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Herkunftsnennung bei StraftatenDie Gefahr der Obsession

In den letzten fünf Jahren nennen Nachrichtenbeiträge immer häufiger die Herkunft von Tatverdächtigen. Das ergibt eine neue Studie.

Hier hat jemand „Interesse“. Passant am Tatort eines Verbrechens in Göttingen im September. Foto: dpa

Berlin taz | Wie oft stellen Nachrichten einen Zusammenhang zwischen Straftaten und Staatsbürgerschaft her? Antworten auf diese Frage gibt eine Untersuchung der Hochschule Macromedia, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Das Team hat Fernseh- und Zeitungsbeiträge zum Thema Gewaltkriminalität untersucht: daraufhin, ob sie Informationen zur Herkunft (in der Regel heißt das: Staatsbürgerschaft) der Verdächtigen enthalten. Und zwar aus den Haupt- und Boulevardnachrichten. Das Ganze untersuchten sie punktuell für die Jahre 2014, 2017 und 2019.

Das Ergebnis: Noch 2014 spielte die Herkunft von Tatverdächtigen in den Nachrichten kaum eine Rolle: Nur knapp 5 Prozent der untersuchten Beiträge enthielten Informationen zur Herkunft der Beteiligten. Am nächsten Untersuchungspunkt jedoch, dem Jahr 2017, war der Anteil massiv nach oben geschnellt. Nun waren es knapp 18 Prozent.

Im laufenden Jahr 2019 war es dann sogar fast jeder dritte Beitrag, gut 31 Prozent. Dazu kommt, dass in jeder Stichprobe die Tatverdächtigen überproportional oft als ausländisch markiert wurden – während laut Kriminalstatistik zwei Drittel der Tatverdächtigen die deutsche Staatsbürgerschaft haben. „So entsteht ein Zerrbild“, sagt der Journalismusforscher und Autor der Untersuchung, Thomas Hestermann.

Was ist passiert in den letzten Jahren? Es gibt mehrere Deutungsmöglichkeiten. Die Macromedia leitet ihre Studie mit der Silvesternacht in Köln 2015/16 ein und sieht sie als Ereignis, mit dem „Vorbehalte gegenüber Eingewanderten und Geflüchteten neue Nahrung“ erhalten hätten sowie als „Initialzündung eines gewachsenen Misstrauens gegenüber dem Journalismus“.

Richtig ist: Die Raubüberfälle und Übergriffe auf Frauen auf der Domplatte damals erzeugten eine heftige Debatte über die Repräsentation von Herkunft in der Berichterstattung über Gewaltdelikte. Der über Jahrzehnte etablierte journalistische Grundsatz, dass Herkunft – genauer: Nationalität – von Tatverdächtigen nur bei einem Sachzusammenhang zu nennen ist, wurde infrage gestellt.

Sachbezug oder „Interesse“

Die Sächsische Zeitung beschloss im Nachgang, künftig immer die Herkunft zu nennen, sofern sie von der Polizei gemeldet ist – und zwar auch, wenn es sich um deutsche Staatsbürger*innen handelt. Und schließlich entschied der Presserat 2017, den „Sachbezug“ als Voraussetzung aus dem entsprechenden Artikel des Pressekodex zu streichen und stattdessen ein „begründetes öffentliches Interesse“ an seine Stelle zu setzen. Für Hestermann eine „fatale Entscheidung“.

Ähnlich sieht es Konstantina Vassiliou-Enz von der Initiative Neue Deutsche Medienmacher*innen. „Die Verknüpfung von Herkunft und Straftaten ist unsachlich“, sagt Vassiliou-Enz. Es gebe selbstverständlich Fälle, bei denen die Herkunft zum Verstehen der Geschichte unabdingbar sei. „Aber die bilden die absolute Ausnahme.“

Wir haben es mit einer Kulturalisierung von Kriminalität zu tun

Konstantina Vassiliou-Enz

Anderer Ansicht war Heinrich Maria Löbbers, stellvertretender Chefredakteur der Sächsischen Zeitung. „Wenn wir die Nationalität nicht nennen, schaffen wir Freiraum für Spekulation“, sagte Löbbers. Die Redaktion sehe sich mit Gerüchten in sozia­len Medien konfrontiert sowie mit Leser*innen, die davon ausgingen, dass die Herkunft aufgrund eines Verbots nicht genannt werde.

