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Historikerin über Opfer von Fritz Honka„Es ging auch darum, Würde für sich zu behalten“

Ein Gedenkstein erinnert nun an die vier Frauen, die Fritz Honka umbrachte. Die Historikerin Frauke Steinhäuser hat nach ihren Spuren gesucht.

Gedenken „Im Garten der Frauen“: Auf dem Ohlsdorfer Friedhof erinnert an die vier Frauen, die von Fritz Honka ermordet wurden Foto: David Hammersen/dpa

taz: Frau Steinhäuser, wie kam es dazu, dass Sie sich mit den Opfern des Massenmörders Fritz Honka befasst haben?

Frauke Steinhäuser: Das war Zufall. Ich war Geschäftsführerin im Stadtteilarchiv Ottensen, das in der Zeißstraße liegt, wo auch Honka gelebt hat. Ich kenne die Geschichte seit Ewigkeiten. Aber mich hat sie nie interessiert, weil ich diese Brutalitäten nicht so nah an mich heranlassen wollte. Aber dann habe ich auf einer NDR-Seite Fotos der getöteten Frauen gesehen.

taz: Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Steinhäuser: Ich forsche schon lange zu Frauen, die in der NS-Zeit als asozial stigmatisiert wurden. Als ich die Fotos gesehen habe, dachte ich: Sie sehen relativ alt aus, was war eigentlich mit ihnen während der NS-Zeit? Dann habe ich angefangen zu recherchieren und gesehen, dass drei von ihnen damals junge Frauen waren. Daraufhin habe ich mich gefragt: Wurden sie womöglich da schon verfolgt? Ich hatte irgendwie so eine Ahnung.

Bild: privat
Frauke Steinhäuser

53, Historikerin, forscht zur Geschichte marginalisierter Personen und Gruppen, NS-Täter*innen und Erinnerungskultur. Sie hat die Broschüre „Getötet, weil sie Frauen waren“ verfasst, mit Texten zu Gertraud Bräuer, Anna Beuschel, Frieda Roblik und Ruth Schult, die von Fritz Honka ermordet wurden.

taz: Haben Sie bei Ihren Forschungen Menschen getroffen, die die Frauen noch gekannt haben?

Steinhäuser: Ich habe nicht nach Zeitzeugen gesucht. Ich habe erst einmal Rita Bake vom „Garten der Frauen“ in Ohlsdorf davon erzählt und sie sagte: „Wir legen einen Gedenkstein für sie.“ Für die Broschüre, die dazu herausgekommen ist, bin ich dann in Archive gegangen und habe die einschlägigen Akten studiert. Es gibt noch mehr zu erforschen, auch zu den beiden Frauen, die unter den Nationalsozialisten im Konzentrationslager waren. Außerdem wohne ich um die Ecke der Wohlwillstraße, wo zwei von ihnen gelebt haben. Vielleicht leben da noch Leute, die etwas von ihnen wissen. Das Thema wird mich also noch weiter beschäftigen.

taz: Haben Sie über die schriftlichen Quellen ein wirkliches Bild der Frauen bekommen?

Steinhäuser: Da bin ich vorsichtig, weil die umfangreichste Quelle die Ermittlungsakten der Kriminalpolizei zu Honka sind. Mir ist aufgefallen, wie sehr die Kriminalbeamten geprägt sind von dem Bild, das immer noch relativ verbreitet ist von Frauen, die mittellos sind, keine gute Schulbildung haben, prekär leben, oft keine Unterkunft haben. Sie tauchen pauschal als verwahrlost und unsauber auf. Es ist eine sehr abwertende Sprache und ein sehr abwertender Blick.

taz: Wie konnten Sie anders auf die Frauen schauen?

Steinhäuser: Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie die Frauen gelebt haben. Ich forsche ohnehin zu mittellosen Frauen in der Geschichte. Also kann ich etwa aus der Art, wie sie sich gekleidet haben, Schlüsse ziehen. In den Ermittlungsakten sind Fotos der Kleidungsstücke, die man bei Honka in der Wohnung gefunden hat. Eine der Frauen hat einen roten Hosenanzug mit ausgestellten Beinen und dazu weiße Schuhe getragen. Eine Frau hat goldene Sandaletten gehabt, das wirkt wie ein Wunsch nach Glamour. Aber ich bin vorsichtig mit solchen Rückschlüssen, ich bin ja keine Schriftstellerin, sondern Wissenschaftlerin.

taz: In der Broschüre, die Sie zu den Frauen geschrieben haben, erwähnen Sie, dass eine der Frauen eine Postkarte unterschrieben hat mit „Euer Trunkenbold Susi“. Da scheint auch mal etwas Persönliches durch.

Steinhäuser: Es ist ein absoluter Glücksfall, wenn man so etwas findet. Ich habe die Hoffnung, dass durch die Broschüre oder dadurch, dass der Erinnerungsstein in der Presse ist, sich doch noch Verwandte oder Freunde melden.

taz: Nach dem Verschwinden der Frauen hat sich niemand gemeldet oder wenn, erst nach Wochen. Und die Beerdigungskosten wollten die Angehörigen auch nicht tragen.

Steinhäuser: Beerdigungen sind grundsätzlich teuer. Und wenn die Familie nicht sehr wohlhabend sind, haben sie das vielleicht auch deshalb abgelehnt. Eine der Frauen hatte noch ein paar Jahre vor ihrem Tod Kontakt zu einer ihrer Schwestern. Aber manchmal wollen die Familien mit solchen Frauen nichts zu tun haben, weil sie selbst dem Ethos folgen zu arbeiten, ordentlich zu sein und das Leben irgendwie im Griff zu haben. Im National­sozialismus – und auch schon vorher – wurde sogenannte Asozialität als vererbbar angesehen. Ich glaube, dass diese Angst nachwirkt, auch wenn sie gar nicht bewusst ist: Was, wenn die Nach­ba­r:in­nen in mir jetzt die Nichte einer solchen Frau sehen.

Gedenken

Gedenken „Im Garten der Frauen“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof erinnert seit dem 18. 5. ein Gedenkstein an die vier Frauen, die zwischen 1970 und 1975 von Fritz Honka in Hamburg-Ottensen ermordet wurden.

In einer Broschüre hat Frauke Steinhäuser versucht, das Leben der Frauen nachzuzeichnen, die zum Teil unter den Nationalsozialisten als sogenannte „Asoziale“ in Konzentrationslagern inhaftiert waren.

Wie häufig bei Femiziden hat der Täter große mediale Aufmerksamkeit gefunden, zuletzt durch die Verfilmung von Heinz Strunks populärem Roman „Der goldene Handschuh“ durch den Hamburger Starregisseur Fatih Akin.

taz: Sie haben auch über die Selbstbehauptungsversuche von Frauen geforscht, die als Asoziale kategorisiert worden sind. Haben Sie etwas von davon auch bei den Opfern von Fritz Honka gefunden?

Steinhäuser: Teilweise waren diese Frauen alkoholkrank, aber sie haben immer versucht, sich schön anzuziehen. Das kann man natürlich auch so deuten, dass sie als Sexarbeiterinnen auf ihre Kunden wirken mussten. Aber ich denke, es ging auch darum, eine Würde für sich zu behalten, obwohl sie unter wirklich prekären Umständen lebten und oft nur das hatten, was sie bei sich trugen. Mir ist auch aufgefallen, dass die Frauen sehr oft den Wohnsitz gewechselt haben. Sie haben versucht, sich dem Griff der Polizei und den Kontrolluntersuchungen für Sexarbeiterinnen zu entziehen, zu denen sie zwei- bis dreimal pro Woche mussten. Zwei Frauen haben geheiratet und versucht, in ein eher bürgerliches Leben zu kommen.

taz: Aber es ist nicht gelungen?

Steinhäuser: Bei einer der Frauen war der Mann 30 Jahre älter. Aber ob es deshalb scheiterte, weiß man nicht. Wäre ich Schriftstellerin, dann könnte ich mir das ausdenken. Aber als Historikerin werde ich der Person nicht gerecht, wenn ich da etwas hineindeute, was ich nicht belegen kann.

taz: Es gibt im Unterschied zu den Opfern relativ viel Beschäftigung mit dem Täter: einen Film, ein sehr erfolgreiches Buch. War das für Sie auch Anlass zu sagen: Ich sehe auf die Opfer?

Steinhäuser: Ich dachte, das kann doch nicht sein: Alle versuchen herauszufinden, warum der angeblich so arme Fritz Honka diese Frauen umbringen musste und niemand kümmert sich um die Opfer – das ist doch zynisch. Zumal, als ich die Ermittlungsakten gelesen habe, wo die Frauen auch nur als Beleg für die Morde erschienen.

Gertraud Bräuer und Frieda Roblik (von l.): Zwei der vier Frauen, die Honka ermordete und die als „Asoziale“ kategorisiert wurden Foto: undatierte Archivfotos/dpa

taz: Wie groß war das Interesse bei der Einweihung des Gedenksteins?

Steinhäuser: Wir waren erstaunt, dass so viele da waren, mindestens 60, 70 Leute. Praktisch gegenüber ist das Grab von Uwe Seeler und Leute, die eigentlich dorthin wollten, blieben stehen und haben uns zugehört. Und als ich den Hinweis auf Social Media gepostet habe, gab es relativ viel Resonanz, aber niemand hat mich beschimpft. Es waren durchgehend positive Reaktionen, dass es gut ist, dass man das jetzt endlich mal erforscht. Das hat mich auch wirklich gefreut.

taz: Werden Sie für Ihre Arbeit auch beschimpft?

Steinhäuser: Ich habe noch nie negative Reaktionen bekommen. Das liegt aber wahrscheinlich auch daran, dass ich meine Vorträge in einem ganz bestimmten Rahmen halte, die Publikation „Werkstatt Geschichte“ lesen eben nur bestimmte Interessierte oder zum Ohlsdorfer Friedensfest kommen nur bestimmte Leute. In meinem weiteren Bekanntenkreis erzähle ich nur vorsichtig, woran ich arbeite, weil das oft mit Verfolgung, Konzentrationslagern und fürchterlichen Brutalitäten zu tun hat. Wenn ich manchmal doch erzähle, bin ich vom Echo positiv überrascht und denke: Die Empathie ist doch verbreiteter, als ich das erwarte.

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