Aktivisten in Kairo

Drei der Freiwiligen von Kairo: Ramy Nawar (links), Shorouk Mustafa und der 15-Jährige Ahmad Foto: Karim El-Gawhary

Hilfe für Covidkranke in Ägypten:Die Pandemiehelden

Ramy Nawar fährt in Ägyptens Hauptstadt Kairo als Lebensretter durch die Nacht. Er und seine Freunde verteilen Sauerstoffgeräte an bedürftige Kranke.

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9.3.2021, 11:21  Uhr

Es ist kurz vor Mitternacht, in einer dunklen Gasse in dem Arbeiterviertel Sabtiya im Zentrum Kairos. Nur das Gebell der Straßenhunde ist zu hören. Ramy Nawar trägt ein Sauerstoffgerät zu seinem klapprigen alten Wagen, verscheucht einen Streuner, der es sich auf seinem Autodach gemütlich gemacht hat und lädt das Gerät auf die Rückbank. Mit seiner kostbaren Fracht könnte er heute Nacht in der 20-Millionen-Stadt Kairo vielleicht ein Leben retten.

Ramy Nawar ist einer von neunzig jungen Freiwilligen, die Covidkranke aus ärmlichen Verhältnissen zu Hause versorgen. Angefangen haben sie letztes Jahr, als sie für Erkrankte Mahlzeiten gekocht haben. Später begannen sie damit, Menschen zu helfen, die mit der Krankheit von ihren Vermietern auf die Straße gesetzt wurden, ein neues Zuhause zu finden. Aber nun sind es vor allem Sauerstoffgeräte, die sie kaufen, vorbereiten und anliefern.

In einer kleinen, völlig heruntergekommen Wohnung in Sabtiya lagern sie die wertvollen Geräte. Die Jugendlichen ziehen ihre Schutzanzüge, Masken und Handschuhe an, bevor sie sie mit Handsprühgeräten Zentimeter für Zentimeter desinfizieren. Ahmad, der jüngste unter ihnen, ist gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Es ist die Wohnung seines Onkels, in der sie der nicht ungefährlichen Arbeit nachgehen. Bis vor Kurzem hing noch ein Covidkranker an diesem Gerät.

Ramy Nawar, freiwilliger Helfer

„Es ist immer ein furchtbarer Moment, wenn wir die Nachricht bekommen, dass einer der Patienten zu Hause gestorben ist“

Heute bereiten sie drei Sauerstoffgeräte vor. Die sind in den letzten Tagen zurückgekommen, entweder weil ein Patient gesund geworden oder weil er gestorben ist. An letzteren Fall wird sich Ramy Nawar nie gewöhnen. „Es ist immer ein furchtbarer Moment, wenn wir die Nachricht bekommen, dass einer der Patienten zu Hause gestorben ist“, sagt er.

Über 800 Covidkranke haben sie bisher versorgt. Sie verwalten Geräte im Wert von vielen tausend Euro. Die Koordination läuft denkbar unbürokratisch über eine Whatsapp-Gruppe. Voraussetzung dafür, dass Kranke von ihnen versorgt werden, ist die klare Diagnose eines lokalen Arztes, basierend auf Laborwerten und Lungen-Röntgenbildern und der Angabe, wie viel Sauerstoff benötigt wird. Diese werden dann per Whatsapp von einem Netzwerk freiwilliger Internisten, Lungen- und Intensivärzte gegengecheckt, die mit der Gruppe online zusammenarbeiten. Auf diese Art wird auch bestimmt, wann jemand doch in ein Krankenhaus transportiert und an ein künstliches Beatmungsgerät gehängt werden muss.

Seit einigen Wochen arbeiten auch einige Psychologen mit der Gruppe, um nicht nur den Kranken, sondern auch deren Angehörigen beizustehen. Über Whatsapp verschickt Ramy Nawar selbstgedrehte Videos, die die Verwandten der Patienten im Umgang mit den Sauerstoffmaschinen schulen. Denn zu Hause sind die auf sich alleine gestellt.

Auch Geld wird auf diesem Weg oder über andere soziale Medien gesammelt. „Wir haben die Initiative letztes Jahr mit einer Gruppe von Freunden begonnen. Da war eine Krise, die wir uns nicht ausgesucht haben und wir wussten, wir müssen etwas tun“, berichtet Shorouk Mustafa, die Gründerin der Gruppe. Zunächst haben sie unter Freunden gesammelt, später mit Aufrufen in den sozialen Medien.

Sie schreiben, wenn sie Geräte oder Sauerstoffflaschen brauchen, auch welcher Gerätetyp benötigt wird. Dann spenden Menschen Geld oder kaufen die Geräte und stiften sie. Manchmal bekommen sie auch Geräte oder Sauerstoffflaschen von wohlhabenderen Covidpatienten in Kairo, die diese zur Verfügung stellen, weil sie sie nicht mehr brauchen. Viele der Freiwilligen, die bei ihnen arbeiten, sind selbst ehemalige Covidpatienten oder deren Verwandte, denen die Gruppe zuvor geholfen hat.

Die Zahlen Nach den offiziellen Zahlen ist die Coronapandemie in Ägypten wenig ausgeprägt. Mit Stand vom 1. März infizierten sich unter den 100 Millionen Einwohnern bisher 182.424 Personen – in Deutschland sind es dagegen 2.451.011 nachgewiesene Fälle. In Ägypten wurden 10.688 Tote registriert. Für den 1. März wurden lediglich 595 neue Fälle und 49 Tote gemeldet.

