Hessen wird schwarz-rot wie Berlin: „Streit ist der Anfang vom Ende“
SPD-Landeschefin Franziska Giffey empfahl schon vor vier Wochen für Hessen, was dort nun überraschend tatsächlich kommt: Schwarz-Rot wie in Berlin.
taz: Frau Giffey, man hat Ihnen schon viele Beinamen gegeben, Bürgermeisterin von Deutschland etwa oder Regierende Kindergärtnerin. Jetzt müsste noch „Koalitions-Hellseherin“ hinzukommen, oder?
Franziska Giffey: (lacht) Wieso?
Weil Sie vor vier Wochen, als eigentlich alle weiter von Schwarz-Grün in Hessen ausgingen, bei einer Laudatio für Klaus Wowereit dort Schwarz-Rot für möglich hielten und der hessischen SPD eine Juniorpartnerschaft wie in Berlin empfohlen haben.
Am besten wäre es natürlich, wenn die SPD stärkste Kraft geworden wäre. Aber unter den gegebenen Umständen freue ich mich darüber, dass es diesen Verhandlungserfolg zwischen CDU und SPD in Hessen gibt, denn es ist der richtige Weg, nachdem die SPD so lange nicht mitregiert hat. Ich halte es ja bekanntlich mit Franz Münteferings Satz: „Opposition ist Mist.“ Du kannst am Seitenrand stehen, kommentieren, kritisieren, fordern – aber wirklich etwas umsetzen und gestalten ist schwierig, wenn man nicht in Regierungsverantwortung steht.
Franziska Giffey (45) ist eine von zwei Landesvorsitzenden der SPD und war von Dezember 2021 bis Ende April dieses Jahres Regierungschefin von Berlin. Sie steuerte ihre Partei nach der Abgeordnetenhausahl vom 12. Februar in die gegenwärtig einzige schwarz-rote Koalition in Deutschland auf Bundes- oder Landesebene. In der Landesregierung wurde sie Wirtschaftssenatorin und Vize-Regierungschefin. Seit den 50er-Jahren war kein vormaliger Ministerpräsident wie sie Mitglied des nachfolgenden Kabinetts geworden.
Haben die Parteigenossen denn tatsächlich bei Ihnen angerufen und nachgefragt, wie das Regieren so ist mit CDU?
Nein, aber ich denke schon, dass die SPD Hessen genau beobachtet hat, wie das hier bei uns in Berlin läuft.
Falls doch: Was hätten Sie denn den Hessen gesagt, was die hiesige Koalition ausmacht und warum sie so zu empfehlen sein soll?
Dann hätte ich von unserem Regierungsstil erzählt: ruhig, pragmatisch, unaufgeregt, lösungsorientiert und bürgernah. Das ist es, was die Bürgerinnen und Bürger wollen, und das kommt auch an.
Überraschung Nach der Landtagswahl am 8. Oktober konnte sich die CDU zwischen SPD und Grünen als Koalitionspartner entscheiden. Schwarz-Grün hatte seit 2014 überraschend geräuscharm regiert. Beobachter gingen daher von einer Fortsetzung aus. Stattdessen kündigte Hessens CDU-Chef Boris Rein am Freitag Koalitionsgespräche mit der SPD an. Die würde damit trotz ihres schlechtesten Wahlergebnisses erstmals nach 24 Jahren wieder mitregieren. (sta)
Fühlen Sie sich durch die Entwicklung in Hessen in Ihrer eigenen Entscheidung nach den Sondierungsgesprächen im März bestätigt, von den Grünen wegzugehen?
Bei uns in Berlin ging es ja auch darum, Schwarz-Grün zu verhindern. Mit Rot-Grün-Rot wäre es sehr wahrscheinlich nicht weitergegangen, denn die Gespräche zwischen CDU und Grünen waren schon sehr weit fortgeschritten. Für die SPD ist es richtig mitzuregieren – sich in der Opposition zu erholen klappt nicht. Das hat sich auch in Hessen gezeigt. Mitzuregieren ist die einzige Chance, sich profilieren zu können. Die CDU ist sowohl in Hessen als auch in Berlin offensichtlich zu der Überzeugung gelangt, dass es gut ist, wenn gerade jetzt die Volksparteien der Mitte pragmatisch in einer Regierung zusammenarbeiten.
Hat das nun eine bundesweite Komponente? Ist Schwarz-Rot zwangsweise auch auf Bundesebene die Zukunft, weil es mit den Grünen bei zentralen Themen nicht läuft?
Das muss man sehen, das hängt sehr davon ab, wie das weitere Handeln der Ampelregierung verläuft. Bis zur Bundestagswahl sind ja noch fast zwei Jahre Zeit. Aber eins ist klar: Offener Streit ist der Anfang vom Ende einer jeden Koalition. Jetzt kommt es darauf an, dass die Bundesregierung in diesem Bündnis wieder Vertrauen in ihre gemeinsame Handlungsfähigkeit zurückgewinnt. Davon wird der Erfolg 2025 abhängen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert