Helene Fischer beim Pokalfinale: Feinde des Fußballs
Fußball schauen ist hart. Sängerin Anastacia überzieht in München die Halbzeitpause und Helene Fischer singt beim Pokalfinale. Es ist zum Heulen.
F rüher war alles besser. Die klassische Ouvertüre des kriegsversehrten Opas, bevor er ins Schwelgen geriet.
Früher war alles besser kam in Kombination mit Bier, Weinbrand und Zigaretten. Soweit ich mich erinnern kann, rauchten meine Großeltern gar nicht. Trotzdem stand zu allen möglichen Anlässen ein Zigarettenigel auf dem Tisch.
Früher war alles besser. Nein, so wollte man nicht werden. Denn wenn früher alles besser war, warum humpelte Opa dann? Steckte die Kugel eigentlich noch in seinem Bein?
Bisher hat es ganz gut geklappt, nicht das Damals zu glorifizieren. Denn was war schon besser an den 80ern? Die Angst vorm Waldsterben? Die Angst vorm Atomkrieg? Die Angst, dass das Fernsehen – noch schlimmer, das Privatfernsehen – uns alle verdummen würde?
Nö, war alles Mist.
Nur der moderne Fußball macht es einem so schwer, nicht zum Früher-war-alles-besser-Opa zu werden. Ich bin doch noch jung, das kann doch gar nicht wahr sein.
Vielleicht liegt es aber auch gar nicht an mir. Vielleicht ist der moderne Fußball tatsächlich so scheiße, dass man gar nicht anders kann, als wehmütig ans Früher zu denken.
Während damals noch die Motorradstaffel der Polizei ihr Können unter Beweis stellte, darf in diesem Jahr Helene Fischer in der Halbzeitpause ein Medley aus zwei Songs vortragen. „Welche Songs die 32-Jährige live im Berliner Olympiastadion singen wird, bleibt bis zum Auftritt ein Geheimnis“, schreibt der Deutsche Fußball-Bund in seiner Pressemitteilung.
Uuh, ich halt die Spannung kaum aus.
Genauso wie ich es kaum erwarten konnte, endlich die Halbzeitshow beim letzten Heimspiel des FC Bayern in dieser Saison zu sehen. Anastacia trat auf – und überzog ordentlich. Die Pause wurde einfach mal um rund acht Minuten verlängert.
Und dann das Warten auf die Bilder aus den GoPro-Kameras, die an den Weißbiergläsern angebracht waren, mit denen sich die Bayernspieler – Überraschung! – zum Gewinn der Meisterschaft Bier über die Köpfe gossen. Endlich würde man dieses geniale Schauspiel Bier-auf-Frisur-haha-geile-Idee aus der Perspektive des Bierglases sehen können.
Das gab bestimmt Spitzenbilder für die Social-Media-Kanäle und für FCBayern.tv – oder wo auch immer der Quatsch zu sehen gewesen sein mag.
Kameras an Biergläsern, eine Pause, in der es wichtiger ist, dass Anastacia zu Ende trällert als dass wiederangepfiffen wird, Helene Fischer macht das Pokalfinale zum Superbowl für ganz Arme – man ist als Fußballfan ja schon viel gewöhnt, man weiß, dass man leiden muss, um ein bisschen Sport sehen zu dürfen, aber diese eine Woche setzt neue Maßstäbe. Wenn schon Spieler, wie die Bayernprofis nach dem Freiburg-Spiel, oder Oliver Bierhoff, der Kommerzialisierer der Nationalelf, die Gefahr sehen, dass der Bogen überspannt werden könnte, sollten sich Vereine und Veranstalter vielleicht doch mal ein paar Gedanken... ach, Blödsinn, das Rad wird nicht zurückgedreht.
Heute ist es noch beschissener
Umso schöner ist es deshalb, lieblos heruntergefiedelte Wettbewerbe wie die Europa League zu sehen. Das interessiert eh kein Schwein, wenn da Ajax Amsterdam und Manchester United im Finale kicken, das wusste auch Sky – und fuhr ein Minimum an Personal auf. Am Mittwochabend sah das Finale beim Pay-TV-Sender deswegen so aus: Keine Rundherum-Moderation, kein Programm in der Pause, keine Analyse, nur ein paar zusammengeschnittene Höhepunkte, mit Martin Groß ein vernünftiger Kommentator, der das Spiel und dann einfach auch noch die Pokalübergabe kommentierte. Fertig. Ende der Übertragung.
Wie damals... Halt! So wollte ich ja nicht werden. Denn früher war bestimmt nicht alles besser. Ich habe den Hamburger SV im alten Volkspark 0:0 gegen den KFC Uerdingen spielen sehen. Das war nicht schön.
Nur leider ist es heute halt noch beschissener.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump