemeinde könnte im Apsisgebäude Büroräume bekommen. Im Portalgebäude, in dem heute eine Galerie ist, könnte man eine Ausstellung zeigen. Den Hof könnte man überdachen und für Veranstaltungen nutzen, die Räume im ersten oder zweiten Stock des Apsisgebäudes als Gemeinderäume, vielleicht auch für Gottesdienste.

Wer käme als Betreiber infrage?

Ich würde schon die Stadt in der Pflicht sehen – etwa in Form einer Stiftung. Denn es müsste wohl ein eigener Träger gefunden werden. Der Ort soll ja als Begegnungsstätte funktionieren. Es muss der Denkmalschutz umgesetzt, eine religiöse und museale Nutzung ermöglicht sowie ein Café und Veranstaltungsräumlichkeiten unterhalten werden: Dafür braucht man einen Betreiber, der genügend Erfahrung und Finanzmittel hat.

Wobei Hamburg beim Stadthaus, einst Gestapo-Zentrale, keine guten Erfahrungen mit einem Investoren gemacht hat.

Das ist wahr. So etwas wie das Stadthaus, in dem der Investor die zugesagte Gedenkort-Fläche über formale Winkelzüge kleingerechnet hat, darf sich nicht wiederholen.

Wenn ein Teil des Poolstraßen-Areals Museum würde: Schwebt Ihnen eine „Filiale“ des Museums für Hamburgische Geschichte vor?

Es könnte jedenfalls eine gute Ergänzung sein, denn die Poolstraße liegt fast in Sichtweite des Museums. Das Portalgebäude in der Poolstraße ist relativ klein, eine Ausstellung dort könnte aber in jedem Fall Ausgangspunkt für Erkundungen jüdischer Kultur in der Innenstadt sein. Der Startpunkt für einen Geschichtslehrpfad vielleicht, ergänzt durch digitale Unterstützung.

Sollte man dort ausschließlich die Geschichte des liberalen Judentums zeigen?

Nein, denn sie ist nicht zu trennen von der jüdischen Geschichte Hamburgs und der jüdischen Geschichte überhaupt.

Gäbe es Mäzene für die Gestaltung des Poolstraßen-Areals?

Die fehlen uns noch. Aber die Initiative zur Rettung und Öffnung der Tempelruine Poolstraße hat viele UnterstützerInnen. Ihr gehören ArchitektInnen, DenkmalschützerInnen, HistorikerInnen und interessierte NachbarInnen an, und sie hat im Vorfeld des Ankaufs durch die Stadt einen offenen Brief zur Rettung der Poolstraße eingereicht sowie den Verein TempelForum e.V. gegründet. Die internationale Resonanz war groß, denn im Erinnerungshaushalt des Liberalen Judentums gilt Hamburg als Geburtsstätte des Reformjudentums – obwohl die erste reformjüdisch orientierte Schule ja in Seesen stand. In sehr kurzer Zeit haben wir 280 UnterzeichnerInnen aus 15 Ländern gefunden – darunter viele RabbinerInnen und GemeindevertreterInnen. Die Foundation for Jewish Heritage unterstützt die Initiative auch institutionell.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!