Haut-Gravierung: Für immer und ewig
Tattoos werden Mode-Acessoires. Dabei ist es nicht lange her, dass sie soziale Zugehörigkeiten markierten.
HAMBURG taz | Ich habe mit Tattoos nichts zu tun. Weder provozieren sie mich noch wollte ich mir je eines machen lassen. Ich habe noch nicht einmal über Tattoos nachgedacht. Nie.
Je länger ich darüber nachdenke, desto seltsamer finde ich diesen Umstand. Vielleicht fühlt sich genauso ein Tabu an? Es ist nicht etwas, das man unterdrücken müsste, es ist etwas, was man einfach nicht denkt.
Als ich ein Mädchen war, habe ich keine Tattoos in meiner näheren Umgebung wahrgenommen. Nur in der ferneren.
Mit meiner Freundin suchte ich ab und zu den Aktivspielplatz auf, auch wenn er an der Grenze zu Osdorf lag, wo man in kastigen Mietshäusern mit Neonbeleuchtung lebte und Söhne und Töchter in Jeans, Lederjacken und Silberketten den Ton angaben. Sie machten mir keine Angst, aber es war klar, dass wir nichts miteinander zu tun haben würden. Zwischen dem wohlerzogenen Flottbek und dem asozialen Osdorf verlief eine glasklare Grenze, die an der Ebertallee Ecke Osdorfer Landstraße ihre Demarkationslinie hatte. Rocker verirrten sich nicht in unsere Gegend, wir nicht in ihre. Manchmal stießen unsere Welten zusammen, wenn wir ins Elbe-Kino gingen, um uns Bud-Spencer-und-Terence Hill-Filme anzusehen. Aber wir ließen uns weitestgehend in Ruhe.
Für mich war sonnenklar, dass ich nie mit einem Typen aus dieser Gegend irgendetwas haben würde. Ihr Hamburger Slang war viel zu breit und stieß mich ab, ihr Deutsch war schlecht und ihre Ansichten, wenn sie denn überhaupt welche hatten, waren verabscheuungswürdig. Ich hatte meine Flottbeker Lektionen gelernt.
Wahrscheinlich verbirgt sich hinter meinem Desinteresse an Tattoos diese alte Arroganz gegenüber der fremden, vermeintlich niederen Osdorfer Welt, die damals alles für mich symbolisierte, was man nicht sein durfte: arm, schlecht erzogen, schlecht in der Schule, ohne Abitur, ohne Bildung, zu aufgedonnert, zu männlich, zu weiblich, zu körperlich.
Tätowierte genossen hier Ansehen. Totenköpfe und die Buchstaben H A T E, barbusige Frauen, Phallussymbole, auch Hakenkreuze, keine großen Tattoos wie sie heute viele tragen, sondern kleine, verbotene Zeichen schmückten die blassen Unterarme der Rocker vom Osdorfer Born.
So sehr ich sie verabscheute, so sehr versuchte ich zu ignorieren, wie unwohl ich mich andererseits in Flottbek fühlte, wo 14-Jährige Partys mit Türstehern veranstalteten, wo Klassenkameraden AKW-Nein-Danke-Aufkleber von Autos abrissen, wo man am „Treff“ in der Waitzstraße seine neuesten Cashmere-V-Ausschnitt-Pullover, Lascapa-Stiefel und Collegeschuhe zur Schau stellte.
Ich gehörte nicht dazu, weder zu der einen, noch zu der anderen Welt. Ich lebte genau an der Grenze, Kalkreuthweg, konnte mich eben gerade noch Flottbek zugehörig fühlen und Osdorf weit von mir weisen.
Tattoos, habe ich herausgefunden, hatten ursprünglich den Sinn, Stammeszugehörigkeiten zu regeln. Das klingt so schön harmlos. Aber wenn ich daran denke, wie unsicher und instabil mein Zugehörigkeitsgefühl damals war, wie sehr ich versuchte, Ablehnungen zu entkommen, so schwindet alle Harmlosigkeit und ich spüre die alte Angst in mir aufsteigen, sowohl von der einen wie von der anderen Seite ausgelacht zu werden und keinen Platz zu finden.
Insofern kann ich schon verstehen, was die Maori meinen, wenn sie sagen, dass man ihre Tribals nicht einfach übernehmen darf. Man muss sich ihrer als würdig erweisen. Man muss beweisen, dass man dazugehört.
Damals versuchte ich dazuzugehören, indem ich mithielt. Der Kampf mit meinen linken Eltern um Collegeschuhe dauerte eine ganze Nacht. Sie fanden es grauenvoll, eine Tochter zu haben, die zu einem Stamm gehören wollte, der zwar nicht ganz so verabscheuungswürdig war wie die Rocker vom Osdorfer Born, aber doch verdorben genug vom vielen Geld, das in den Familien meiner Klassenkameraden zirkulierte und falsche Überzeugungen in ihnen weckte.
Die Familie meiner Mutter musste sich nie um Zugehörigkeiten scheren, weil sie reich und somit die Häuptlinge waren. Wenn, dann wollte man zu ihr dazugehören. Und das war nicht einfach damit getan, dass man in ihr geboren wurde. Auch hier musste man sich als würdig erweisen, etwas Besonderes sein, wenigstens ein bisschen Ruhm nach Hause tragen.
Wir gehörten zwar nicht zur Flottbeker Elite, aber meine Eltern fühlten sich dennoch als etwas Besseres. Sie hatten eine dicke Haut, es machte ihnen nichts aus, als ich ihnen erzählte, dass ich auf der Straße wegen meiner unmodischen Kleidung von einer älteren Dame angesprochen worden sei, aus was für einer Familie ich käme, ob wir kein Geld hätten.
Ich habe überlegt, ob es in meinem Bekanntenkreis Tätowierte gibt. Gibt es nicht. Ich frage eine Freundin, Akademikerin wie ich. Nein, auch in ihrem Bekanntenkreis gibt es sie nicht. Ich frage C., meinen Lebensgefährten. Auch da nicht. Dabei sind Tätowierungen mittlerweile doch ein Massenphänomen. Hinz und Kunz trägt heute ein Tattoo, ganz unabhängig davon, ob er sich des Zeichens als würdig erwiesen hat oder nicht. Wahrscheinlich eher nicht. Wer von ihnen hat schließlich schon das Blut seiner Feinde vergossen, um dazuzugehören? Das nämlich kann ein Tribal bedeuten, das in den Katalogen dann unter „Mut“ und „Ausdauer“ firmiert und „Glück bringen soll“. Klar, wer schon getötet hat, hat den Beweis erbracht, seinen Stamm verteidigen zu können und darf sich nun zugehörig fühlen. Was ein Glück! Die Maori seien ein kriegerischer Stamm, heißt es.
Und wir, was sind wir?
Auch wenn ich ins Schwimmbad gehe, mein Gefühl immer das gleiche. Die Tattoos interessieren mich nicht. Sie provozieren mich nicht. Es ist, als wären sie gar nicht da. Ich sehe sie nicht. Ja, man könnte das Ignoranz oder Arroganz nennen und hätte wahrscheinlich nicht Unrecht.
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Den ganzen Schwerpunkt „Für immer und ewig" zum Thema Tätowierungen zwischen Mainstream und Museum lesen Sie in der Nord-Ausgabe der taz.am Wochenende - heute am Kiosk oder gleich hier//taz.de/e-kiosk/%21114771/:.
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