Die Realität Tatsächlich dürften die Zahlen weit untertrieben sein. Gesundheitsexperten schätzen, dass die realen Zahlen mindestens zehnmal so hoch sind wie angegeben. Ägypten ist nach Einschätzung des Auswärtigen Amts ein Coronahochrisikogebiet. Vor Reisen wird gewarnt. (taz)

Das Coronavirus ist ein unbekannter Gegner in Ägypten. Die offiziellen Zahlen spiegeln bei weitem nicht die Realität wider. Der Staat gibt sich vollkommen intransparent. Vor allem die Armenviertel der 20-Millionen-Stadt Kairo sind ein weißer Fleck auf der Coronalandkarte. Dass über 370 Ärzte nach Angaben des Ärzteverbandes an Covid-19 verstorben sind, ist eine der wenigen verwertbaren Zahlen im Land.

Lockdowns gibt es keine. Das würde in Ägypten, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von umgerechnet weniger als 1,30 Euro am Tag lebt und einem nur rudimentär ausgeprägten Sozialsystem dazu führen, dass die Familien der zahlreichen Tagelöhner am Hungertuch nagen müssten. Shorouk Mustafa lobt die Ärzte und die Menschen, die im ägyptischen Gesundheitssystem arbeiten. „Sie versuchen ihr Bestes. Aber selbst im reichen Europa sind Gesundheitssysteme oft überfordert“, sagt sie.

Blick über Kairo Foto: Anton Aleksenko/imago

Ihr Handy ist so etwas wie die Telefonzentrale der Gruppe. „Die Anrufe kommen meist nachts. Das sind keine einfachen Telefongespräche. Da heißt es, helft mir, meine Mutter stirbt, sie bekommt keine Luft mehr. Am Anfang hat uns das noch schockiert, aber inzwischen sind wir gut organisiert“, schildert sie.

Mit ihren gerade einmal 26 Jahren trägt Mustafa eine enorme Verantwortung. Am meisten macht ihr die Angst zu schaffen. „Die Angst vor so vielem, die Angst, dass jemand der Freiwilligen oder ich mich selbst anstecke. Die Angst, dass die Hilfe nicht rechtzeitig ankommt. Die Angst, dass jemand stirbt“, erzählt sie.

Das alles geht nicht spurlos an der jungen engagierten Ägypterin vorüber. „Das ist psychologisch wirklich Hardcore. Es hat mich sogar in eine Depression gestürzt“, erklärt sie offen. „Mein Arzt hat mir geraten, sofort aufzuhören. Jetzt nehme ich Medikamente dagegen. Ich muss weitermachen, schließlich hängen Menschenleben von unserer Arbeit ab“.

Nicht immer sind die Helfer wohlgelitten

Manchmal werden allerdings gerade jene, denen sie helfen wollten, zum Problem, vor allem die Verwandten von Verstorbenen. Es kommt vor, dass die Freiwilligen von Verwandten beschimpft oder sogar tätlich angegriffen werden, wenn sie ihre Geräte bei den Verstorbenen wieder abholen. Bisweilen werden sie für den Tod der Infizierten verantwortlich gemacht. „Am Anfang hat uns so etwas völlig aus der Bahn geworfen und wir haben gedacht, warum machen wir das, wenn wir dafür dann auch noch beschimpft werden“, erinnert sich Shorouk Mustafa.

Inzwischen zeigt sie Verständnis für die verzweifelten Menschen, die gerade ihren Vater, ihre Mutter oder ein Geschwister verloren haben. „Wir haben uns daran gewöhnt und für zehn, die uns beschimpfen, gibt es zwei Fälle, die überlebt haben und die uns für ihre zweite Chance im Leben dankbar sind“, erklärt sie. Manchmal bekomme sie Monate später eine Anruf von jemandem, der sich bedankt, dass er wieder zurück im Leben ist, arbeitet und für seine Familie da sein kann.

Mann mit Maske im Dunkeln

Ein Freiwilliger trägt ein Sauerstoffgerät durch die dunklen Gassen Kairos Foto: Karim El-Gawhary

„Wir machen das jetzt seit elf Monaten. Wir haben viel geweint, haben gelacht und haben uns gefreut, wenn es jemand geschafft hat, waren wütend, wenn nicht. Oft haben wir auch unsere Hoffnung verloren, weil wir so viele schwierige Situationen erlebt haben“, blickt Mustafa zurück. Aufhören ist für sie trotzdem kein Thema.

Unterdessen fährt Rami Nawar zu seinem Ziel. Wohin genau, das will er nicht erzählen. Schließlich ginge es auch darum, die Privatsphäre und die Würde der Kranken zu schützen. Es gibt Gegenden in Kairo, da fährt man nachts besser nicht hinein, besonders nicht mit Geräten im Auto, die umgerechnet Tausende Euro wert sind, erzählt er. Brenzlige Situationen habe er schon häufiger erlebt. Aus mancher sei er nur knapp mit heiler Haut entkommen, erzählt er, bevor er den Journalisten absetzt.

Auch er macht weiter. Denn irgendwo in der riesigen Stadt atmet jemand schwer, ringt nach Luft und hofft, dass Rami Nawar in seinem klapprigen Wagen noch rechtzeitig ankommen wird.

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