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Historikerin über Schriftartefakte„Man kommt immer auf Neues“

Alte Schrift und neue Forschung: Die Hamburger Stabi und der Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ zeigen „Hamburgs Schriftschätze“.

Dokument eines Skandals: Soufflierbuch von Friedrich Ludwig Schröders Hamburger Othello-Adaption Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Interview von Robert Matthies

taz: Frau Harter-Uibopuu, welche Geschichten erzählt uns ein streichholzschachtelgroßer Koran?

Kaja Harter-Uibopuu: Dieses Artefakt erzählt uns, dass es wichtig ist, diese heilige Schrift mit sich nehmen zu können. Man erstellt eine Miniatur, damit man sie mit sich tragen kann. In der Ausstellung sind auch die entsprechenden Amuletthülsen zu sehen. Man kann den Koran also sozusagen wirklich am Herzen tragen. Er dient als Schutz vor Unheil, denn lesen kann man ihn eigentlich kaum mehr. Es ist handwerklich auch eine große Kunst, so eine Miniatur zu schreiben. Dieser Koran ist noch mit Gold verziert, es ist wirklich ein Prunkstück, das wir hier haben. Das ist das Schöne an Handschriften: Es sind alles Unikate.

Die Ausstellung zeigt 20 dieser Dokumente. Eines ist ein Notenblatt, das Constanze Mozart posthum ihrem Mann Wolfgang Amadeus zugeordnet hatte, das aber von dessen Vater Leopold stammt. Was können Sie mit wissenschaftlichen Methoden in solch einem Dokument entdecken?

Grundsätzlich gibt es zwei Zugänge. Zum einen schauen wir uns das Stück selbst an. Wir können zum Beispiel erkennen, welche Art von Papier, welche Art von Handschrift es ist; ob es flüchtig oder mit sehr viel Sorgfalt geschrieben worden ist; ob es Änderungen oder Nachträge gibt, wie im Falle des Notenblatts. Wo hat man versucht, noch etwas anzupassen oder zu korrigieren? So kann man versuchen, die Entstehung des Stücks nachzuverfolgen. Es gibt hier hochmoderne Untersuchungsmethoden. Wir können genau sagen, um welche Art von Schreibmaterial es sich handelt oder wie die Tinte zusammengestellt wurde.

Bild: Dingler/UHH
Im Interview: Kaja Harter-Uibopuu

ist Professorin für Alte Geschichte an der Universität Hamburg und Vizesprecherin des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“.

Und zum Zweiten geht es um den Kontext?

Ja, wir versuchen, die Geschichte dieser Objekte herauszufinden. Dazu unternehmen wir vor allem Archivstudien. Wir arbeiten eng mit der Staats­bibliothek zusammen, alle Stücke der Ausstellung liegen in der Handschriftensammlung. Wo kommen die her? Wann wurden sie angekauft, wo hat man sie herbekommen? Manche Stücke haben abenteuerliche Reisen hinter sich. Diese werden im Rahmen der Provenienzforschung untersucht.

Im Untertitel der Ausstellung sprechen Sie „neue Fragen an alte Manuskripte“ an. Geht es da um neue Methoden, um neue Perspektiven?

Es gibt beides. In Hamburg sind die neuen Methoden eine Besonderheit. Es gibt einige Forschungseinheiten, die sich mit der Erforschung von Schrift und Schriftartefakten auseinandersetzen. Aber wir haben eine eigene naturwissenschaftliche Forschungsabteilung, die auch eigene, nicht invasive Methoden entwickelt. Das ist eine große Herausforderung. Sie können ja nicht einfach ein Stück von einem Pergament abschneiden, sie dürfen von historischen Artefakten keine Proben nehmen. Auch hier ist die Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek enorm wichtig.

Weil man durch die Probenentnahme Kulturgüter schädigt?

Genau, das Ganze muss nicht invasiv sein, und da sind wir deutlich vorangekommen, mit Ramanspektroskopie, mit multispektralen Aufnahmen, aber auch mit DNA-Proben, die man nehmen kann, ohne das Schriftstück zu schädigen. Das Forschungszentrum Desy hat für uns und die Staatsbibliothek zum Beispiel Tontafeln mit Keilschrift aus dem vierten Jahrtausend vor Christus untersucht. Diese Tafeln sind oft von einer Hülle umgeben, die musste man zerstören, um überprüfen zu können, ob der Keilschrifttext außen mit dem in der Hülle übereinstimmt, also nicht verändert wurde. Wir können nun die innere Tafel anschauen, ohne die äußere Hülle zu zerstören.

Die Ausstellung

„Hamburgs Schriftschätze. Neue Fragen an alte Manuskripte“: ab heute bis 2. Oktober, Staats- und Universitäts­bibliothek Hamburg/Ausstellungsraum

Und die neuen Perspektiven?

Man kommt auch bei altem Material immer auf Neues, wenn man neue Fragen stellt, zum Beispiel Gender-Perspektiven einbaut. Wir versuchen, den Blickwinkel zu ändern, indem wir uns nicht nur den Text, sondern das ganze Objekt anschauen. Und neue Perspektiven gewinnt man auch, wenn man aus dem eigenen Forschungsbereich herausgeht. Wir kommen im Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ aus über 40 verschiedenen Fächern, wir haben zum Beispiel Indolog:innen, Islamwissenschafter:innen, Kunsthistoriker:innen, Chemiker:innen, ich bin Althistorikerin. So entwickeln sich in der Zusammenarbeit immer neue Ideen für Fragen. Stück für Stück kommt man zu neuen Perspektiven. Das ist es auch, was wir mit dieser Ausstellung zeigen wollen: Es gibt immer rote Fäden, die die Stücke miteinander verbinden.

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