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Heiraten und KinderkriegenDie Sorge vorm Übrigbleiben

Gleichzeitig deutsch und chinesisch sein befreit vor so manchem Druck von Seiten der Familie. Aber in einem Punkt fällt dieser Bonus weg.

So soll's sein: Massenhochzeit in Schanghai Foto: reuters

W omen deng ni, wir warten auf dich, das sagen sie jetzt immer häufiger. Gemeint ist nicht so sehr, dass ich mich mal wieder in Schanghai blicken lasse, sondern eher, dass ich jetzt an der Reihe bin – mit Heiraten und Kinderkriegen, den vermeintlich wichtigsten Dingen im Leben. Dass ich abends gerade viel lieber Hildegard Knef und Frank Ocean höre, mir einen kleinen Balkon wünsche und nicht auf einen Antrag, sondern auf die Müdigkeit warte, wissen sie nicht.

Meine Familie ist groß, im Osten und im Westen. Fast alle meiner Cousinen und Cousins sind erfolgreiche Familiengründer:innen. Sogar der eine, der in London lebt, hat dort eine Frau gefunden und nach einer eher heimlichen und vermutlich europäisch-glitzerfreien Hochzeit direkt ein Kind mit ihr bekommen.

Glück gehabt, er ist nämlich schon Ende 30 und vor ein paar Jahren hatte ihn seine Mutter ohne sein Wissen bei einer Fernsehdatingshow angemeldet. Ich bin noch zehn Jahre entfernt von Ende 30. Aber gut, er hatte einen Bonus, er ist ja ein Mann.

Also alle in trockenen Tüchern, nur ich schwimme im See und die Verwandtschaft wartet, obwohl ich doch auch immer einen ­Bonus hatte. Ich nenne ihn Außenseiter-­Bonus. Ein Bonus, der mein Nicht-ganz-chinesisch-oder-deutsch-Sein als Begründung für jeg­liche Normabweichung in Kulturraum A oder B anführt.

Karriere ist unweiblich?

Die Vierjährige wäscht sich in der Badewanne selbst? Sehr selbstständig, sehr deutsch. Die Achtjährige schlürft so laut ihre Suppe? Keine Tischmanieren, sehr chinesisch. Die Neunzehnjährige geht nachts mit ein paar Freunden in eine Bar? Kein Anstand, sehr westlich. Und jetzt will die bald Dreißigjährige weder heiraten noch will sie ein Kind. Ab hier keine Boni mehr. Auf beiden Seiten kribbelige Sorge, Ostpol, Westpol, tick, tack.

Manche könnten mich schon als sogenannte Shengnü bezeichnen, eine „Übriggebliebene“. Vor einer Weile schrieb man auch in Deutschland über diese gebildeten, unverheirateten Chinesinnen Ende 20, die keinen passenden Partner zum Heiraten finden – oder finden wollen. Die Analyse lautete dann oft: Beruflich erfolgreiche Frauen werden in der chinesischen Gesellschaft als unweiblich angesehen, während die Karrierefrau „im Westen“ als frei und begehrenswert gilt. Aha.

Ich lese da nur Worte, die überall gleichermaßen giftig sind, egal ob mit Kind oder ohne: unweiblich, als wäre Weiblichkeit etwas, was nicht mit Erfolg zu vereinbaren ist. Karrierefrau, als müsste man diese Art von Frau spezifisch hervorheben, weil Karriere – ähnlich wie Power – nicht selbstverständlich zum Frausein gehört. Begehrenswert, als wären es nicht alle gleichermaßen wert, gewollt zu werden.

Dass eine Frau um die 30 kein Interesse daran zeigt, zu heiraten und Kinder zu bekommen, setzt sie nicht nur in China besorgten Blicken aus, sondern auch in Deutschland. Same same, not really different. Das Nützliche an dieser Erkenntnis ist, dass sie müde macht. Viel müder als träumen von Balkonien.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 0G
    05654 (Profil gelöscht)

    Aus Liebe macht man die Komischsten Sachen - Manche Heiraten sogar . ( Unbekannter Verfasser )

    Die Liebe ist so unproblematisch wie ein Fahrzeug - Problematisch sind nur die Lenker, die Fahrgäste und die Straße. ( Franz Kafka )

  • "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert." Einfach nicht auf die Beschwerden hören. Verurteilt wird man doch immer, egal was Frau tut. Dann kann man das Leben auch so einrichten, wie es einem selber passt 🙂



    Nur Mut!

  • Zitat: "Dass eine Frau um die 30 kein Interesse daran zeigt, zu heiraten und Kinder zu bekommen, setzt sie nicht nur in China besorgten Blicken aus, sondern auch in Deutschland."

    Mal ernsthaft: Wen scheren die „besorgten Blicke[]“ wildfremder Personen?

    Was die sogenannte "Gesellschaft" für besorgniserregend hält, kann Außenseitern egal sein. Wer sich ans Ausgegrenztsein erst mal gewöhnt hat, ist relativ frei. Nicht egal sein können uns Menschen höchstens die Sorgen derjenigen, die wir (noch) lieben, weil sie uns ebenfalls erkennbar gern haben. Für ansonsten Ausgegrenzte sind das die eigentlich "Übriggebliebenen".

    Hand auf‘s Herz: Will irgendwer auf dieser Erde vollkommen frei sein? Ich meine: frei im Sinne von einsam? Ich kann mir niemanden vorstellen. Schon deswegen nicht, weil alle anderen immer so tun, als würde etwas verpassen, wer quasi als Vogelfreier durchs Leben stolziert. Das macht Menschen neugierig.

    Außerdem hat es auch praktisch was für sich, nicht völlig alleine zu leben. Man kann sich selbst spiegeln im anderen, wenn der das erlaubt. Das hilft beim Entscheiden. Außerdem braucht jeder Mensch eine gewisse Sicherheit, denn seine Artgenossen haben mitunter größere Aussetzer in Sachen (Mit-)Menschlichkeit.

    Alles in allem könnte man sagen: So außergewöhnlich, dass man gar niemanden mehr braucht und gar niemanden mehr will, ist man nicht einmal als Nicht-ganz-irgendwie-Mensch. Das macht, dass man die Sorgen derer irgendwie teilt, die sich (gut sichtbar) um einen bekümmern, weil man den „Partner fürs Leben“ bisher nicht gefunden hat.

    Aber es stimmt schon: Sich sorgen macht müde. Besonders, wenn man das Gefühl hat, die Sorge ließe sich niemals entkräften. Weil die „Kultur“ stärker ist als das eigene Wissen und Fühlen. Wenn das theoretische Wissen und Fühlen wildfremder Leute mehr zählt, als das praktische der angeblich geliebten Person, kann sich das ziemlich erschöpfend anfühlen. Ausschlafen hilf gegen diese Art Müdigkeit leider rein gar nicht.

  • Danke für den lesenswerten Beitrag. Übrigens bin ich 51 , männlich und meine Mutter nervt mich damit, dass sie keine Enkelkinder hat. Hört also nie auf. Da frag ich mich doch, warum man für das Glück anderer zuständig sein soll...



    Ups, wollte eigentlich was positives schreiben...