piwik no script img

Heimlich abdrückenDer Fotograf, der niemals fragt

Es gibt Menschen, die fotografieren unbemerkt Fremde auf der Straße und stellen deren Bilder danach ins Internet. Ein besonders guter Tag für sowas ist der 1. Mai, findet der Hamburger "Streetphotographer".

Kriegten die Profis nicht mit, behauptet Fotograf Heimlich: Polizeiaktion ganz aus der Nähe. Bild: soulofhamburg.com

HAMBURG taz | Dieses Jahr geht er wieder los, am 1. Mai. Seinen Namen aber will er nicht in der Zeitung sehen. Er hat Max vorgeschlagen. Sein echter Nachname klingt so ähnlich wie „Heimlich“. Also sagen wir: Max Heimlich. Letztes Jahr begann der Feiertag der Arbeiter für ihn und seine Spiegelreflexkamera um elf Uhr morgens auf der Reeperbahn. Über 1.500 Mal drückte er schon ab.

„Nach dem Persönlichkeitsrecht darf man nicht einfach so in der Öffentlichkeit Gesichter fotografieren“, sagt Heimlich, „Kinder sowieso nicht.“ Ein Junge zieht beherzt an Papis Schnauzer. Klick, klick, klick – die Szene wird zur Serie.

Ob sie damit einverstanden sind, dass er die Bilder ins Netz stellt, fragt er seine Motive nicht. Heimlich sagt, er hänge die Abzüge in der Öffentlichkeit an Straßenlaternen und Mauern aus, um den Bürgern das Recht am eigenen Bild zurückzugeben, das er ihnen zuvor genommen hat. Auch ließen sich die Bilder „auf dem Blog downloaden“, sagt Heimlich. Seit drei Jahren fotografiert er nun schon die Menschen, die tagsüber oder nachts durch Hamburg laufen. Sein Archiv, sagt er, habe mehr als 50.000 Fotos. Inzwischen geht er mehrmals die Woche auf Foto-Pirsch, zusammen mit einem Freund.

Gestellt wird nichts

Heimlich nennt sich „Autodidakt“, hat sich das Fotografieren selbst beigebracht. Am liebsten schleiche er nachts durch die Stadtteile Eimsbüttel, Altona, St. Pauli und das Schanzenviertel, erzählt er, beobachte die Menschen – und fotografiere sie. „Streetphotography“, das ist für ihn die Kunst, die Gesichter der Stadt unbemerkt in Szene zu setzen – allein durch natürliche Gegebenheiten wie Regen, Rauch, Feuer, Schatten, Laternenschein. Hier ist nichts gestellt.

Wenn die Speicherkarte voll ist, muss er zurück in seine Wohnung, Altbau, die Bilder auf den Server laden. Der „Streetphotographer“, wie er sich selbst nennt, ist eingerichtet wie in einem echten Studio: riesiger Scheinwerfer, Fotobücher, Hochglanzmagazine, meterlanger Schreibtisch, großer Server und professionelle Bildbearbeitungsprogramme. Sein ganzer Stolz ist eine Gasmaske mit Spezialfilter – für Fotos im Tränengasnebel.

Er legt die Speicherkarte in das Laufwerk seines Computers und sichtet die Bilder. Die Gesichter der Väter, Mütter und Kinder, der Polizisten, Autonomen und Punks sind deutlich zu erkennen. „In anderen Ländern gibt es kein Persönlichkeitsrecht“, sagt Heimlich. „Da darf man alles.“

Die Hamburger Sternschanze vor seiner Tür ist an diesem Abend seine letzte Chance. Jedes Jahr sind dort nach der „Revolutionären-1.-Mai-Demo“ Krawalle zu erwarten. Die Autonomen machen das Gesichter-Porträtieren möglich, weil sie schwarze Kapuzen, Halstücher und Sonnenbrillen tragen. Ein Polizeitrupp schwarzer Kraftpakete mit nummerierten Helmen marschiert dem Autonomenzug entgegen.

Heimlich positioniert sich genau dort am Straßenrand, wo sich beide Gruppen begegnen. Die Fotojournalisten gehen zur Seite, Heimlich bleibt. Die Beamten sind so nah, dass er ohne das Visier vor den Helmen ihren Atem spüren könnte. Aus der Menge fliegen Böller. Weißhelme und Demonstranten stehen Kopf an Kopf.

Heimlich knipst das Geschehen unmittelbar vor der Nase der Polizisten, während ein Zeitungsreporter professionell von hinten über die Helme hinweg fotografiert. „Die Presse ist lächerlich“, sagt Heimlich. Das Im-Hintergrund-Halten nennt er feige. „Mit ihren Helmen, Ausweisen und Aufsteckblitzen machen sie kein gutes Foto.“ Sie hätten keinen Blick für Licht und Schatten, erklärt er, und ihre Blitzgewitter zerstörten die Kunst.

Er knipst einen Rucksackreporter, an dessen Ausrüstung ein Helm baumelt: „Sieht aus, als ob er aus Syrien kommt.“ So werde man von den Autonomen ausgelacht. „Fehlt nur noch die Schutzweste.“ Ihn dagegen nehmen die meisten Menschen oft gar nicht wahr. Heimlich bewegt sich langsam, hält beim Fotografieren die Ellbogen immer dicht am Körper und trägt die Kapuze seines Pullovers über dem Kopf.

Am Abend ist in der Sternschanze ein riesiges Polizeiaufgebot aufmarschiert. Die Hundertschaften stehen zwischen unzähligen Einsatzwagen und einem Wasserwerfer am Straßenrand. In der Mitte tummeln sich die Autonomen mit den schwarzen Kapuzen. Außer den Zigaretten der Schaulustigen auf den Bürgersteigen vor den Cafés brennt hier nichts.

Während die Polizisten einsatzbereit dastehen, trinken Touristen, Anwohner und Demonstranten Bier, rauchen – und warten darauf, dass der erste Stein fliegt. Der Blogger, der sich Max nennt, wartet nicht: Er sieht einen Wald voller Motive. Er fotografiert ein Mädchen, das gelangweilt auf ihrem Handy herumtippt. Verwirrt schaut sie aus ihrer Smartphonewelt auf und starrt in die Kamera. „Nicht bei Facebook posten“, ruft sie. „Aber aufs Blog schon, oder wie?“, fragt Heimlich und lacht. Die Frage wird von der Geräuschkulisse übertönt.

Plötzlich stürmt ein Maskierter mit Fackel an ihm vorbei. Blitzartig knipst Heimlich über dessen Schulter ins Feuer. Der Motor des Wasserwerfers grölt auf. Wie eine leuchtende Regenmauer klatscht der Wasserstrahl im Scheinwerferlicht vor die Füße des Fackelträgers. Heimlich ist in seiner Welt: Wasser, Feuer, Licht, Bewegung und Reflexion. Vom Scheinwerfer geblendet, kann der mit der Fackel nicht sehen, wie sich hinter der Wasserwand ein Polizeitrupp aufstellt. Heimlich bringt sich und seine Kamera in Sicherheit. Als das Wasser verebbt, stehen die Polizisten unmittelbar vor dem Aktivisten und stürzen sich auf ihn.

Festnahme von hinten

Danach traut Heimlich sich wieder in die Nähe der Polizeifahrzeuge, knipst eine Festnahme von hinten. Ein Polizist schaut in die Kamera. Eine Reflexion im Visier des Helms verdeckt sein Gesicht. Und so kommt Heimlich endlich doch noch zu seinem Foto: Gesichter zeigen, ohne sie zu erkennen zu geben, das macht die wahre Kunst der Straßenfotografie aus – und es gelingt ihm so selten! Dann fragt eine Polizistin doch noch nach seinem Presseausweis und der Blogger muss gehen.

Ein paar Demonstranten werfen Flaschen in die Richtung der Polizisten. Heimlich wird getroffen und erwägt, seine Einstellung zu ändern: „Presseausweis und Helm sind doch nicht so verkehrt.“

Am nächsten Tag entdeckt er sich auf einem Foto im Hamburger Abendblatt. Es muss das Foto von Reporterhand sein, von hinter den Polizeihelmen. Heimlich findet das Bild schlecht, atmet aber gleichzeitig auf: Er selbst ist in der Masse bloß ein kleiner, anonymer Punkt mit einer braunen Kapuze.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • E
    ernesto

    und genau solche artikel sind der grund KEINE taz zu kaufen.

  • M
    Martin

    Das Recht am eigenen Bild betrifft nur die Veröffentlichung oder Ausstellung von Bildern -- natürlich kann man in der Öffentlichkeit (fast) jeden und (fast) alles fotografieren, ohne sich strafbar zu machen oder fragen zu müssen. Das ist auch gut so, sonst müsste man die Kamera gleich zuhause lassen.

     

    Wer sich für das Thema interessiert kann auf der Seite www.rechtambild.de mehr erfahren.

  • P
    Peter

    @BAReFOOt: Falsch. Man darf Fotos von Jedem machen, diese nur nicht veröffentlichen und denjenigen dabei nicht belästigen...

  • J
    jacko

    Nicht alle Bilder von SoH gefallen mir, aber die, die mir gefallen, haben Klasse, beispielsweise das Bild, von dem Mann, der mit einem Hochdruckreiniger eine U-Bahnstation reinigt,der schlafende Obdachlose am Brunnen vom Danziger Platz, Bilder von Strassenszenerien,und natürlich Gesichter, den da gräbt sich nun einmal das Leben ein, Atmosphäre, eine Ahnung von Realität eingefangen und wiedergegeben in einem Bild, das Jahre später einem Betrachter das Gefühl dieser Zeit zurückbringen wird, -ja, so war das damals in der 10ern dieses Jahrhunderts-,

    der Bruchteil eines Moments der verschiedensten Lebenswelten festgehalten, was einen ermöglicht Dinge wiederzuerkennen und neu zu sehen, es ist , als ob ein Vorhang weggezogen wird, der schon viel zu lange hing,sei es aufgrund von gesetzlichen Schranken,Profiborniertheit oder was auch immer, wir, ich zumindestens, brauchen mehr von diesen Photos und nicht weniger.

     

    Tschuldigung, wenn ich mit den Punkten sparsam umgegangen bin.

  • L
    Lars

    Was für ein mieser, tendenziöser Artikel. Womit hat die Autorin ein Problem? Kennt sie das Genre Straßenfotografie nicht? Gibt es sogar einen Wikipedia-Artikel für: http://de.wikipedia.org/wiki/Straßenfotografie (und das will was heißen bei den Löschgepflogenheiten der deutschsprachigen Wikipedia). Beispielsweise Henri Cartier-Bresson sollte selbst ihr ein Begriff sein. Diane Arbus. Robert Frank. Oder beispielsweise Vivian Maier, auch Amateurin und Autodidaktin, hatte ihr ganzes Leben keine einzige Ausstellung, wurde quasi erst kurz vor ihrem Tod entdeckt. Da der Artikel in der Nord-taz Rubrik erschienen ist ein kleiner Hinweis: Hilaneh von Kories hat 2011 Vivian Maier ausgestellt: http://www.galeriehilanehvonkories.de/de/maier/twinkle/ Und von Kories ist schon kein Niemand. Aber vielleicht sind für die Autorin Caroline Ritgen, die das Wörtchen Streetphotography nur mit spitzen Anführungzeichen anfasst, Cartier-Bresson, Frank, Arbus und Maier auch bloß miese Spanner.

  • B
    BAReFOOt

    Euch ist schon klar, dass (u.a.) in Deutschland das Aufnehmen von Privatpersonen, ohne diese VORHER zu fragen, ILLEGAL ist.

     

    Erlaubt isses dagegen bei öffentlichen Personen, wie Polizisten die ihre Kopfbedeckung tragen, Politiker bei der Arbeit, und Richter. Das ist ein Teil des Preises den man dafür bezahlt, über die Freiheiten anderer Urteilen zu dürfen.

     

    Doch wer das z.B. bei mir probiert, dem sein Leben wird zum Scherbenhaufen werden. Und Schuhe gibts nicht mehr.

     

    Also:

    1. LASST ES EUCH NICHT GEFALLEN, wenn andere es mit euch machen. Überwachung ist Freiheitsberaubung, und gibt dem Überwacher Macht über einen. Was extrem schlecht ist, wenn er was *finden will.* Und

    2. SEIT KEINE ARSCHLÖCHER. Respektiert die Rechte anderer. Selbst böser Menschen. Denn der Sinn von Rechten ist es gerade, dass niemand hingehen, und nach Tageslaune individuell entscheiden kann, wer sie bekommt und wer nicht.

    Wer nett fragt, kriegt meist ein OK. Und wenn nicht, dann muss er damit leben. Punkt.

     

    So einfach ist das.

  • BM
    Bernardo Markowsky

    @anonymus: >"Heimlich nennt sich „Autodidakt“"

    Man denkt: Spanner häte man früher gesagt.<

    Nicht undumm, anomymus andronymus.

    "Man denkt"? Wer oder was ist man?

    Profis sind die Besseren Beobachter, weil sie Geld verdienen und ins System integriert sind? Das hieße den Zeitgeist auf den Punkt zu bringen.

  • T
    temp

    Wirklich nicht schlecht, der Artikel.

     

    Hoffentlich ist der Rest glaubwürdiger als das, was man einem darin komisch vorkommt.

     

    "Er legt die Speicherkarte in das Laufwerk."

     

    Wie bitte?

     

    Und warum wird 'die Speicherkarte' ins Laufwerk geschoben?

     

    Weil sie voll ist. Ist ja auch echt Scheiße, wenn man mit so einer Profi-Ausrüstung alle tausend Bilder wieder nach Haus muss, um die Karte auszulesen.

     

    Nachtigall ...

     

    Nein. Nix für ungut.

  • G
    G.Knipster

    "In anderen Ländern gibt es kein Persönlichkeitsrecht", sagt Heimlich. "Da darf man alles." Naheliegende Schlussfolgerung: Was im Ausland Recht ist, kann in Deutschland nicht Unrecht sein. Also munter drauflos geknipst. Merkt doch keiner. Und klagen tut sowieso keiner. Und bestraft wird's eh nicht.

  • WN
    Willi Nemski

    Ich habe mir den Blog des Fotografen angesehen.

     

    Alles wunderbar, oft sind die Menschen von hinten zu sehen, was recht wenig rüberbringt.

     

    Was mir jedoch ganz und gar missfällt: dieser Mensch verbirgt sich in der Anonymität, nicht mal eine Anbieterkennzeichnung ist vorhanden. Man sollte als Fotograf zu seinen Bilder stehen und sich nicht verdrücken.

  • S
    stopp

    Ja! Persönlichkeitsrechte sind immer nur dann wichtig und richtig wenn der böse Staat, die Strafverfolgungsbehörden seine Bürger /Verbrecher filmt, trackt, rastert etc.

     

    Persönlichkeitsrechte sind aber *völlig* egal wenn sog. "Künstler" oder andere Leute ohne Auftrag im Leben aufs Auslöserchen drücken - insbesondere dann nicht wenn man pöhse Polizeigewalt dokumentieren muss - is klar oder?

     

    Mein Versprechen: Sehe ich ein nicht autorisiertes Foto von mir oder meiner Familie irgendwo im Netz werde ich den Host des Bildes verklagen. Ja - so spießig bin ich gerne :)

  • A
    anonymous

    Grandioser Artikel.

    Was für ein Spannungsbogen. Danke für das kostenlose Schlückchen Echauffiertheit.

     

     

    "Seinen Namen aber will er nicht in der Zeitung sehen."

    vs.

    "Ob sie damit einverstanden sind, dass er die Bilder ins Netz stellt, fragt er seine Motive nicht."

    Man denkt: Was für ein Balg.

     

    "Heimlich nennt sich „Autodidakt“"

    Man denkt: Spanner häte man früher gesagt.

     

    "„Die Presse ist lächerlich“, sagt Heimlich. Das Im-Hintergrund-Halten nennt er feige."

    Man denkt: feige = anständig?

     

    "„Nicht bei Facebook posten“, ruft sie. „Aber aufs Blog schon, oder wie?“, fragt Heimlich und lacht. Die Frage wird von der Geräuschkulisse übertönt."

    Man denkt: Ihre Antwort war: "Arschloch."

     

     

    "Gesichter zeigen, ohne sie zu erkennen zu geben, das macht die wahre Kunst der Straßenfotografie aus – und es gelingt ihm so selten!"

    Man erkennt: Das ist ein Fotograf der nur anonyme Fotos veröffentlicht.

     

    Man ärgert sich: Sie beschreiben hier einen Fotografenalltag - und bauschen das tendenziös auf damit sich der Leser auch ordentlich aufregen kann.

     

     

    Ich frage mich: Sind das die Künstler von soulofhamburg.com?

    Auf ihrer Homepage heißt es: "Wenn du dich auf einem unserer Fotos wiederfindest und es gelöscht haben willst - schreib uns einfach!"

     

     

    Was für ein Spannungsbogen. Danke für das kostenlose Schlückchen Echauffiertheit.

    Grandioser Artikel.

  • I
    ich

    Was will uns der Artikel sagen?

    "Deine Rechte sind mir egal, ist schließlich Kunst?"