: Hier rebellieren die Chefs
Zusätzlich zum Streit über den Krieg droht den Grünen neuer Ärger: Fritz Kuhn und Claudia Roth wollen in den Bundestag
von JENS KÖNIG und PATRIK SCHWARZ
Tony Blair hat diese Woche ein Problem mit seinem Verkehrsminister. Für die deutsche Politik ist das nur insoweit interessant, als es einen Einblick in politisches Denken im Medienzeitalter gibt. Kurz nach den Anschlägen in den USA verschickte eine Beraterin des Ministers eine interne E-Mail mit dem Ratschlag, umstrittene Entscheidungen am besten jetzt bekannt zu geben, da die Öffentlichkeit abgelenkt sei.
Auch bei den deutschen Grünen wurde eine der folgenreichsten Entscheidungen für das Wahljahr 2002 jetzt eher verhuscht und im Windschatten des Kriegs bekannt: Parteichef Fritz Kuhn kandidiert für den Bundestag, seine Kovorsitzende Claudia Roth offenbar auch. Weil beide darüber hinaus Parteivorsitzende bleiben wollen, droht der Partei die Neuauflage einer zwanzigjährigen Debatte: Muss, darf, soll die grüne Satzung den Vorsitzenden weiterhin verbieten, gleichzeitig Abgeordnete zu sein?
Zuletzt war im Frühjahr 2000 auf dem Parteitag in Karlsruhe ein Änderungsantrag knapp an der Zweidrittelmehrheit gescheitert. Die damaligen Kandidaten für den Parteivorsitz, Renate Künast und Fritz Kuhn, kapitulierten vor den Basis-Guerilleros und gaben ihre Mandate entnervt ab.
Wenn Kuhn und Roth an einer Bundestagskandidatur festhalten, läuft die Debatte diesmal anders. Egal wie das Ergebnis ausfällt, es wird die Partei drastisch verändern: Entweder haben die Grünen zum ersten Mal ein Führungsteam, das mächtig ist, oder es gibt zwei Vakanzen an der Parteispitze.
Die Betroffenen versuchen, ihre Rebellion gegen die Satzung so niedrig zu hängen wie möglich. Kuhn teilte dem Bundesvorstand bereits am Donnerstag seinen Entschluss mit, eine Pressekonferenz fand nicht statt, der Baden-Württemberger gab lediglich einigen Heimatzeitungen Interviews zu seinem Wahlkreis Heidelberg: „Ich finde die Mischung aus Universitätsstadt und wichtigem Wirtschaftsstandort – gerade für die neuen Technologien – sehr interessant.“
Roth befand sich derweil noch in Pakistan auf einem Besuch in Flüchtlingslagern. Sie wird nächste Woche offiziell Stellung beziehen, doch in der Parteizentrale wird kein Geheimnis daraus gemacht, dass Kuhn und Roth sich gemeinsam gegen die Satzung auflehnen wollen. „Ich würde, wenn die Partei das will, Vorsitzender bleiben“, sagte Kuhn dem Mannheimer Morgen, „aber das entscheiden wir in aller Ruhe nach der Bundestagswahl 2002.“
So viel Zeit wird die grüne Basis nicht gewähren. Zwar findet der Parteitag, der über Roths und Kuhns Wiederwahl entscheiden müsste, erst nach der Bundestagswahl statt. Aber auf die Frage, wie sich eine Debatte verhindern lässt, ist auch Rezzo Schlauch ratlos: „Diskussionen verhindere ich grundsätzlich nicht.“
An Unterstützung für das Führungsduo mangelt es nicht. „Ich find es rundum gut, dass die das machen“, sagt Schlauch, „weil ich immer schon der Ansicht war, dass die Besten ins Parlament sollen.“ Auch gibt es viele Landeschefs von Baden-Württemberg und Bayern bis Hessen und Sachsen-Anhalt, die sich die Abschaffung der alten Regel wünschen. Trotzdem weiß auch Andreas Braun, Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, um die Hürden. „Es ist eines der letzten Dinge, die seit zwanzig Jahren gepflegt werden“, sagt er, gerade deshalb falle der Partei die Trennung davon schwer, „das Thema geht vielen Grünen bis ins Mark.“
Bei den Gegnern einer Reform lassen sich gewisse Ermüdungserscheinungen beobachten. „Das ist wirklich eine Debatte, die wir schon, drei, vier Mal geführt haben“, sagt der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, „die können kandidieren – bitte!“
Kuhns Unterstützer hoffen bei einem Parteitag 2002 auf eine veränderte Grundstimmung bei den Grünen. In Karlsruhe vor anderthalb Jahren hätten höchstens 20 Prozent der Delegierten die Trennung von Amt und Mandat aus politisch-ethischen Gründen verteidigt. Zur Sperrminorität von 34 Prozent kam es erst, weil Kuhn als „Fischers Fritz“ gegolten habe – und selbst manche moderate Grüne hofften, den Freund des Außenministers Joschka Fischer zu verhindern. Inzwischen würden aber selbst Linke anerkennen, dass Kuhn nicht als Fischers verlängerter Arm agiere.
Für Kuhn und Roth gibt es freilich nicht nur die Hürden einer Satzungsänderung samt Wiederwahl zu überwinden. Davor steht die Bundestagswahl. Fällt das Ergebnis gut aus, dann „wird es eher eine Satzungsdebatte geben“, sagt ein Insider, „sonst eher eine Nachfolgerdebatte.“
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