Dem widersprach Thilo Cablitz, Sprecher der Polizei Berlin. „Die Nennung der Herkunft ändert an den Gerüchten in der Filterblase rein gar nichts.“ Laut Cablitz nenne die Berliner Polizei die Herkunft in Pressemitteilungen nur bei konkretem Sachbezug – gebe die Information, sofern bekannt, aber auf Nachfrage an Journalist*innen.

Die Info kommt von der Polizei

In fast allen Fällen kommen Redaktionen über die Polizei an Information über die Herkunft von Tatverdächtigen. Ob die Polizeipressestellen ebenfalls häufiger die Herkunft nennen, untersuchen die Macromedia-For­sche­r*in­nen aktuell noch. Es gebe dafür aber schon Anhaltspunkte, sagt Hestermann.

Womit die Verantwortung wieder mal effizient hin- und hergeschoben wäre. Bleibt die Frage, wie der massive Anstieg der Herkunftsnennung zu interpretieren ist. Konstantina Vassiliou-Enz findet, dass die Frage leicht zu beantworten ist: „Wir haben es mit einer Kulturalisierung von Kriminalität zu tun.“ Das hieße: Nachrichten bewegen sich von einer realistischen Abbildung weg zu einer Obsession mit der Herkunft.

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6 Kommentare

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  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Könnte das ein Grund für das Interesse an der Herkunft der Täter:Innen sein?

    "Vorbehaltlich dieser Erfassungsmängel ist die Diskrepanz aber doch deutlich: Im Bereich Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen standen laut BKA-Lagebild 33 Asylbewerbern und Flüchtlingen, die Opfer einer Straftat mit einem deutschen Tatverdächtigen wurden, 230 deutsche Opfer eines tatverdächtigen Zuwanderers gegenüber. Bei den Sexualstraftaten lag dieses Verhältnis bei 89 zu 3261.



    ...



    Bei allen Schwächen der PKS wird auf Grundlage dieser Zahlen deutlich, dass Schutzsuchende vor allem von anderen Ausländern angegriffen werden."

    www.welt.de/politi...sche-nimmt-zu.html

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @83492 (Profil gelöscht):

      Der Vergleich der ungewichteten absoluten Zahlen ist unsachlich und politisch motiviert. Jede seriöse Analyse hat den Fakt zu berücksichtigen, dass es viel weniger Asylbewerber*innen und Flüchtlinge gibt als Deutsche.

      Ein Rechenbeispiel:



      Annahme: Auf 99 Männer mit gesunden Augen kommt einer mit Sehschwäche. Betrachtet werden für dieses Beispiel nur Männer mit einem Bruder.

      Dann ist die Chance, dass ein willkürlich ausgewählter Mann mit gesunden Augen einen Bruder mit Sehschwäche hat, 1 zu 99, also 1%, denn nur einer von 100 Brüdern hat eine Sehschwäche.



      Die Chance jedoch, dass ein willkürlich ausgewählter Mann mit Sehschwäche einen Bruder mit gesunden Augen hat, ist 99 zu 1, also 99%, denn 99 von 100 Brüdern haben gesunde Augen.

      Deswegen müssen bei der Wertung solcher Zahlen immer (!) die absoluten Zahlen in Relation zu den Gruppengrößen gesetzt werden.

      Hätte wenigstens einer der von der werbenden Wirtschaft bezahlten Schreiber des Springer-Verlags zumindest ein Grundstudium in Soziologie absolviert, würden die Verantwortlichen für diesen Artikel wegen eklatanter Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht hochkant gefeuert.

      Der Satz "Deutsche werden deutlich häufiger Opfer einer Straftat, die von einem Zuwanderer verübt wurde, als umgekehrt." läßt sich außerdem aus den Verhältnissen der Verdächtigungen überhaupt nicht ableiten.



      Nicht jede*r Verdächtige hat die Tat schließlich auch begangen. People of Color werden ohnehin aus rassistischen Ursachen häufiger einer Straftat verdächtigt, völlig ungeachtet der Tatsache, ob sie die Tat begangen haben oder nicht. Außerdem haben Geflüchtete weniger Vertrauen in die Justiz als die durchschnittliche deutsche Bevölkerung und zeigen Verbrechen deswegen auch seltener an. Was Polizeigewalt angeht, die so gut wie nie statistisch registriert und gerichtlich verfolgt wird, sind Geflüchtete auch übermäßig oft betroffen.

