piwik no script img

Historiker über queere Kämpfe„Wir sind noch weit weg von Akzeptanz“

Eine Ausstellung in Bremen zeigt die mehr als 50 Jahre lange Geschichte queerer Bewegungen. Warum das gerade jetzt wichtig ist.

Startpunkt der Bewegung: Erster Christopher Street Day in der BRD 1979 in Westberlin Foto: Rolf Fischer/Schwules Museum
Leo Schurbohm

Interview von

Leo Schurbohm

taz: Herr Sachweh, warum braucht es noch immer Kämpfe in der queeren Bewegung?

Jannik Sachweh: Wir sehen global gerade, wie schnell sicher geglaubte Gleichberechtigung wieder rückabgewickelt werden kann. Fundamentale Rechte scheinen nicht in Stein gemeißelt. Es ist wichtig, dass wir uns als Gesellschaft ein Bild davon machen, was für Kämpfe auf dem Weg zu Gleichberechtigung und Anerkennung passierten und welche Schritte auf dem Weg dazu lagen, was wir heute als normal empfinden. Dadurch wird auch sichtbar, wo noch immer Menschen auf verschiedene Art und Weise ausgeschlossen werden.

taz: Welchen vergangenen Kampf halten Sie für besonders prägend?

Sachweh: Stonewall ist natürlich bis heute ein Symbol. Die Kämpfe sind aber vor allem durch Kontinuitäten geprägt. Etwa die Vorläufer des CSD, die ersten schwulen Karnevale – das waren erste große Gruppen, die sich die Straßen angeeignet haben. Aber auch andere Protestformen sind sicherlich genauso wichtig. Kunst und Kultur haben einen großen Stellenwert in den Protestbewegungen.

taz: Die Stonewall Riots waren eine Serie an Protesten von queeren Menschen in New York gegen eine Polizeirazzia im Stonewall Inn, einer queeren Bar. Sie gelten als Wendepunkt der globalen Befreiungsbewegung. Was können wir aus Ihnen lernen?

Sachweh: Dass Sichtbarkeit ganz, ganz wichtig ist. Die Proteste haben dazu geführt, dass ein Thema und damit auch viele Menschen öffentlich sichtbar geworden sind. Um Anerkennung und Gleichberechtigung zu erreichen, müssen Menschen und ihre Diskriminierung in der Öffentlichkeit sichtbar werden. So kann ein Verständnis dafür erzeugt werden, was sich ändern muss.

Bild: Merle Engler
Im Interview: Jannik Sachweh

ist 36 Jahre alt, Historiker, Leiter des Bremer Krankenhaus-Museums und Mitkurator der Ausstellung „Love at First Fight“.

taz: Ziel der Bewegungen ist die Befreiung queerer Menschen. Was bedeutet das?

Sachweh: Dass wir als Menschen gemeinsam leben können, ohne dass einige aufgrund persönlicher Eigenschaften ausgeschlossen oder zurückgesetzt werden – aufgrund von Lebenswirklichkeiten, die für andere Menschen keine Gefahr darstellen.

taz: Um das zu erreichen, gibt es verschiedene Kämpfe, die geführt werden, etwa um Rechte zu erhalten oder Hasskriminalität zu bekämpfen, was verbindet sie alle?

Jannik Sachweh: Der Kampf um Gleichberechtigung und damit auch um das Menschenrecht auf freie sexuelle Orientierung. Dinge, die wir schnell für selbstverständlich halten, geraten auch bis heute immer wieder in Gefahr.

taz: Wo werden die Kämpfe geführt?

Sachweh: Viele finden auf der Straße statt, oder medial. Aber auch in Kunst und Kultur, gemeinsamer Freizeitgestaltung, Sport oder ähnlichem können sie stattfinden. Die Frage ist auch, was für den individuellen Menschen als Kampf wahrgenommen wird. Sichtbar sind oft nur öffentliche Ereignisse.

Ausstellungseröffnung „Love at First Fight! Queere Bewegungen in Deutschland seit Stonewall“, am 5. 10., um 15 Uhr, Krankenhaus-Museum am Klinikum Bremen-Ost, Züricher Straße 40, Eintritt frei

taz: aber es gibt auch viele, die für sich geführt werden?

Sachweh: In der Geschichte wurden viele Kämpfe oder auch Leidenssituationen der Menschen im Privaten gehalten. Im Kleinen, wie im Großen. Sie wurden aufgrund des öffentlichen Drucks privatisiert, etwa derart, dass homosexuelle Männer ihre Sexualität aus Angst vor Strafverfolgung und Pathologisierung versteckt haben. Das ist eine Konsequenz der gesellschaftlichen Tabuisierung und Verdrängung des Themas.

taz: Welche Herausforderungen sind aktuell?

Sachweh: Die größte ist vielleicht die Akzeptanz für queeres Leben als Normalität. Wenn Forderungen nach Gleichberechtigung als Bedrohung, als Ideologie gebrandmarkt werden, dann ist das noch weit weg davon. Wir haben als Gesellschaft noch viel zu tun.

taz: Wie können queere Personen unterstützt werden?

Sachweh: Im Alltag ist es wichtig, dass Personen, die nicht selbst queer sind, im Auge haben, wo Diskriminierungen stattfinden und dann entsprechend sensibel reagieren, Unterstützung anbieten und in diesen Momenten deutlich Stellung beziehen.

🏳️‍⚧️ SHANTAY. YOU PAY. 🏳️‍🌈

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Informationen auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich aber leisten kann, darf einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare