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Henry Kissinger soll in den Zeugenstand

Argentinischer Richter will den Ex-US-Außenminister zu den Verbrechen der südamerikanischen Diktaturen befragen

BUENOS AIRES taz ■ Das Vorhaben des argentinischen Bundesrichters Rodolfo Canicoba Corral ist nicht ganz alltäglich, aber dennoch verständlich: Er möchte den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger in den Zeugenstand rufen. Der umtriebige Richter untersucht den Plan Cóndor, mit dem die südamerikanischen Diktaturen der 70er Jahre ihre Zusammenarbeit koordinierten. Im Rahmen dieses Plans tauschten die Diktaturen gefangene Oppositionelle aus, ließen sie entführen, foltern und ermorden. „Der Plan Cóndor war eine Abmachung auf politischer Ebene mit dem Ziel, die Opposition in den einzelnen Ländern zu vernichten“, sagt Canicoba. Die USA waren daran nicht ganz unbeteiligt. In vielen Ländern haben sie die Militärregimes an die Macht gebracht und deren Funktionäre ausgebildet.

Daher erhofft sich Canicoba von Kissinger Auskunft darüber, wer im Plan Cóndor Entführung, Mord und Folter koordinierte. Zu diesem Zweck hat er über das argentinische Außenministerium Mitte August einen Fragebogen an das US-Justizministerium geschickt, mit der Bitte, Kissinger zu vernehmen. Eine Antwort steht noch aus.

Kissinger ist nicht der einzige, den Canicoba gern in einem Gerichtssaal wieder sehen würde. So beschuldigt er den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet und den ehemaligen paraguayischen Diktator Alfredo Stroessner Verbrechen, die im Rahmen des Planes Cóndor begangen wurden, und hat ihre Auslieferung gefordert. In Argentinien hat er ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Juntachef Jorge Videla eröffnet, der bereits wegen Kindesentführung in Untersuchungshaft sitzt.

Nicht nur in Argentinien ist die Justiz Kissinger auf den Fersen. Im Nachbarland Chile will der Richter Juan Guzmán, der bereits gegen den Exdiktator Augusto Pinochet Anklage erhoben hat, Kissinger ebenfalls als Zeugen berufen. Sein Ziel ist es herauszufinden, ob der ehemalige amerikanische Außenminister für den Mord an dem US-Journalisten Charles Horman verantwortlich ist.

Horman wurde kurz nach dem Putsch in Chile im September 1973 entführt, gefoltert und ermordet. Im selben Jahr erhielt Kissinger den Friedensnobelpreis. Immer wieder wurde in Chile der US-Geheimdienst CIA für den Mord an Horman verantwortlich gemacht, was aber nicht bewiesen werden konnte.

Sicher dagegen ist, dass Kissinger und der damalige Präsident Richard Nixon seit der Wahl Salvador Allendes am 9. September 1970 zum Präsidenten Chiles an einem Komplott arbeiteten, um den Sozialisten zu stürzen. Dies belegen CIA-Dokumente, die im Oktober vergangenen Jahres von der US-Regierung herausgegeben wurden. Zwar bestreitet Kissinger im dritten Band seiner Memoiren, mit dem Putsch in Chile etwas zu tun gehabt zu haben. Aber die CIA-Dokumente belegen, dass er Befehle für verdeckte Aktionen des US-Geheimdiensts in Chile gab.

Kissinger hat sich bis jetzt geweigert, Gerichtstermine wahrzunehmen. „No comment“ war das einzige, was er französischen Journalisten sagte, als ihn ein Richter in Paris zum Fall von fünf in Argentinien und Chile verschwundenen Franzosen als Zeugen hören wollte. Bislang ist noch kein ranghoher Politiker aus den USA oder Europa für seine Unterstützung verbrecherischer Regime oder Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen vor einem südamerikanischen Gericht gelandet. Dabei gäbe es, wie der Fall Kissinger zeigt, gute Gründe dafür. Die internationale Gerichtsbarkeit scheint nur in einer Richtung zu funktionieren.

INGO MALCHER

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