      Siehe da: Wenn eine Horde aufgeblasener Halbwissender eine Zeitung macht, wird sie fix zum Arm der NPD.

      • 8G
        83492 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        "Der Vergleich der ungewichteten absoluten Zahlen ist unsachlich und politisch motiviert. Jede seriöse Analyse hat den Fakt zu berücksichtigen, dass es viel weniger Asylbewerber*innen und Flüchtlinge gibt als Deutsche."

        Und darum ist es auch bemerkenswert, dass die Zahl der Gewalttaten die von Personen dieser Gruppe begangen werden so hoch ist. Für Niedersachsen waren 2017 nach [1] in 13,3% aller aufgeklärten Gewalttaten die Täter der Gruppe "Asylbewerber, international/national Schutzberechtigte (Flüchtlingsstatus, subsidiärer Schutz, nationale Abschiebungsverbote), Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge und Personen, die eine Duldung erhalten haben oder zur Gruppe „unerlaubter Aufenthalt"" zuzuordnen. Das ist deutlich mehr als ihr Anteil an der Wohnbevölkerung.

        Es hilft niemandem, wenn die Probleme der Zuwanderung von jungen Männern mit sehr maskulinen Rollenbildern nicht angesprochen werden können, weil man sich dann Nazi-Unterstellungen ausgesetzt ist. Hier noch ein Ausschnitt aus [1] der vielleicht deutlich macht, dass ein Problem vorhanden ist.

        "Polizeilich registrierte Gewalttaten waren in Niedersachsen zwischen 2007 und 2014 kontinuierlich um 21,9 % zurückgegangen. Für die Jahre 2014 und 2015 verzeichnet die Statistik dann jedoch eine Zunahme der Gewaltkriminalität um 10,4 %. Die Analyse dieser zu 83 % aufgeklärten Straftaten zeigt, dass der Anstieg zu 92,1 % Flüchtlingen im oben definierten Sinn zuzurechnen ist. Die Zahl der Fälle mit tatverdächtigen Flüchtlingen hat sich dadurch zwischen 2014 und 2016 um 241 % erhöht. Ihre Quote an allen aufgeklärten Fällen von Gewaltkriminalität ist so in den beiden Jahren von 4,3 % auf 13,3 % angestiegen. Zu knapp der Hälfte kann dies damit erklärt werden, dass sich die Zahl der in Niedersachsen registrierten Flüchtlinge zwischen 2014 und 2016 mehr als verdoppelt hat (Zunahme um 117 %)."

        [1] www.deutschlandfun...9fef3aff7b4a01.pdf

  • Auch wenn die meisten Menschen nicht näher an der Nationalität von Verdächtigen bzw. Tätern interessiert sind, so finden diese wenigen Menschen, denen diese Information - aus welchen (vermeintlichen) Gründen auch immer "wichtig" erscheint, sie regelmäßig bei dem rechten Blog pi-news.net. Eine totale Geheimhaltung ist hier also kaum möglich.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    "Was ist passiert in den letzten Jahren?"

    Nun - man kann es vielleicht so benennen: Die Fremdenfeindlichkeit ist wieder salonfähig. Das elende Getöse der "Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen-Fraktion" und der echten Rassisten i.S.v. "Wir haben ein Recht darauf Nahrung für unsere Vorurteile zu erhalten" hatte Erfolg.



    Die bemerkenswerte Weigerung der Münchner Polizei auf eine Anfrage einer AfD-nahen Provinzpolitikerin den Vornamen des deutschen Tatverdächtigen zu nennen, ist da eine rühmliche Ausnahme.

  • Tja, mit Verlaub, es geht also um Verdächtige und nicht um Schuldige oder tatsächliche Täter.

    Ein Verdacht, so naheliegend er auch zunächst erscheint, sagt erstmal gar nichts aus, denn grundsätzlich werden immer Fremde als erstes verdächtigt.



    Manchmal wird auch eine Straftat nur behauptet, die im Nachgang nie statt fand.

    Daher ist jede Herkunftsbezeichnung erstmal unsachlich!

    Eigentlich ein Unding, daß hier also schon vom Grundsatz her Journalisten Vorverurteilung und damit Hetze betreiben.