Hessischer SPD-Chef wechselt Posten: Thorsten Schäfer-Gümbel geht zur GIZ
Sozialdemokrat Thorsten Schäfer-Gümbel zieht sich aus seinen Parteiämtern zurück. Er kümmert sich fortan um Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika.

Nach der hessischen Landtagswahl im Oktober wirkte „TSG“, als ob er sich von Hoffnung zu Hoffnung hangele, vor allem, als plötzlich Stimmen noch mal nachgezählt wurden. Grünen und FDP lief er ein bisschen hinterher, um ganz vielleicht, bitte schön, doch noch eine Ampel-Regierung zu schmieden. Er hätte dazu wohl sogar Tarek Al-Wazir zum Ministerpräsidenten gewählt. Doch der Grüne, der mit Schäfer-Gümbel mal gegen Roland Koch gekämpft hatte, enttäuschte ihn abermals. Schwarz-Grün regiert weiter.
Schäfer-Gümbel ist ein linker Sozialdemokrat mit einem Regierungswillen, wie er eher unter Konservativen zu finden ist. „Sortiert“ und „unsortiert“ gehören zu seinen Lieblingswörtern. Vielleicht haben sie mit seinem Vater zu tun, der Zeitsoldat war, bevor er Lastwagentouren nach England und Frankreich fuhr. Seine Mutter war Putzfrau. Vier Kinder, drei Zimmer, 75 Quadratmeter in der Gießener Nordstadt.
Als der Vater krank wurde und die Mutter viel in der Klinik war, kümmerte sich Thorsten um die Geschwister. Ein entschlossener Lehrer bestärkte ihn, die Schule nicht nach dem Realschulabschluss zu beenden, sondern das Abitur zu machen. Schäfer-Gümbel ist stolz darauf, was er geschafft hat.
Nur Ministerpräsident ist er nicht geworden.
Seine erste Niederlage war ein Achtungserfolg: 2009 sprang er für die gescheiterte Andrea Ypsilanti ein. Das höhnische Gekicher über Doppelnamen und Flaschenbodenbrille verstummte rasch, weil der Neuling erstaunliche Schubkraft bewies. 2013 hatte er der kaputten Hessen-SPD erst Vertrauen und dann Selbstvertrauen eingeflößt, doch das schwache Ergebnis der Grünen vermasselte ihm eine rot-grüne Regierung. 2017 zog ihn die dahinsiechende Groko-SPD herunter, an der er als Bundes-Vize allerdings schon auch seinen Anteil hatte.
Nun wollte er nicht selber siechen. Schäfer-Gümbel soll einer von drei Vorständen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit werden. Die GIZ hat 20.000 Beschäftigte in 120 Ländern und 2,6 Milliarden Euro Geschäftsvolumen. Die Nummer 1 im Vorstand ist Tanja Gönner, früher für die CDU Ministerin in Baden-Württemberg und langjährige Verbündete der Kanzlerin. Ein Job ist frei, weil Hans-Joachim Preuß, der Vorgänger, vor dem Ruhestand noch eine Station in Benin macht, als Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Schäfer-Gümbel soll nun Arbeitsdirektor werden, außerdem zuständig für Afrika sein. Eigentlich ist er Asien-Fan und viel in China gewesen. Der Aufsichtsrat, in dem unter anderem Regierungsleute, Bundestagsabgeordnete und Beschäftige der GIZ sitzen, muss die Berufung noch beschließen – aber der zuständige Ausschuss hat schon Ja gesagt.
In Afrika was tun, das wollte Schäfer-Gümbel schon früher mal. Sie waren drei Freunde und eine Freundin auf der Landgraf-Ludwigs-Schule in Gießen, erzählt er. Sie teilten sich zum Studium auf, ein Quartett für Entwicklungszusammenarbeit: Zwei schrieben sich für Medizin ein, einer für Betriebswirtschaft, Schäfer-Gümbel studierte Agrarwissenschaft.
Doch dann wurde es wortwörtlich finster, seine Netzhaut löste sich ab. Außerdem brach das Quartett auseinander. Schäfer-Gümbel ging es schlecht, er musste zum zweiten Mal von vorn beginnen oder besser: unten.
Schäfer-Gümbel sagt, dass er mit sich gerungen habe, die Politik aufzugeben. Auch wenn er den GIZ-Job als politisches Amt versteht: Die SPD hat ihm viel ermöglicht, er hat zu einem großen Teil in der Partei gelebt. Vorbei. Neuanfang. In Hessen hat Nancy Faeser, Landtagsabgeordnete und Generalsekretärin der Landespartei, beste Chancen, Schäfer-Gümbel nachzufolgen.
Am Montag war der Politiker im Willy-Brandt-Haus zur Präsidiumssitzung. Die SPD schrumpelte gerade wieder bei Emnid von 17 auf 16 Prozent herunter. Es ging um die Europawahl, Paketzusteller, die Lage. Schäfer-Gümbel sagt, dass ihn einige Genossen ansprachen, weil er aufgekratzt wirkte. Er verriet da noch nicht, warum.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Politiker boykottiert Radio Bremen
Zu links, zu grün, zu schlecht
EU-Antwort auf Putin und Trump
Zu wenig und zu spät
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
USA in der Ukraine
Geheime Verhandlungen mit der Opposition
Kopftuchstreit in Spanien
Glaube und Feminismus
Protestaktion gegen CDU-Chef Merz
Alle Tassen im Konrad-Adenauer-Haus?