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„Held von Aschaffenburg“Erst von Söder ausgezeichnet, dann des Landes verwiesen

Ahmed Mohamed Odowaa half, den Messerattentäter von Aschaffenburg festzunehmen. Zum zweiten Mal stellt sich nun die Frage: Darf man Helden abschieben?

„Die Behörden lügen“: Ahmed Mohamed Odowaa, der „Held von Aschaffenburg“ Foto: Katrin Filthaus
Dominik Baur

Aus München

Dominik Baur

Der Fall des „Helden von Aschaffenburg“ macht die Diskussion um Abschiebungen um ein paar spezielle, aber grundsätzliche Fragen reicher. Gemeint ist Ahmed Mohamed Odowaa, der am 22. Januar zum leuchtenden Vorbild in Sachen Zivilcourage wurde: Der 30-jährige Flüchtling aus Somalia war an diesem Tag einer der Ersten, die am Tatort im Aschaffenburger Park Schöntal waren. Dort hatte gerade ein 28-Jähriger einen Anschlag auf eine Kindergartengruppe verübt.

Der Afghane war mit einem Messer auf die Gruppe losgegangen. Dabei tötete er einen zweijährigen Jungen aus Marokko und einen 41-jährigen Deutschen, der sich ihm in den Weg stellte. Ein weiteres Kind und zwei Erwachsene wurden verletzt. Der Täter war offensichtlich psychisch krank, in einem Sicherungsverfahren ordnete das Landgericht Aschaffenburg mittlerweile seine dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt an.

Odowaa hatte den Fliehenden gemeinsam mit einem anderen Mann verfolgt. Während der andere die Polizei per Handy lotste, blieb Odowaa dem Täter auf den Fersen. An einer nahegelegenen Bahnstrecke schließlich konnte die Polizei diesen auf den Gleisen festnehmen.

Von Markus Söder bekam Odowaa für sein engagiertes Eingreifen zunächst einen Dankesbrief, etwas später auch noch die Christopherus-Medaille. Vonseiten des bayerischen Innenministeriums hieß es, Odowaa habe „in herausragender Weise Entschlossenheit und Mut bewiesen“ und „sich um Aschaffenburg und Bayern verdient gemacht und ein Beispiel für Zivilcourage gegeben, das Anerkennung und höchsten Respekt verdient“.

„Chance nicht genutzt“

Als es dann hieß, ausgerechnet Odowaa müsse das Land verlassen, könnte gar abgeschoben werden, war die Empörung groß. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten zigtausende Menschen Petitionen, die forderten, der Somalier müsse hierbleiben dürfen. Odowaa war über Italien eingereist, wo er bereits registriert worden war. Laut Dublin-Abkommen ist daher auch Italien für die Bearbeitung seines Asylantrags zuständig, die Bundesrepublik kann ihn demnach dorthin abschieben.

Zunächst konnten die Wogen allerdings geglättet werden: Das Innenministerium wies darauf hin, der Mann habe eine Duldung, er müsse also zunächst nicht das Land verlassen – zumal er auch ein wichtiger Zeuge im Verfahren gegen den Täter sei.

Nachdem das Verfahren gegen den Täter mittlerweile abgeschlossen ist, soll Odowaa nun aber doch wieder das Land verlassen. Nicht in erster Linie, weil er als Zeuge nicht mehr gebraucht werde, sondern vielmehr, weil er laut der Regierung von Unterfranken „die ihm eröffnete Chance, aus eigener Kraft die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu schaffen und sich insbesondere eine Arbeitsstelle zu suchen, nicht genutzt“ habe.

Eine genehmigte Beschäftigung habe er nicht angetreten und auch keinen neuen Antrag auf Genehmigung einer Erwerbsfähigkeitgestellt, teilte die Behörde mit. Ohne Arbeit aber gebe es keine dauerhafte Bleibeperspektive. Es sei die wichtigste Voraussetzung für einen Aufenthaltstitel, dass jemand seinen Lebensunterhalt selbst bestreite. Das Innenministerium unterstrich diese Haltung ebenfalls: Odowaa zeige keine Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme und sei bis heute vollumfänglich auf Sozialleistungen angewiesen.

Keine Kulanz

Die Behörden führen noch einen anderen Punkt an, der sie offenbar davon abhält, gegenüber Odowaa trotz seiner Zivilcourage in besonderem Maße Kulanz walten zulassen: Der Somalier habe zuletzt ein zunehmend problematisches Verhalten an den Tag gelegt. So sei er im Umgang mit Mitarbeitern des Landratsamtes und seiner Unterkunft sehr aggressiv geworden.

Einmal habe er nach einem Wutausbruch im Landratsamt, bei dem es zu „Gewalt gegen Mobiliar“ gekommen sei, vom Sicherheitsdienst aus dem Gebäude gebracht werden müssen. Er habe dort nun Hausverbot. Auch auf zwei Delikte, wegen derer Odowaa jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, verweist das Innenministerium. Die Konsequenz heißt in den Augen der Behörden also: zurück nach Italien.

Ist Deutschland also bald um einen Helden ärmer? Ist es – sieht man einmal gänzlich von der Frage ab, was von der Sinnhaftigkeit und Effektivität des Dublin-Abkommens im Speziellen und Abschiebungen im Allgemeinen zu halten ist – moralisch vertretbar, jemanden, der sich solchermaßen des Landes verdient gemacht hat wie Ahmed Mohamed Odowaa, eben dieses Landes zu verweisen? Und lassen sich Zivilcourage und Gewalttätigkeit im Umgang mit Möbelstücken gegeneinander aufrechnen?

Es sei doch ganz einfach, meint beispielsweise die Zeit: Heldentum eigne sich nicht als Kriterium in der Migrationsdebatte. „Denn wo Wohlverhalten – hier in seiner glänzendsten Form – zum Kriterium wird, geschieht Abwertung ganz automatisch. Die einen, auch hier Geborene, müssen sich permanent und zuletzt wieder verstärkt beweisen. Die anderen heben und senken den Daumen.“ Migration teile sich nicht „in pflegeleicht oder irre, in hochwillkommene Arbeitskräfte auf der einen oder Gefährder auf der anderen Seite“.

„Die Behörden wollen mich loswerden“

Odowaa selbst sieht sich zunächst einmal ungerechterweise kritisiert. Einem Bericht des örtlichen Main-Echos zufolge streitet er ab, sich nicht um einen Job bemüht zu haben. „Die Behörden lügen“, sagt er und gibt sich überzeugt: „Sie suchen eine Ausrede, um mich loszuwerden.“

Die Regierung von Unterfranken will die Tür offenbar nicht gänzlich schließen und empfahl Odowaa jetzt, das Land freiwillig Richtung Italien zu verlassen. Auf diese Weise könne er einer Abschiebung entgehen und später eventuell über ein Fachkräftevisum wieder nach Deutschland kommen, falls er in Italien „eine entsprechende Qualifizierung“ erlangt habe.

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