Heuschreckenplage in Ostafrika: Wie eine Feuerwalze
In Somalia, Kenia und Äthiopien sind die Auswirkungen des Klimawandels real. Das zeigt eine Heuschreckenplage, die zur Hungernot führen wird.
![Zwei Männer laufen durch einen Heuschreckenschwarm Zwei Männer laufen durch einen Heuschreckenschwarm](https://taz.de/picture/3930402/14/128612455-1.jpeg)
Wo ist das Insektensterben, wenn man’s mal braucht? Ostafrika leidet derzeit unter der schlimmsten Heuschreckenplage seit Jahrzehnten. Was für Mitteleuropäer zunächst vergleichsweise harmlos klingt, weil man eher an die Mottenplage in der eigenen Küche denkt, ist in Wahrheit eine existenzielle Bedrohung.
Denn so ein Heuschreckengeschwader wirkt wie eine Feuerwalze. Es besteht aus mehreren Hundert Millionen bis über eine Milliarde Tieren. Allein die Insekten, die sich auf einem Quadratkilometer tummeln, verputzen so viel wie 35.000 bis 80.000 Menschen pro Tag! Dabei sind die Wirbellosen erstaunlich mobil – sie können 150 Kilometer täglich zurücklegen.
Und fallen über Flächen her, die man nur noch mit Saarlandvergleichen beschreiben kann: Laut der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO nimmt ein einzelner Schwarm in Kenia satte 2.400 Quadratkilometer ein – eine Fläche „fast so groß wie das Saarland“, wie die „Tagesschau“ entsetzt vermeldete.
Aber bevor uns nun Henryk M. Broder, Dieter Nuhr und Harald Martenstein erklären, dass das ja wohl der ultimative Beweis gegen eine Biodiversitätskrise sei, weil offenbar ja noch genug Tiere übrig sind, wollen wir kurz einen Blick auf die Zusammenhänge werfen.
Wüstenheuschrecke Schistocerca gregaria
Das aktuelle Problem ist eine einzelne Art, die Wüstenheuschrecke Schistocerca gregaria. Die hübsch beige-gelblich gefärbten Insekten erreichen eine Länge von sechs bis neun Zentimetern und sind an eher karge, halbwüstenartige Lebensräume angepasst, wo sie sich von allerlei Blättern und Gräsern ernähren. Normalerweise leben sie dort als Einzelgänger unauffällig vor sich hin. Ihr Fortpflanzungserfolg hängt vom Wetter ab.
Unter normalen Bedingungen bleibt die Population im Gleichgewicht. In besonders feuchten Jahren aber treten sich die Larven bald auf die sechs Füße, das zunächst überreichlich sprießende Futter wird knapper, und jetzt setzt eine erstaunliche Umwandlung ein: Die Tiere verändern Verhalten und Aussehen. Sie rotten sich zusammen, verfärben sich rosa und entwickeln verlängerte Flügel. Atmosphärische Bedingungen wirken wie ein Startschuss, auf den hin die Tiere zeitgleich in dieselbe Richtung losfliegen. Auf andere Heuschrecken wirkt das wie ein Magnet, der immer mehr Tiere anzieht. Jedes der Insekten frisst täglich so viel, wie es selbst wiegt.
Heuschreckenplagen begleiten den Menschen schon immer – man denke nur an die Bibel. Ökologisch ergibt das Verhalten aus Sicht der Tiere natürlich Sinn, denn es ermöglicht ihnen, Nahrungsressourcen zu nutzen, die sie sonst nicht erreichen, weil es dort zu trocken für sie ist. Deswegen sind Heuschreckenschwärme eng mit dem Klimasystem verknüpft. Es ist kein Zufall, dass die Plage in Kenia, Somalia und Äthiopien mit den Buschbränden in Australien zusammenfällt: Beides wird von den Wassertemperaturen im Indischen Ozean beeinflusst, die periodisch schwanken.
Die Verantwortlichen
Zwar ist dieses Phänomen natürlich, seine Auswirkungen werden aber durch den Klimawandel verstärkt. Denn der führt mittels einfachster Physik – warme Luft nimmt mehr Wasser auf – dazu, dass die Niederschläge punktuell stärker ausfallen. Was dramatische Überschwemmungen verursacht – die im Dezember, von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert, die Region bereits heimgesucht hatten – und in der Folge eben Heuschreckenplagen.
Die gehören zwar zum normalen ökologischen Kreislauf. Aber der Mensch verstärkt ihr Ausmaß durch Landwirtschaft, die eine perfekte Nahrungsgrundlage für die Tierchen schafft, und durch vom Klimawandel verursachte Extremwetterereignisse, die die Fortpflanzungsfähigkeit und Wanderbereitschaft der Heuschrecken erhöhen.
Nun droht als nächste Eskalationsstufe eine Hungersnot in Ostafrika. Dann ziehen nach den Heuschrecken womöglich bald die Menschen los. Und dürfen sich schließlich von exakt den Leuten, die stets vor übertriebenem Alarmismus in der Klimafrage warnen, aus den Ländern, die das Desaster hauptverantwortlich verursacht haben, als Wirtschaftsflüchtlinge denunzieren lassen.
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